Größte Monsterwelle überhaupt gemessen

Eine Freakwelle, wie sie nur alle 1.300 Jahre vorkommt, hat eine MarineLabs-Boje vor der Pazifikküste Kanadas gemessen. Das hilft der Wissenschaft.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 408 Kommentare lesen
Amplituden

Der gemessene Seegang mit plötzlicher Riesenwelle

(Bild: MarineLabs)

Lesezeit: 3 Min.

Plötzlich kommt eine extrem hohe Meereswelle und zerreißt ein großes Schiff oder reißt einen am Ufer weilenden Menschen in Tod, obwohl die See sonst vergleichsweise ruhig war. Solche Monsterwellen (auch Freakwellen, Riesenwellen oder Kaventsmänner genannt) galten für Jahrhunderte als Seemannsgarn. Erst seit 1995 sind sie anerkannt. Nun liegt eine Messung aus Kanada vor, die eine Monsterwelle von bislang nicht gemessenem Ausmaß belegt.

Warnung an Wanderer in Green Cove, Neuschottland, Kanada

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Am 17. November 2020 erfasste eine Freakwelle von 17,6 Metern respektive 19,5 Metern Höhe (gemessen gegenüber dem vorhergehenden respektive nachfolgenden Wellental) eine Messboje der kanadischen Firma MarineLabs. Das ist zwar in absoluten Metern nicht so hoch wie die zu Neujahr 1995 in Norwegen gemessene "Draupner-Welle" (25,6 Meter), relativ zum gerade vorherrschenden Seegang aber deutlich mehr. Die Draupner-Welle ereignete sich bei starkem Wellengang von durchschnittlich zwölf Metern, während der Pazifik am Messort zur Messzeit "nur" ungefähr sechs Meter hohe Wellen schlug.

Mit der relativ gerechnet dreifachen Höhe gilt die MarineLabs-Welle als die extremste je gemessene Monsterwelle überhaupt. Gemessen wurde sie etwa sieben Kilometer vor dem Ort Ucluelet an der Westküste Vancouver Islands, in etwa 45 Meter tiefem Wasser im Bereich der Amphitrite-Bank (48,9° N, 125,6° W).

Die Ozeanografen Leah Cicon und Prof. Johannes Gemmrich (beide Universität Victoria) haben die Daten analysiert. In der aktuellen Ausgabe der wissenschaftlichen Zeitschrift Scientific Reports berichten sie über das Ereignis und erarbeiten Berechnungsverfahren zur Vorhersage möglicher Monsterwelle.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

"Proportional war die Welle vor Ucluelet wahrscheinlich die extremste Monsterwelle, die je gemessen wurde", bestätigt der aus Deutschland stammende Gemmrich, "Nur wenige Monsterwellen sind auf hoher See direkt beobachtet worden, aber keine in dieser Größenordnung. Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas (an diesem Ort) auftritt, ist einmal in 1.300 Jahren."

MarineLabs-Boje bei der Arbeit

(Bild: MarineLabs)

Die Messboje ist Teil der CoastAware-Plattform der kanadischen Firma MarineLabs und wurde erst einige Monate vor dem Ereignis installiert, wie Firmengründer und CEO Scott Beatty im Interview mit heise online mitgeteilt hat. Die Plattform besteht derzeit aus 26 Messbojen vor den Küsten Kanadas und der USA. Noch dieses Jahr wird CoastAware 70 Bojen umfassen, die aus Solarzellen gespeist werden. MarineLabs kann die Daten über Mobilfunk und bald auch Satellitenverbindungen fast ein Echtzeit abrufen und analysieren.

Häfen, Schiffsbetreiber, Kapitäne, Kanadas Wetteragentur und Küstenarchitekten abonnieren die Ergebnisse. Sie helfen bei der Schifffahrt und bei der Planung von Häfen und Wellenbrechern, nicht zuletzt zur Vorbereitung auf den Klimawandel. Auch die kalifornische Firma CalWave Power Technologies, die Wellenenergie-Stromgeneratoren entwickelt, zählt zu MarineLabs' Kunden. Für Europa sucht Beatty derzeit einen Partner für ein Pilotprojekt, "einen Hafen, eine Küstenwache oder eine nationale Wetteragentur".

So entstehen Monsterwellen
Warnschild "Danger!" in Englisch und Französisch, das vor Monsterwellen warnt und erklärt, wie sie entstehen

Warnung an Wanderer in Green Cove, Neuschottland, Kanada

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Freakwellen sind vorwiegend windgetrieben. Winde können auf See über tausende Kilometer ungestört Wasser vor sich hertreiben. Einerseits können schnellere Wellen langsamere einholen, andererseits können Wellen aus unterschiedlichen Richtungen zusammenlaufen. Überlagern sich dabei an einem Punkt die Amplituden mehrerer Wellen in passender Weise, addieren sich die Amplituden. So kommen scheinbar aus dem Nichts riesige Wellen zustande, die gleich wieder verschwinden. Sind sie mindestens doppelt so hoch wie die vorherrschenden Wellen, heißen sie Monsterwellen.

Sie können selbst große Schiffe schwer beschädigen oder sogar zerbersten lassen. Riesenwellen können auch an Küsten auflaufen, unter Umständen begünstigt durch ansteigenden Meeresgrund. Auf Vancouver Island, aber beispielsweise auch in Neuschottland, haben überraschende Wellen schon mehrmals Menschen vom Ufer ins Meer gerissen. Für sie endet das oft tödlich.

Die Boje selbst wurde zwar kurz unter die Welle gezogen, hat den Vorfall aber überstanden. Die Verankerung wurde zwar beschädigt, hat aber gehalten. MarineLabs hat sie inzwischen erneuert. Beatty ist überzeugt, dass die Daten stimmen: Die Daten aus Beschleunigungssensoren und dem Differenzial-GPS an Bord der Messboje stimmen überein, auch mathematische Ableitungen aus den Wellenlängen bestätigen die Monsterwelle.

(ds)