Digitale Gewalt – was ist das und wie kann ich mich wehren?

Viele Menschen – insbesondere Frauen – sind von digitaler Gewalt betroffen: Diese kann sich etwa in Form von Hasskommentaren, Doxxing oder Dickpics zeigen.

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Cyber-Mobbing. Depressive Frau, die auf dem Boden sitzt. Meinung und gesellschaftlicher Druck

(Bild: 271 EAK MOTO/Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Anlässlich des Weltfrauentags informiert heise online über digitale Gewalt und gibt Hinweise für den Umgang mit kritischen Situationen im Internet.

Digitale Gewalt richtet sich in absoluten Zahlen zumeist gegen Frauen. Menschen, die sich der LGBTQIA*-Szene zuordnen, sind jedoch mindestens genauso häufig betroffen. Ein Migrationshintergrund kann Anfeindungen noch zusätzlich verstärken.

"Hassrede" und "digitale Gewalt" gegen Frauen und andere Betroffene lassen sich nicht klar trennen, auch wenn sie oft als unabhängige Phänomene nebeneinander gestellt werden. Hassrede ist ein Angriff durch Sprache. Es werden hasserfüllte Textbeiträge geschrieben, in denen Menschen andere etwa beleidigen oder auch Falschaussagen im Sinne von übler Nachrede treffen. Menschen werden aufgrund äußerer Merkmale, zum Beispiel aber auch aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Religion beschimpft. Frauen werden in diesem Zusammenhang dann auch nicht als Einzelpersonen und wegen vielleicht kontroverser Positionen angegriffen, sondern aufgrund ihres Frauseins attackiert – dies wird auch Misogynie genannt. Hassrede oder auch Hatespeech wird häufig in sozialen Netzwerken beobachtet.

Der seit 2016 jährlich durchgeführten Forsa-Umfrage zufolge steigt der Anteil der Personen, die im Internet schon einmal mit Hassrede konfrontiert wurden. Waren es 2020 noch 32 Prozent von ungefähr 1000 Befragten, die Hassrede gesehen haben, sind es inzwischen 38 Prozent. Allerdings geben auch immer mehr Befragte an, solche Kommentare zu melden. Dies können zum Beispiel auch Kommentare sein, die als "Bodyshaming" bekannt sind – wenn eine Frau etwa als "zu fett" bezeichnet wird. Für die Moderation von Hate Speech stellt die Landesmedienanstalt NRW Schulungsunterlagen bereit.

Greifen Menschen nicht nur zu hasserfüllten Nachrichten, sondern wenden sie verschiedene Methoden an, um etwa ihre Opfer zu nötigen, zu erpressen, mit Fotos oder Videos bloßzustellen, sie mit traumatisierenden Inhalten zu konfrontieren oder sie im Netz und offline zu stalken, spricht man konkreter von digitaler Gewalt.

So sind etwa die berüchtigten Dickpics eine Methode von digitaler Gewalt – also das unaufgeforderte Zusenden von Bildern von (zumeist erigierten) Penissen. Auch das Schicken anderer sexueller Inhalte, Cyberflashing genannt, gehört dazu.

Nach Paragraf 184 des Strafgesetzbuches fällt das Versenden von Dickpics unter sexuelle Belästigung und stellt somit eine Straftat dar.

Seit September 2021 ist auch das Doxxing strafbar. Dabei handelt es sich um das Herausfinden persönlicher Informationen von Menschen im Internet, um ihnen auch zu Hause auflauern zu können oder ihnen Drohbriefe zu schicken. Zudem wird Doxxing genutzt, um Menschen gezielter verunglimpfen zu können.

Die schädigende Weiterverbreitung von intimen Informationen und Bildern von Menschen – zum Beispiel durch Ex-Partner – gehört ebenfalls zu digitaler Gewalt, insbesondere gegen Frauen. Man spricht hier beispielsweise von Rachepornos und kompromittierenden Fotos.

Digitale Gewalt speziell gegen Frauen kann auch durch größere, in sich geschlossene, Gruppen ausgeübt werden. Sie wird dann gezielt als Einschüchterungstaktik eingesetzt, um Frauen zum Beispiel aus öffentlichen Diskursen zu verdrängen oder sie (weiterhin) strukturell zu unterdrücken. Zu solchen Gruppen zählen etwa die "Incels".

Eine bestimmte Gruppe von Männern, die sich sexuell zurückgewiesen fühlt und bei Frauen keinen Erfolg hat, greift diese an. Für diese Gruppe gibt es die Bezeichnung Incel, was für "unfreiwillig zölibatär" steht (involuntary celibate). Incels glauben, einen Anspruch auf eine sexuelle Verfügbarkeit des weiblichen Körpers zu haben.

Emanzipierte Frauen, die sich zum Beispiel nicht aus wirtschaftlichen Gründen von einem Mann abhängig machen müssen, sind häufig eine Zielgruppe dieser Männer, da Incels einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Unabhängigkeit und sexueller Verfügbarkeit erkennen. Infolgedessen wird Frauen beispielsweise auch gezielt Expertise abgesprochen. Zwischen Incels und rechtsextremen Gruppierungen lassen sich teilweise Überschneidungen feststellen.

Die genannten Angriffe wie Beleidigungen, üble Nachrede, Verleumdung, Doxxing, Dickpics, Stalking (etwa per Apps) oder Gewaltandrohungen können Betroffene melden und anzeigen. Allerdings müssen sie sich bei Anzeigen mitunter auf sehr lange Wartezeiten einstellen oder auch mit Behörden umgehen, die oft nicht sehr sicher im Umgang mit Hassrede und digitaler Gewalt sind. Betroffene müssen hierbei oft auch weiterhin auf ihre eigene Sicherheit achten, da zum Beispiel ihre Adresse weitergegeben werden könnte. Zudem ist in manchen Fällen die Rechtssprechung noch nicht immer klar, wie etwa der Fall von Renate Künast zu Hassrede gezeigt hat.

Ehrenamtlich und kostenfrei helfen in solchen Fällen zum Beispiel die Angebote HateAid, dickstinction und Hassmelden. HateAid bietet eine kostenlose Beratung und eine Prozesskostenfinanzierung an. Bei Hassmelden und dickstinction erfolgt die Anzeige für Betroffene auch anonym, was den Schutz der Betroffenen erhöht.

Wichtig ist die richtige Dokumentation von Angriffen im Internet. HateAid, dickstinction oder auch hassmelden geben hierzu Hinweise. Auf den Plattformen hassmelden.de und dickstinction.com kann die Dokumentation der Delikte auch teils automatisch erfolgen. Allerdings ist es trotzdem wichtig, genügend Daten, etwa in Form von Screenshots, zu sammeln, die über Zeitpunkt, Verfasser, Kontext und ähnlichem Auskunft geben, damit es später nicht an Beweisen fehlt.

Außerdem können Betroffene das NetzDG-Kontaktformular nutzen.

Wenn es Presseberichte oder Blogeinträge über Betroffene gibt, die Hinweise auf ihren Wohnort, Klarnamen oder anderes geben, kann auch Google um das Entfernen von Einträgen gebeten werden, damit Sucheinträge ganz verschwinden oder Informationen nicht mehr so leicht gefunden werden können. Oftmals müssen Betroffene aber Publizierende direkt darum bitten, dass sie Inhalte entfernen – also die Quelle für die Sucheinträge wirklich beseitigen.

Wer als Betroffener von Angriffen einen Blog betreiben möchte, aber Angst vor der Impressumspflicht hat, kann auch in diesem Fall Hilfe bekommen. Es erklären sich dann andere Menschen bereit, für diese Menschen als Vermittler der Impressumspflicht nachzukommen. Denn über die Impressumspflicht ist Doxxing leichter möglich.

Zudem sollte stets genau überlegt werden, welche Daten man von sich selbst im Internet teilt. Nutzer:innen sozialer Medien sollten beispielsweise öffentlich keine Bilder teilen, auf denen Tickets zu Konzerten oder ähnlichem zu sehen sind, da sie so auch ein Opfer von Stalkern werden können. Eine immer aktivierte Standort-Funktion ist beim Teilen von Bildern ebenfalls eine Möglichkeit, Angreifern Tür und Tor für Stalking zu öffnen.

Mittlerweile können Menschen auch über Tracking-Objekte wie etwa die AirTags von Apple unwissentlich gestalkt werden. Hier lohnt es sich, die Augen offenzuhalten.

Auch Kinder bleiben von sexuellen Übergriffen im Internet nicht verschont. Wer Opfer von Cybergrooming ist oder Zeuge solcher Straftaten wird, kann die Übergriffe bei fragzebra.de von der Landesanstalt für Medien melden. Dort gibt es neben einer Meldestelle noch einen Chat, in dem alle Fragen rund um den "digitalen Alltag" beantwortet werden.

Laut einer Studie der Landesmedienanstalt NRW gibt es zwischen Mädchen und Jungen bezüglich einer sexualisierten Ansprache von Erwachsenen im Internet keine signifikanten geschlechterspezifischen Unterschiede – beide Geschlechtergruppen erleben diese Form der Gewalt.



[Update, 08.03.2021, 12:15 Uhr: Ein paar Links ergänzt, eine Formulierung zu marginalisierten Gruppen konkretisiert; 16:15 Uhr, eine fehlende Einschränkung ergänzt] (kbe)