Türkisches Verfassungsgericht bestätigt Internet-Kontrolle

In der Türkei prüfte das Verfassungsgericht das neue Mediengesetz, das die Meinungsfreiheit in allen Medien und im Internet massiv einschränkt.

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Von
  • Ekkehard Jänicke

In der Türkei prüfte in der vergangenen Woche das Verfassungsgericht das neue Mediengesetz, das die Meinungsfreiheit in allen Medien und im Internet massiv einschränkt – Ergebnis: Die wesentlichen Beschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit wurden vom Gericht nicht beanstandet. In dem am Dienstag in Ankara der Öffentlichkeit übergebenen Urteil beanstandet der Verfassungsgerichtshof nicht, dass nach dem Gesetz Medien unter anderem verboten wird, "Pessimismus" zu verbreiten. Betreiber von Internetseiten müssen künftig sogar die Entwürfe ihrer Veröffentlichungen im Papierausdruck an die Regierung schicken, um eine amtliche Genehmigung zu erhalten, verlangt das Gesetz. Es soll sogar greifen, wenn Veröffentlichungen von Einwohnern der Türkei als Schwerpunkt für eine Zielgruppe in der Türkei gedacht sind, aber über ausländischen Medien oder Internetseiten zur Umgehung der Zensur verbreitet werden.

Der türkische Staatspräsident Necdet Sezer verwies das Gesetz Ende Mai an die Richter, nachdem es vom türkischen Parlament auch im zweiten Anlauf ohne Veränderungen verabschiedet wurde. Beim ersten Mal im vergangenen Jahr hatte der Präsident die Verabschiedung noch mit seinem Veto blockiert. Sezer, selbst ehemaliger Verfassungsrichter, fürchtet offenbar in erster Linie, dass die Chancen für einen EU-Beitritt der Türkei bei Inkrafttreten des Gesetzes auf einen Nullpunkt sinken könnten. Die EU-Kommission hat der Regierung in Ankara bereits offiziell unterbreitet, dass sie das Gesetz für nicht kompatibel mit den EU-Beitrittskriterien hält. Die Türkei ist eines von 13 Ländern, die der EU beitreten wollen, jedoch das einzige, mit dem darüber noch keine Verhandlungen geführt werden.

Auf Antrag von Staatspräsident Sezer hob das Verfassungsgericht nun 5 eher geringfügige Bestimmungen des im Mai erlassenen Änderungsgesetzes für die Aufsichtsbehörde von Funk und Fernsehen (RTÜK) auf. In vier zentralen Klagepunkten erklärte das Gericht das Mediengesetz für rechtskonform.

Zwar wird nach dem Urteil das türkische Parlament künftig nicht Aufsichtsratsmitglieder von RTÜK bestimmen können, weil dies ein ausführendes Organ sei und eine Bestimmung der Aufsichtsratsposten durch das Parlament dem Prinzip der Gewaltenteilung zuwiderlaufe. Auch zwei Unterabsätze, die das Anteilsrecht von Einzelpersonen oder Holdings an einzelnen Medien in Abhängigkeit von ihrer Reichweite (Einschaltquote) beschränken sollten, wurden aufgehoben.

Bei Verstößen gegen das neue Gesetz werden alle Medien und auch Internet-Publikationen mit hohen Geldbußen bedroht, einzig die Mindesthöhe von umgerechnet etwa 10.000 Euro erschien dem Verfassungsgericht zu hoch. Doch auch etwas darunter liegende Geldbußen genügen - angesichts der andauernden Wirtschaftsflaute in der Türkei - kleinere kommerzielle Anbieter in die Insolvenz zu treiben und für sich auf Spendenbasis finanzierende Menschenrechtsgruppen und politische Initiativen können derartige Geldbußen in der Regel sowieso das Aus bedeuten.

Der Hintergrund des Gesetzes besteht offenbar in der Absicht, noch vorhandene Schlupflöcher für kritische und unzensierte Berichterstattung in der Türkei zu stopfen. Türkische Journalisten berichten übereinstimmend, es bestünde seit Jahren ein "Gentlemen's Agreement" zwischen den die türkische Medienlandschaft dominierenden großen Mediengruppen. Dies lasse es nicht zu, dass Journalisten in eine andere Mediengruppe wechseln. Die großen Medienholdings unterhalten seit geraumer Zeit Nachrichten-Pools. Alle Berichte und Artikel werden in einen Topf geworfen, aus dem sich mehrere Zeitungen, Zeitschriften und Sender bedienen können; derselbe Bericht eines Journalisten erscheint häufig in mehreren Zeitungen gleichzeitig. Offenbar sind besonders die Journalisten, die sich immer wieder für die Rechte der Menschen einsetzen, am wenigsten in der Lage, ihre eigenen Rechte zu schützen.

Eine der Folgen ist, dass heute Tausende von Medienmitarbeitern ohne Arbeit sind. Immer mehr ehemalige Journalisten aus Funk und Fernsehen, sowie Zeitungsjournalisten und Buchautoren entdeckten daraufhin das Internet als Forum für eigene unzensierte Publikationen. Bei der größten Entlassungswelle der türkischen Mediengeschichte aus wirtschaftlichen und politischen Gründen seit dem Jahr 2000 verloren nach Erkenntnissen des kritischen Medienwissenschaftlers Hakan Kara bis 2001 bereits mehr als 3.000 Journalisten ihre Arbeitsplätze .

Siehe zu dem Thema auch:

(Ekkehard Jänicke) / (jk)