Der beste Schliff: Wie Algorithmen den Wert von Diamanten berechnen

Wie kann man Rohdiamanten so bearbeiten, damit nur Schmuckstücke von höchstem Wert entstehen? Deutsche Forscher haben eine mathematische Lösung gefunden.

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(Bild: Ptukhina Natasha / Wikipedia / cc-by-sa-3.0)

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Von
  • Boris Hänßler

Der oval geschliffene Koh-I-Noor (Berg des Lichts) ist einer der bekanntesten Diamanten schlechthin. Er stammt aus der Zeit vor Christi Geburt. Sein ursprüngliches Gewicht war 186 Karat. Es hieß, dass derjenige, der den Koh-I-Noor besitze, die Welt beherrsche. 1850 kam der Diamant in den Besitz von Königin Viktoria, die ihn auf 105,6 Karat herunter schleifen ließ, um ihm mehr Feuer oder funkelnden Glanz zu verleihen. Er ist nun im Tower in London beheimatet. Sein Wert wird auf 100 bis 500 Millionen Euro geschätzt.

Diamanten sind auch heute begehrte Schmuckstücke, und selbst gewöhnliche kosten oft immense Summen – etwa 15.000 Euro für einen ein Karat schweren Stein. Die ungeschliffenen Rohdiamanten werden zunächst über Diamantenbörsen wie es sie in Antwerpen oder New York gibt, gehandelt. Für Hersteller von Schmuck ist es jedoch nicht leicht zu entscheiden, ob in einem Rohdiamanten ein neuer Berg des Lichts steckt, also wie viel ein ersteigerter Diamant hergibt. Je nachdem, wie er beschaffen ist und geschliffen wird, kann der Wert sehr unterschiedlich ausfallen. Nun haben Forscher des Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI in Sankt Augustin bei Bonn ein Software-Modul entwickelt, mit dem der beste Schliff und damit der größtmögliche Wert eines Diamanten berechnet werden kann.

Der Preis eines Diamanten hängt von seiner Qualitätsstufe ab. Fachleute bewerten die Schmucksteine anhand der sogenannten vier Cs: Carat (Gewicht in Karat), Color (Farbe), Clarity (Reinheit) und Cut (Schliff). Eine wesentliche Rolle bei der Reinheit spielen Einschlüsse – häufig Bruchstücke aus Kristallen oder Mineralien im Inneren des Diamanten oder auch feine Risse. Bei der Ersteigerung des Rohdiamanten ist dies nicht deutlich erkennbar – genaue Messungen sind erst möglich, wenn die Steine für eine Art Fenster angeschliffen werden. Insofern sind Ersteigerungen auch ein Glücksspiel. Es können Hunderte von Einschlüssen im Stein sein und seinen Wert mindern.

Nach dem Kauf können die Hersteller durch verschiedene Messungen ein dreidimensionales Modell erstellen. Dieses hilft zu entscheiden, in welcher Form die Diamanten geschnitten werden und vor allem, wie viele Stücke aus einem Rohstein entstehen sollen. Die Qualität des Schliffs beeinflusst das Schimmern der Farbe und wie Licht von der Oberseite reflektiert wird. Der bekannteste Schliff ist der runde Brillant. Für den Schliff gibt es eine Reihe weiterer Formen mit Namen wie Herz, Kissen oder Emerald.

Dem Mathematiker Jan Hamaekers, Leiter des Geschäftsfeldes Virtual Material Design bei Fraunhofer SCAI und seinem Team gelang eine Lösung, für die sie sogenannte Sparse-Grid-Methoden mit genetischen Algorithmen kombinieren. Sparse-Grid-Methoden eignen sich, um hochdimensionale Probleme zu lösen. Genetische Algorithmen orientieren sich an den Prinzipien der Evolution, um zu immer besseren Lösungen zu kommen. Das Modul zur Berechnung des wertvollsten Schnitts und Schliffs ist Teil der Software OptiRough der Firma Tensor Diamond Technology in Antwerpen, dem Kooperationspartner der Forscher.

Soll aus dem Rohdiamanten nur ein einzelner Stein geschnitten werden, ist es zwar aufwendig, die beste Form zu bestimmen, aber dennoch machbar – viel schwieriger ist es, wenn zwei oder noch mehr Formen in die Kalkulation einfließen. "Es handelt sich dann um ein äußerst komplexes Optimierungsproblem", sagt Hamaekers. Die Forscher müssen alle relevanten Parameter wie zum Beispiel die Drehung, die Einschlüsse, den möglichen Schliff-Typ, das Seitenverhältnis und die Zahl der Facetten – das sind kleine, glatt polierte Flächen, die das Licht reflektieren und brechen und für das Feuer sorgen – berücksichtigen. "Es ist eine Art mathematisches Hinein-Puzzlen von Teilen in den Rohstein", sagt Hamaekers Kollege Ralph Thesen. Würde man nur 10 Varianten für jeden Parameter eines Brillanten ausprobieren wollen, müsste man 10^16 (eine Eins gefolgt von 16 Nullen) Kombinationen betrachten, ein hochdimensionales Problem. Will man mehrere verschiedene Steine in einem Rohstein optimieren, vervielfachen sich die Parameter und die Größe des Problems explodiert. Mit sechs Brillanten müssen 96 Parameter bestimmt werden, betrachtet man auch da nur jeweils zehn Möglichkeiten, sind das 10^96 Kombinationen, mehr als die geschätzte Anzahl von Atomen im Universum.

Was die Berechnungen weiter erschwert, ist eine seltsame Eigenart des Diamanthandels – der Wert der Steine steigt nicht kontinuierlich mit den Qualitätsmerkmalen, sondern sprunghaft. So wird der Wert eines Diamanten mit einem Gewicht von 3,0 Karat mit nahezu dem gleichen Preis pro Karat bewertet wie ein Stein von 3,99 Karat, während es bei Diamanten von 4 Karat – die nur 0.01 Karat schwerer sind – zu einem Preissprung von 5.000 Euro pro Karat kommen kann. "Deshalb kann es manchmal sinnvoller sein, eine Variante mit insgesamt weniger Karat zu wählen", sagt Hamaekers. So wäre typischerweise der erzielbare Erlös für eine Lösung mit zwei Steinen von 4,3 und 4,1 Karat höher als bei einer Variante mit zwei Steinen von 4,6 und 3,9 Karat. Andererseits: Wären beide herausgearbeiteten Diamanten nahezu identisch in ihrer Größe und Qualität, könnten sie als Zwillinge wiederum noch wertvoller sein – für Ohrringe oder Eheringe etwa.

Der Abbau von Diamanten ist freilich noch immer mit negativen Schlagzeilen belastet. Im Februar 2022 berichtet etwa Fair Planet, dass Familien, die durch den Diamanten-Abbau in Simbabwe von der Regierung vertrieben wurden, und diejenigen, die in der Nähe der Marange-Diamantenfelder leben, immer tiefer in Armut versinken. Die US-Firma Petra Diamonds in Jersey, die fünf große Minen Südafrika und Tansanie betreibt, musste zudem mehr als sechs Millionen US-Dollar an die Familien von sieben Menschen zahlen, die in der Williamson-Mine in Tansania von Sicherheitskräften getötet wurden.

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(jle)