Zahlen, bitte! Ein echter Kracher des Meeres mit 250 Dezibel

Der Pistolenkrebs sorgt mit seiner knallenden Schere und dem lautesten Tiergeräusch nicht nur für betäubte Beute, sondern trollt damit sogar die U-Boot-Ortung.

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Inhaltsverzeichnis

Die lautesten Tiere der Erde sind nicht, wie man meinen könnte, tonnenschwere Wale, sondern fingergroße Krebse, die auf dem Meeresgrund leben. Der gerade einmal fünf Zentimeter große Pistolenkrebs (auch Knallkrebs genannt) verursacht einen Knall im Bereich von 250 Dezibel. Der Klangteppich, den viele tausende Krebse in einer Region erzeugen, kann die Militärortung trollen und hat schon Bootsbesatzungen um den Schlaf gebracht hat.

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Das Phänomen bekam spätestens in den 1940ern besondere Aufmerksamkeit: Im Zweiten Weltkrieg installierten die US-Militärs hochempfindliche Sonargeräte, um feindliche U-Boot-Bewegungen orten zu können. Sie staunten nicht schlecht: In subtropischen und tropischen Küstengewässern störte ein durchgängiges Knacken die Detektion. Hatte die Gegenseite etwa Störsender aufgebaut? Die Forschenden der Universität von Kalifornien für Kriegsforschung nahmen sich der Sache an und entlarvten die kleinen Schalentiere als Ursache für die markanten Störgeräusche.

Dabei sind sie nicht nur mit Instrumenten zu hören. In wärmeren Küstengewässern ist der durch viele tausende Krebse erzeugte Klangteppich vielen Seglern, Seeleuten und Tauchern bekannt. Es klinge wie platzende Maiskörner in der Popcornmaschine oder das Knistern, wenn in einer Pfanne Fleisch brät.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Wie bei Garnelen üblich, ist der Pistolenkrebs durch einen harten Panzer geschützt. Die Arten, die auch zu lauten Knallen fähig sind, sehen ein wenig so aus, wie ein Hummer mit einer mutierten Schere. Meist tragen die Männchen den gewaltigen Scherenarm, der die Hälfte der gesamten Körperlänge einnehmen kann. Wenn der Scherenfinger geöffnet wird, liegen auf den Scherengliedern sitzende runde Platten beim Öffnen aneinander. Ähnlich wie zwei nasse Scheiben kleben sie durch Adhäsion zusammen.

Um den Scheren-Mechanismus auszulösen, muss der Krebs erhebliche Kraft aufwenden. Wenn das überwunden ist, schnappt der Mechanismus im Bruchteil einer Sekunde zusammen. Dabei schnellt ein Zahn im Scherenfinger in einen zu ihm passenden Hohlraum und verdrängt blitzartig das dort befindliche Wasser. Die Stoßwelle schießt detonationsartig in die Richtung, in der die Schere gerichtet ist. Dabei entsteht der Knall erst nach dem Zuschnappen und somit anders, als es lange Zeit vermutet wurde.

Knallkrebs Alpheus distinguendus. Der rechte Scherenarm ist um ein Vielfaches größer als der linke. Manche Pistolenkrebsarten haben symbiotische Beziehungen zu Haarsternen, Wächter- oder Partnergrundeln sowie Seeanemonen.

(Bild: CC BY-SA 2.5, OpenCage)

Der vorschnellende Wasserstrahl bildet eine Kavitationsblase. Kavitation entsteht, wenn eine Flüssigkeit eine Geschwindigkeit überschreitet und – nach dem Bernoulli-Prinzip – ein Druckabfall erzeugt. Dabei entwickelt sich für Bruchteilen einer Millisekunde eine Kavitationsblase aus heißem Wasserdampf. Unterschreitet der Strahl die Geschwindigkeit wieder, läuft die Blase auf und kollabiert.

Für einen kurzen Moment wird die Dampfblase mit über 4700 °C fast so heiß wie die Oberfläche der Sonne. Aber nicht nur das: Bei der Implosion entsteht durch die Druckschwankungen ein kurzer Lichtblitz (die sogenannte Sonolumineszenz) und wird durch den 250 Dezibel lauten Knall untermalt.
Das von dem Strahl getroffene Beutetier gerät meist in eine Schockstarre und kann so von dem Krebs erbeutet werden. Außerdem nutzen die Pistolenkrebse den Mechanismus zur Abwehr von Fressfeinden und – ganz in Wild-West-Manier – zur Klärung von Revierstreitigkeiten.

Dass sich der 250 Dezibel-Schuss für Seeleute oder Taucher nicht so laut anhört, liegt daran, dass dieser Vorgang nur eine Zehntausendstel Sekunde dauert. Seeleuten ist übrigens die Kavitation aus anderen Gründen bekannt, da die Implosion solcher Blasen unmittelbar an rotierenden Pumpen- und Schiffsschrauben auftreten kann. Die Folge ist Kavitationsfraß, der die Schaufeln empfindlich deformieren und beschädigen kann.

Der Pistolenkrebs-Scherenarm in schematischer Darstellung
1. Geschlossene Schere mit verdecktem Zahn (P). 2. Geöffnete Schere mit Zahn (P) und Hohlraum (C). 3. Geöffnete Schere mit Zahn und mit Wasser (W) gefülltem Hohlraum (C). 4. Der Arm schnellt zusammen, (C) wird durch den Zahn ausgefüllt, der Wasserstrahl (J) schießt heraus und trifft Feind, Artgenossen oder Beute.

(Bild: CC BY-SA 4.0, Carvermyers. Bearbeitung: heise online)

Mit Interesse und ein wenig Sorge betrachten die Forschenden, dass eine Erwärmung der Gewässer auch das Aufkommen der Pistolenkrebs-Geräusche erhöht. In Daten aus mehrjährigen Erhebungen aus Karibik sowie gemäßigtem Atlantik ergaben, dass sich bei Erhöhung der Temperatur von 1 °C die Schallarten um 15–60 % erhöhten. Auch stieg der Schallpegel um 1–2 Dezibel. Laborversuche bestätigten diese Beobachtungen. Die Meere könnten mit dem Klimawandel also lauter werden. Welche Auswirkungen das auf die Lebensräume haben kann, ist noch nicht abzusehen.

Das zweitlauteste Tier ist übrigens der Pottwal. Er nutzt bis zu 230 Dezibel laute Klickgeräusche zur Orientierung oder Ortung von Beute. Platz 3 belegt der Blauwal mit 180 Dezibel.
Das größte Tier der Erde erreicht damit das Niveau eines Gewehrschusses, der ebenfalls 180 Dezibel erreicht. Die Schmerzschwelle liegt allgemein bei etwa 130 Dezibel. Ein Diesel in 10 Metern Entfernung nagelt bei 90 Dezibel, der Rand einer Verkehrsstraße kann bis 80 Dezibel laut sein.

Wenn Sie also auf der Terrasse sitzen und den freien Tag genießen und just in dem Moment fällt dem Nachbarn ein, mit einem 96-Dezibel-Motormäher den Rasen zu mähen, dann bedenken Sie: Die Nachbarn des Pistolenkrebses haben es schwerer. Im Vergleich dazu wohnen Sie zum Glück nicht in unmittelbarer Umgebung eines echten Krachers des Meeres.

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(mawi)