"Operation Safety Net": Wie die US-Polizei Aktivisten überwachte

Proteste und Demonstrationen gegen Polizeigewalt wurden mit einem High-Tech-Überwachungsprogramm beantwortet – und das lief länger, als die Behörden zugaben.

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(Bild: MS. TECH)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Tate Ryan-Mosley
  • Sam Richards
Inhaltsverzeichnis

Während des Mordprozesses gegen den ehemaligen Polizeibeamten Derek Chauvin, der sich am 25. Mai 2020 in Minneapolis mehrere Minuten lang auf den Hals des 46-jährigen Afroamerikaners George Floyd gekniet und ihn dadurch erstickt hatte, war die Operation Safety Net (OSN) eingerichtet worden: eine Task Force aus Bundes-, Landes- und Ortspolizei zur Überwachung von Protesten in Minnesota.

Trotz der öffentlichen Bekanntgabe, dass die Operation nach Abschluss des Prozesses eingestellt worden sei, hat sie danach allerdings im Geheimen weitergearbeitet. Das geht aus E-Mails und Dokumenten hervor, die der US-Ausgabe von MIT Technology Review vorliegen. Die Einsatzkräfte hielten demnach im Rahmen von OSN regelmäßige Treffen ab, führten polizeiliche Maßnahmen durch, stimmten sich eng untereinander ab und aktualisierten nachrichtendienstliche Dokumente bis mindestens Oktober 2021, also weit über die öffentlich angekündigte "Demobilisierung" des Projekts im April 2021 hinaus.

Offiziell eingerichtet, um während Chauvins Prozess für Sicherheit zu sorgen, weitete sich die OSN rasch über den angekündigten Umfang hinaus aus. Als eine Polizistin aus dem nahe gelegenen Brooklyn Center, Minnesota, nur wenige Tage vor dem Urteilsspruch gegen Chauvin den 20-jährigen Afroamerikaner Daunte Wright bei einer Kontrolle erschoss, überwachte die OSN die Proteste, die daraufhin in dem Vorort von Minneapolis ausbrachen. Die Operation war dort und in der gesamten Region auch im Jahr 2021 aktiv. Obwohl OSN in Minnesota angesiedelt ist, ging ihre Wirksamkeit weit darüber hinaus: durch den Einsatz von Technologie, die Demonstranten de-anonymisierte, aber auch Aktivisten überwachte und sogar die Arbeit von Journalisten tangierte.

MIT Technology Review konnte aufzeigen, dass elf Behörden auf Bundes-, Staaten- und Lokalebene eine gemeinsame Befehlseinheit mit einem immens leistungsfähigen Überwachungsapparat bildeten. Dadurch war es für Protestierende erheblich schwerer, anonym zu bleiben – obwohl der Oberste Gerichtshof der USA dieses Recht als Kernbestandteil der Meinungsfreiheit bestätigt hat. Auf die Frage, ob OSN noch aktiv ist, wurde sowohl in internen Mitteilungen als auch in Erklärungen gegenüber MIT Technology Review behauptet, dass die Operation "nicht existiert". Doch es gab Beweise dafür.

Noch in derselben Woche, in der Derek Chauvin schuldig gesprochen wurde, erweckten öffentliche Erklärungen von Beamten auf Pressekonferenzen und lokale Nachrichtenberichte den Eindruck, dass die OSN in eine "Ruhephase" eintrete, wenn auch mit der Aussicht, die Arbeit später wieder aufzunehmen. Am 22. April twitterte die Leitung: "Update: Wir befinden uns in Phase vier von OSN. Diese beinhaltet eine Reduzierung der Ressourcen mit der Möglichkeit, sie bei Bedarf schnell wieder zu erhöhen." Seitdem hat die Organisation weder in den sozialen Medien gepostet noch eine Pressekonferenz abgehalten.

Offiziell hieß es, der Betrieb werde Ende April 2021 eingestellt, mit Ausnahme einiger Planungstreffen für künftige Verfahren. E-Mails von Juli bis November 2021, die durch eine Anfrage bei der Stadt Minneapolis an die Öffentlichkeit gelangten, zeigen jedoch, dass OSN weiterhin aktiv war: Ohne dies öffentlich zu machen, gab die Operation Richtlinien für den Umgang mit Protesten heraus, die nichts mit dem Mord an George Floyd oder den Prozessen gegen die beteiligten Beamten zu tun hatten. Im Oktober 2021 reagierte die Polizeibehörde von Minneapolis auf Proteste im Stadtteil Uptown nach der Tötung von Winston Smith. Polizisten hatten den Afroamerikaner am 3. Juni 2021 in Minneapolis erschossen, als sie ihn wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Waffenrecht festnehmen wollten. Interne Planungsdokumente mit dem Titel "Operations Plan/Operation Safety Net" ("Einsatzplan/Organisation Sicherheitsnetz") erläuterten, wie die Beamten bei Verhaftungen vorgehen, wie sie Demonstranten festhalten und welche allgemeine Rollen sie spielen sollten.

Die Dokumente bestätigten unter anderem die von den Demonstranten kritisierte neue Taktik, Demonstranten zu verhaften, ohne ihnen zu sagen, unter welchem Vergehen diese erfolgt – und sie entweder einige Straßen entfernt wieder abzusetzen oder in ein Gefängnis zu bringen. So nahm sich das Minneapolis Police Department heraus, Gründe für Festnahmen erst später nachzuliefern.

Auf eine Anfrage von Technology Review antwortete das Minneapolis Police Department: "OSN war eine geplante Reaktion auf den Chauvin-Prozess. Als dieser Prozess endete, wurde die OSN-spezifische Operation beendet". Außerdem wies das Department darauf hin, dass Zusammenarbeit unter Strafverfolgungsbehörden üblich ist. "Die Arbeit wird in einem alltäglichen Rahmen fortgesetzt, der die gegenseitige Hilfe zwischen den Behörden unterstützt."

In einem Brief der obersten Führungsebene zur "Prozesskoordination" vom 23. September 2021 heißt es zum Zeitplan für das Ende der Operation: "Datum folgt noch." Dies steht im Widerspruch zu den Erklärungen im Namen von OSN gegenüber der Presse, die besagen, dass die Operation im April letzten Jahres eingestellt worden sei.