20 Jahre Arch Linux: Profi-System mit Bastlerruf

Vor 20 Jahren erschien die erste Arch-Version. Die Distribution gilt heute als robustes System für Profis, doch sehen sich die Anwender auch Spott ausgesetzt.

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Torte mit brennenden HAPPY-Kerzen

(Bild: ritchielee CC-BY-SA 2.0)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Martin Gerhard Loschwitz
Inhaltsverzeichnis

Mit Geburtstagen in der Software-Welt ist es bekanntlich immer so eine Sache: Welcher Tag soll der richtige zum Feiern sein? Der Tag, an dem ein Mensch die Idee hatte, der Tag, an dem die Arbeit begonnen hat oder der Tag, an dem eine erste offizielle Version einer Software das Licht der Welt erblickte? Die meisten tendieren zu Option 3. Und nach diesen Maßstäben gilt heute: Happy Birthday Arch Linux! Die erste Version, 0.1 alias "Homer", gab der damalige Arch-Chef Judd Vinet nämlich am 11. März 2002 offiziell für die Öffentlichkeit frei. Grund genug, den Jubilar ins Rampenlicht zu rücken.

Ein Blick in das Release-Announcement von seinerzeit weckt nostalgische Gefühle: So lag Arch Linux 0.1 neben dem Linux-Kernel 2.4.18 auch XFree86 in der Version 4.2 sowie Mozilla in der Version 0.9.9 bei. Aus heutiger Sicht sind all diese Komponenten freilich ein Fall für die Software-Archäologie, damals war Arch Linux mit ihnen jedoch auf der Höhe der Zeit. In mancherlei Hinsicht war die Distribution ihrer Zeit sogar voraus: Von Anfang an verzichtete Judd Vinet etwa auf allzu ausufernde GUIs und Assistenten, die den Anwendern in die Quere kamen.

Stattdessen folgt Arch bis heute streng dem KISS-Prinzip ("Keep it simple, stupid"). Anders als bei den meisten modernen Desktop-Distributionen finden sich deshalb bis heute kaum grafisch ausgeführte Konfigurationsprogramme – denn in Form mehrerer Texteditoren für die Kommandozeile, so die Logik, stehen schließlich sehr potente Werkzeuge zur Verfügung, um das Verhalten des eigenen Systems zu steuern. Dass Arch dadurch automatisch eher die Profis unter den Linux-Nutzern anspricht, ist bewusst Teil des Konzeptes. Und weil Arch dieses Konzept konsequent durchhält, hat es im Verlauf der Jahre viele Benutzer hinzugewonnen, die mit den allzu komplexen Konfigurationswerkzeugen anderer Systeme schlicht nichts mehr anfangen konnten. Heute gilt der Arch-Purismus als modern und als eines der größten Assets der Distribution.

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Der Verzicht auf grafische Konfigurationswerkzeuge bedeutet dabei keinesfalls, dass Arch den Anwender nicht an verschiedenen Stellen durch Helferlein unterstützt. Pacman ist dafür ein gutes Beispiel: Der Paketmanager ist so alt wie die Distribution selbst, ist von seinem Funktionsumfang her durchaus mit RPM und dpkg vergleichbar, und kommt bei Arch – das ist eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Distributionen – für praktisch alle benötigte Zusatzsoftware zum Einsatz.

Während bei Debian & Co. also Zusatzsoftware, die nicht als .deb zur Verfügung steht, meist "wild" nach /usr/local installiert wird, bringen die meisten Nutzer von Arch Linux ihre Software zunächst in eine mit dem Arch Build System (ABS) kompatible Form und lassen Pacman dann die Installation erledigen. Überhaupt gilt der Compiler bis heute als eines der wichtigsten Werkzeuge der Distribution, denn das Arch Build System ist durchaus mit den ports-Ansätzen der großen BSD-Distributionen vergleichbar. Und wie dort erlaubt ABS es, das gesamte System mit eigenen Einstellungen neu zu kompilieren. Hinzu kommen die Arch User Repositories (AUR), die etwa mit Ubuntus PPAs vergleichbar sind und etliche Programme enthalten, die im offiziellen ABS fehlen.

Ein zentraler Unterschied zwischen Arch Linux und den meisten Distributionen war von Anfang an der Ansatz von Rolling Releases. Wer in grauer Vorzeit mal versucht hat, ein SUSE- oder Red-Hat-System von einer Version auf die nächste zu aktualisieren, erinnert sich an den Schrecken, den gerade Major-Updates regelmäßig mit sich brachten: Im blödesten Falle konnte man sein System danach vergessen und eine Neuinstallation durchführen. Dieser Ansatz ist bei Arch allerdings nie zum Einsatz gekommen. Stattdessen gilt seit 20 Jahren, dass die einzelnen Softwarepakete etwa im AUB durch Maintainer in regelmäßigen Abständen ebenso aktualisiert werden, wie das Grundsystem mit Installationsroutine auch. Ein einmal installiertes Arch Linux lässt ich mithin in seinen Einzelteilen kontinuierlich warten und aktualisieren, ohne die Keule eines Major-Updates zu benötigen. Auch das hat Arch über die Jahre viele Fans beschert, gerade bei den Profis.

In der Linux-Community kursiert seit Jahren ein Witz: Woran erkennt man einen Arch-Benutzer? Antwort: Er wird es einem sagen. Was wie eine Herabwürdigung klingt, ist dabei eigentlich ein Zeichen von Anerkennung: Während noch immer Desktop-Anwender bisweilen ihr System nach fehlgeschlagenen Updates retten oder neu installieren müssen und mit regelmäßig wechselnden Konfigurations-UIs geplagt sind, läuft ein Arch-System in aller Regel stabil und verursacht bis auf das regelmäßige Einspielen von Updates per AUB und Pacman wenig Ärger. Dass mancher Arch-Anwender es sich nicht verkneifen kann, genervte Nutzer der Konkurrenz auf diesen Umstand hinzuweisen, mag stimmen.

Doch ist die große Zuverlässigkeit von Arch eben auch ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt. In den vergangenen Jahren zeigte die Taktik zudem durchaus Wirkung, denn Arch hat seine Benutzerbasis kontinuierlich vergrößert. Heute gilt es als moderner Kontrapunkt zu den großen Desktop-Distributionen, bei dem Pragmatismus sehr viel wichtiger ist als Ideologie. Die Einführung von Systemd in Arch Linux in 2016 ist dafür ein gutes Beispiel: Während andere in der Community verwurzelte Systeme – etwa Debian – monatelang über Systemd stritten und dessen endgültige Einführung zum Teil sogar zu Forks wie Devuan führte, gab es in Arch eine kurze Diskussion, an deren Ende die Entwickler Systemd übernahmen. Auch und vor allem, weil dieses in den Augen der Entwickler den Init-Skripten von Arch zum damaligen Zeitpunkt bei Weitem überlegen war und insgesamt deutlich mehr Vorteile als Nachteile hatte. Zwar setzt Arch bis heute nicht jedes der in Systemd verfügbaren Features ein, doch große Diskussionen um die Software hat es seither auch nicht mehr gegeben.

In Summe ist Arch Linux mithin eine absolute Bereicherung für die Open-Source-Szene. Zu hoffen bleibt, dass seinen Entwicklern die Arbeit am Projekt weiterhin Freude bereitet und Arch uns allen noch lange erhalten bleibt. Happy Birthday, Arch!

(fo)