"Horizon Forbidden West" im Test: Meisterhaft in der Komfortzone

"Forbidden West" stellt die altbekannte Open-World-Formel nicht gerade auf den Kopf. Handwerklich ist das Spiel aber so großartig, dass das kaum auffällt.

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(Bild: heise online)

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Inhaltsverzeichnis

Wie jeder gute Nachfolger beginnt "Horizon: Forbidden West" mit einem Rückblick: In "Zero Dawn", dem ersten "Horizon"-Teil von Guerilla Games, hat Heldin Aloy Roboterwesen und eine abtrünnige KI bekämpft, um ein postapokalyptisches Nordamerika vor dem erneuten Untergang zu bewahren. Auch "Forbidden West" überragt mit diesem einzigartigen Szenario, atemberaubenden Maschinenmonstern und einer toll erzählten Geschichte.

Teil 2 der "Horizon"-Saga füllt seine riesige Spielkarte erneut mit zahllosen kleineren Fleißaufgaben und Nebenquests. "Forbidden West" perfektioniert dieses typische Open-World-Designprinzip, ohne das Genre entscheidend umzukrempeln.

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Nicht nur spielerisch, sondern auch chronologisch knüpft "Forbidden West" da an, wo "Zero Dawn" aufgehört hat. Unmittelbar nach dem Ende von Teil 1 wagt Aloy in Protagonisten-Manier den Weltrettungsalleingang, um eine Kopie der KI GAIA aufzutreiben, die das Ökosystem der Erde mithilfe der immer noch allgegenwärtigen Roboterwesen wiederaufbauen könnte. Diese ambitionierte Solomission scheitert vorerst und sorgt für nachvollziehbare Verstimmungen unter Aloys Weggefährten, die sich zurückgelassen fühlen.

Freundschaft und Teamwork sind zentrale Themen in der Erzählung von "Forbidden West". Aloy muss akzeptieren, dass sie ihre Aufgaben nur mit Unterstützung bewältigen kann. Ihr Weg führt sie in den verbotenen Westen der USA, wo sich die kampflustigen Stämme der Tenakth bekriegen und möglicherweise doch noch ein GAIA-Backup zu finden sein könnte. Auf ihrem Weg braucht Aloy nicht nur Athletik und Auffassungsgabe, sondern auch die Rückendeckung einer vielseitigen Crew, die im Spielverlauf rekrutiert wird. "Forbidden West" erzählt dabei eine epische Story mit bombastischen Schauwerten, die noch deutlich mehr in Richtung Sci-Fi abdriftet als Teil 1. Sie hat jede Menge Twists, Enthüllungen und Pathos, aber auch einfühlsame Momente.

Aloy selbst zeigt sich in "Forbidden West" häufig von ihrer schwermütigen Seite: Die Überreste der Erde, die 1000 Jahre zuvor von zerstörerischen Robotern in Schutt und Asche gelegt wurde, sterben. In Wüsten, Steppen und Dschungeln breitet sich eine bedrohliche Seuche aus, ein Vorbote eines erneuten Weltuntergangs. Nur Aloy kann ihn abwenden – eine Last, die auf ihren Schultern wiegt. Schauspielerin Ashly Burch übersetzt diese Bedrücktheit greifbar auf den Bildschirm, haucht Aloy aber auch in den fröhlicheren Momenten Energie ein.

Überhaupt hat Guerilla Games die Figuren dieser Spielwelt, die ihren Charme aus dem sonderbaren Cocktail von High-Tech und Frühzeit-Ästhetik zieht, grandios mit Leben gefüllt. Dialoge und Zwischensequenzen zeigen mehr Dynamik als in Teil 1, die Gesichtsanimationen gehören zu den besten, die man bisher in Videospielen bestaunen durfte. Das trifft vorrangig auf die wichtigeren Figuren in dieser Erzählung zu: Lance Reddick verleiht dem wendehalsigen Sylens eine unwiderstehliche Aura, auch Carrie-Anne Moss überzeugt als enigmatische Außenseiterin.

Aloy möchte sich am Anfang von "Forbidden West" alleine durchschlagen, um ihre Bekanntschaften zu schützen. Das hält sie aber nicht lange durch.

(Bild: heise online)

Überraschend ist eher, dass auch die Figuren in kleineren Rollen so lebensecht wirken. Ein frühes Paradebeispiel dafür ist Ulvend, ein Profiteur aus dem ersten Dorf, das Aloy in "Forbidden West" bereist. Er möchte einen Streik gegen die herrschenden Carja anzetteln, um sich das Alleinbestimmungsrecht über die örtlichen Minen unter die Nägel zu reisen. Im Großen und Ganzen ist das belangloses Geplänkel, doch Ulvend ist so unterhaltsam gespielt und animiert, dass er in anderen Titeln locker als Oberbösewicht Karriere machen könnte. Solches Lob kann man vielen der Stammesangehörigen, die die Welt des verbotenen Westens bevölkern, aussprechen.

Wer kann, sollte mit der großartigen englischen Sprachausgabe spielen, allein schon wegen der Stimme von Sylens-Darsteller Lance Reddick. Ansonsten tun es auch die professionell synchronisierten deutschen Stimmen. Einziges Manko: Die Lippensynchronisation liegt in den Nebenquests auch im englischen Original manchmal etwas daneben, der Day-One-Patch soll das beheben.

Nicht minder genial als ihre Figuren ist die Spielwelt selbst: Der Westen der "Horizon"-USA strotzt vor Postkartenansichten. Aloy besucht schneebedeckte Klippen, die verwüsteten Überreste von Las Vegas, in Satellitenschalen gebaute Dörfer und die überwucherten Wolkenkratzerleichen San Franciscos. Zwischendurch steigt sie immer wieder in sogenannte Brutstätten hinab: kolossale Fabriken im Untergrund, wo riesige Roboterarme ineinandergreifen und rätselhafte Maschinerien geschäftig vor sich hinrumpeln.

"Horizon: Forbidden West" im Test (14 Bilder)

Vor allem in den erstklassigen Zwischensequenzen ist zu sehen, wie überzeugend die Gesichter der Hauptfiguren geworden sind.
(Bild: heise online)

Diese Kontraste prägen eine markante Videospielwelt voller Abwechslungsreichtum. Gerade auf der Playstation 5 sieht "Forbidden West" mit dichter Vegetation und scheinbar grenzenloser Weitsicht umwerfend aus. Besonders schick ist das Spiel von Sony-Tochter Guerilla im 30-FPS-Modus, in dem die Auflösung die Vorfahrt gegenüber der Bildrate bekommt. Im 60-FPS-Modus wird das Bild deutlich unruhiger, gerade bei feinen Objekten wie Gras und Blättern ist auch auf 4K-Bildschirmen ein deutliches Flimmern zu erkennen.

Wer mit 30 FPS leben kann, kann also eine sichtbar bessere Bildqualität genießen. Der 60-FPS-Modus ist insgesamt aber die überlegene Variante: Das Spiel fühlt sich mit ihm um Längen besser an, zumal die anvisierte Bildrate fast überall stabil gehalten wird. Gar keine Wahl hat man auf der PS4: Hier gibt es nur 30 FPS mit zurückgeschraubter Grafik.

Anmerkungen zur Testversion

Die Testfassung von "Forbidden West" hatte noch mit einigen technischen Macken zu kämpfen: Texturen und Objekte luden oft zu spät nach, manchmal wurde der Bildschirm sogar kurz komplett schwarz. Außerdem stürzte das Spiel in 50 Stunden Spielzeit einige Male ab. Diese Probleme sollen mit dem Day-One-Patch veressert werden, der zum Launch am 18. Februar bereitstehen wird. Wer auf der PS4 spielt, muss sich laut Guerilla Games aber auch nach dem Patch auf sporadische, kurze Ladezeiten einstellen.

Auf der PS5 kann man tatsächlich mit weitgehend stabilen 60 Bildern pro Sekunde spielen, wenn man in den Einstellungen den Performance-Modus aktiviert. Der senkt die Auflösung sichtbar, sorgt aber für ein angenehm flüssiges Spielerlebnis. Kleinere Framedrops traten nur in bestimmten Regionen auf: Schnee im hohen Norden und der tiefe Dschungel im Westen zeigten selten kurze Performance-Einbrüche.

Der Vorgänger "Zero Dawn" kam mit mehrjähriger Verspätung auch auf den Rechner – wie mehrere andere frühere Playstation-Exklusivspiele. Bisher hat Sony keine PC-Fassung von "Forbidden West" angekündigt. Wer "Forbidden West" auf der PS5 spielen will, sollte trotzdem die PS4-Fassung kaufen, das Update ist ein letztes Mal kostenlos. Wer dagegen direkt die PS5-Fassung kauft, zahlt zehn Euro extra.

Beim Überqueren der bildhübschen Spielwelt stützt sich Aloy auf ein erweitertes Arsenal an Werkzeugen, Fähigkeiten und Gadgets. Aloy kann jetzt besser klettern: Während sie sich in Teil 1 nur an festgelegten Brettern und Steinchen entlanghangeln konnte, darf sie jetzt auch ganz gewöhnliche Felswände emporkraxeln. Zumindest theoretisch: In der Praxis haben die Entwickler nämlich genau darauf aufgepasst, Aloy beim Klettern nicht zu viel Freiheit zu geben. Immerhin besteht ein beachtlicher Teil von "Forbidden West" aus Plattform- und Navigationspuzzlen, die gelöst werden sollen. Also darf Aloy weiterhin nur da hoch, wo es Guerilla ihr auch explizit erlaubt.

Wo Aloy zupacken kann und wo nicht, wirkt daher in der Praxis willkürlich: Eine Felswand erklimmt Aloy problemlos, eine andere direkt daneben entpuppt sich als steiniges Sperrgebiet. Um kletterbare Wände zu identifizieren, braucht Aloy ihren praktischen Universalscanner, den man aktiviert, indem man auf den rechten Stick auf dem Gamepad drückt. Er sendet einen Puls aus und zeigt dort gelbe Linien an, wo die Entwicklerinnen und Entwickler ihre Kletterstellen platziert haben. Dieses Hilfsmittel ist so essenziell, dass man es in den Spieleinstellungen auf Wunsch auch einfach permanent aktivieren kann. Das sieht nicht schön aus, schont aber das Gamepad.

Ebenfalls praktisch: Manche Klettereinlagen lassen sich mithilfe des neuen Pullcasters einfach überspringen. Per Doppelklick auf den Sprung-Knopf schießt Aloy mit dem Wurfhaken direkt zu überstehenden Holzplanken oder Totems. Außerdem kommt der Pullcaster bei Navigationsrätseln zum Einsatz, indem er etwa Lüftungsschächte öffnet, und sorgt für mehr vertikale Dynamik in den Kämpfen. Kombinieren lässt er sich auch hervorragend mit dem Cyber-Paraglider, den Aloy ebenfalls recht früh im Spiel ergattert. Damit kann sie von Aussichtspunkten herabspringen und elegant bis zum nächsten Reiseziel gleiten – "Breath of the Wild" lässt grüßen.

Der Cyberglider lässt Aloy ohne Gesundheitssorgen von Aussichtspunkten abspringen.

(Bild: heise online)

Die Höhenunterschiede sind im Vergleich zu "Zero Dawn" gewachsen. Neben Aloy Bergsteigerqualifikationen hat Guerilla nämlich auch das Tauchen aufgebohrt. In "Forbidden West" gibt es einen ganzen Haufen von Unterwasserschauplätzen zu erkunden, einige Missionen finden großteils oder sogar komplett im feuchten Nass statt. Die Tauch-Steuerung geht wunderbar flüssig von der Hand, Aloy lässt sich problemlos auch durch engere Unterwasserschächte dirigieren. Manche dieser Abschnitte sind wunderschön inszeniert. Korallen, Wracks und versunkene Ruinen dürfen auf der umfangreichen Liste an "Forbidden West"-Sehenswürdigkeiten nicht fehlen.

Rücksichtslos unterbrochen wird die Land- und Wasserschau regelmäßig von fiesen Roboterwesen, die Guerilla Games großzügig in der Welt verteilt hat. In "Forbidden West" gibt es über 40 solcher Metallmonster, wesentlich mehr als noch in Teil 1. Aloy findet unter anderem maschinelle Pendants zu Eisbären, Flusspferden, Geiern, Krokodilen und Äffchen. Sie alle sehen fantastisch aus und legen individuelle Verhaltens- und Angriffsmuster an den Tag. Manche von ihnen sind freundlich, andere eher nicht.

Wer eine Chance gegen die größeren Viecher haben möchte, muss sie erst einmal scannen, um ihre Schwachstellen ausfindig zu machen. Kanister, Reaktoren und Schusswaffen können bei vielen Maschinengegnern gezielt abgetrennt werden. Fehlt dem Pirscher etwa sein Pfeilgewehr, muss er sich in den Nahkampf wagen oder seinen Minenwerfer einsetzen. Diese Pirscher sind übrigens besonders gefährlich, weil sie sich unsichtbar machen können – es sei denn, man trennt ihren Tarngenerator ab. Riesenmonster wie den Donnerkiefer muss man über Minuten systematisch auseinandernehmen, um die brachiale Schlacht für sich zu entscheiden. Dabei brummen die Maschinenmonster so bedrohlich aus den Boxen, dass es eine pure Freude ist.

Für die Kämpfe lohnt es sich außerdem, elementare Schwächen der Blech-Kontrahenten auszukundschaften. Sind sie beispielsweise für Säure anfällig, kann man ihnen so lange entsprechende Pfeile und Geschosse um die Ohren jagen, bis ihre Metallplatten marode werden. Blitzschaden kann Gegner lähmen, Feuer führt zu Explosionen und richtet Schaden über Zeit an. So entstehen komplexe und mitreißende Duelle gegen die zahlreichen Roboter des verbotenen Westens, die über Dutzende Spielstunden nicht langweilig werden.