Kommentar: Nein, wir brauchen keinen "Freedom Day"
Am 20. März könnte es zu weitreichenden Lockerungen kommen. Darüber zu diskutieren ist richtig. Aber bitte nennen wir diesen Tag nicht "Freedom Day".
(Bild: Kzenon/Shutterstock.com)
Ich bin genervt. Nein, fassungslos. Wir haben zwei Jahre Pandemie hinter uns, mit vielen harten Monaten, familiären Belastungen, mit viel Disziplin. Und leider mit vielen Todesfällen. Durch die Omikron-Variante hat sich die Pandemie-Lage jetzt aber verändert. Das mutierte Virus, die Impfungen, die vielen unbemerkten Infektionen – all das führt in Kombination dazu, dass trotz sehr hoher Inzidenzen die Hospitalisierungsrate verhältnismäßig gering ist und weniger schwere Verläufe sowie weniger Todesfälle zu beklagen sind.
Es ist deshalb verständlich, dass die Politik Lockerungen in Aussicht stellt. Am 20. März könnten wesentliche Beschränkungen fallen. Jetzt kann man diskutieren, zu welchem Zeitpunkt welche Beschränkungen sinnvollerweise zurückgenommen werden sollten. Man kann auch darüber diskutieren, ob es nicht trotzdem sinnvoll wäre, in Zukunft noch Masken in Supermärkten zu tragen. Und wir können darüber diskutieren, wie wir in Zukunft die Impfquote weiter erhöhen können.
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Was ich hingegen nicht diskutabel finde, ist das Framing, dass im Kontext der Lockerungen in öffentlichen Debatten und medialen Diskussionen immer wieder auftaucht. Es wird nämlich oftmals von "Freedom Day" gesprochen – der Tag, an dem wir endlich wieder frei sind!? Hallo, geht’s noch? Sind wir in den vergangenen zwei Jahren von irgendeiner Besatzungsmacht beherrscht worden? Muss uns jemand befreien? Nein, absolut nicht. Wir leben trotz der Einschränkungen der vergangenen zwei Jahre noch immer in einem sehr freien Land, das uns mit den Einschränkungen beschützen wollte und nicht bedrohen.
Eine Impfung schĂĽtzt nicht nur uns
Wer jetzt aber von einem bevorstehenden Freedom Day spricht, verkehrt völlig, worum es bei der ganzen Debatte um Impfungen und die Impfpflicht geht. Die Impfungen sind deshalb wichtig, weil sie unsere Sicherheit wieder erhöhen. Das Risiko eines schweren COVID-Verlaufs ist bei bestehender Impfung nämlich sehr gering. Eine Impfung schützt also nicht nur uns, sondern auch andere (Meine Güte, dass man das immer noch erklären muss).
Freiheit geht ja bekanntlich immer nur soweit, bis sie die Freiheit des Anderen einschränkt. Der Begriff des Freedom Day suggeriert jetzt aber, dass die gesellschaftliche Freiheit mit den bevorstehenden Lockerungen verknüpft ist. Nein. Nein. Und nochmals nein. Wer geimpft ist, darf bereits heute sehr viel von dem, was das Leben schön macht: Essen gehen zum Beispiel oder eine Lesung besuchen. Und die Pandemie hat ja auch neue Freiheiten gebracht, etwa die Flexibilisierung der Arbeit.
Also: Bitte streichen Sie den Begriff des Freedom Day aus Ihrem Vokabular. Er ist nur Wasser auf den MĂĽhlen der Querdenker.
(jle)