"Operation Safety Net": Wie die US-Polizei Aktivisten überwachte

Seite 2: „OSN existiert nicht mehr“

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In einer E-Mail an MIT Technology Review vom 25. Oktober 2021 sagte Doug Neville, ein Sprecher von OSN und stellvertretender Leiter der Kommunikationsabteilung der Abteilung für öffentliche Sicherheit, dass es sich nicht um eine laufende Operation handele. In einer internen E-Mail, die ebenfalls von Neville im Oktober 2021 verschickt wurde, heißt es: "OSN existiert nicht mehr."

Auch dies steht im Widerspruch zu den Dokumenten. Die als "Executive", "Intelligence" und "Communications" bezeichneten Teams der OSN trafen sich regelmäßig. Es wurden auch weiterhin Bestellungen für Polizeiausrüstung im Rahmen des Projekts aufgegeben. So hatte ein Sergeant der Polizeibehörde von Minneapolis vor dem Chauvin-Prozess bei Grainger, einem Händler für Industriebedarf, per E-Mail drei Artikel – welche genau, bleibt unklar – für SWAT-Einsätze angefordert.

SWAT bezeichnet taktische Spezialeinheiten innerhalb einer Polizeibehörde, in etwa vergleichbar mit Spezialeinsatzkommandos in Deutschland. Dem E-Mail-Verkehr zufolge wurden die Artikel im Sommer letzten Jahres nicht geliefert. Aber im August, also nach dem Prozess, bat der Beamte darum, dass sie geliefert werden, weil "das SWAT-Team sie für folgende Prozesse noch benötigt".

Was die erwähnten OSN-Teams im Einzelnen tun, ist unklar: Auf Bitte seitens MIT Technology Review um Klärung antworten die an OSN beteiligten Behörden, dass "gegenseitige Hilfe" und "gemeinsames Vorgehen" an der Tagesordnung seien – auch während Gerichtsverfahren außerhalb des George-Floyd-Falls. "Wie bei jedem Ereignis, das mehrere Behörden oder Regierungsstellen betrifft, trafen sich die Gruppen, um zu besprechen, wie die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten ist", schrieb das Minneapolis Police Department. "Diese Beziehungen bestehen weiter. OSN ist nicht mehr aktiv."

In dem analysierten E-Mail-Verkehr von Oktober 2021 wurden jedoch Treffen von "OSN Communications", "OSN Executive Team" und dem "OSN Intelligence Team" erwähnt. Das bezog sich auf Vorbereitungen gegen mögliche Proteste im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Kim Potter, jene Polizistin, die Daunte Wright getötet hatte. Ebenso ging es um die Prozesse gegen die drei anderen Polizisten, die im Zusammenhang mit dem Mord an George Floyd angeklagt waren. (Potter wurde des Totschlags für schuldig befunden und im Februar 2022 verurteilt; die drei am Mord an Floyd beteiligten Beamten wurden im Februar vor einem Bundesgericht für schuldig befunden und warten derzeit auf ihr Urteil.) In einer E-Mail an das Führungsteam wird in der Tagesordnung von den laufenden Plänen als „OSN 2.0" gesprochen. Dazu sagt Bruce Gordon, ein Sprecher des Ministeriums für öffentliche Sicherheit in dem Bundesstaat, dass diese Erwähnung "informell" war und dass "es nie ein OSN 2.0 gegeben hat und auch jetzt nicht gibt".

Seit der letzten Anfrage im Oktober letzten Jahres wurden die gemeinsamen Dateien der "intelligence"-Gruppe, über die sich die Strafverfolgungsbehörden austauschen, weiter ergänzt und aktualisiert. Die Gruppe traf sich regelmäßig, wie aus E-Mails von zwölf Personen, darunter zwei beim FBI, hervorgeht. Auf Anfrage von MIT Technology Review sagte Cynthia Barrington vom FBI, dass sich die Aktivitäten der Behörde auf den Austausch von Informationen "durch staatliche und regionale Fusionszentren" erstrecken. (Diese Zentren waren einst für den Kampf gegen Terrorismus als behördenübergreifende Einrichtungen gebildet worden, um den Datenaustausch zu erleichtern.)

"Dies war der Fall im Vorfeld des Prozesses gegen den ehemaligen Polizeibeamten Derek Chauvin aus Minneapolis, sowie bei den Vorbereitungen für nachfolgende Prozesse im Zusammenhang mit den jüngsten öffentlichkeitswirksamen Strafverfolgungen." Barrington räumte damit ein, dass das FBI auch an Vorkehrungen gegen mögliche Proteste beteiligt war, die nicht mit dem Prozess gegen Chauvin im Zusammenhang standen.

"Das 'Intel Team' ist dem Namen nach eine E-Mail-Gruppe lokaler, staatlicher und bundesstaatlicher Behörden mit Strafverfolgungsaufgaben während des OSN", sagt Ministeriumssprecher Gordon. "Diese Behörden sind an der Planung anderer Veranstaltungen beteiligt, und dieselbe Gruppen-E-Mail kann auch für andere, nicht damit zusammenhängende Planungen verwendet worden sein. Alle beteiligten Behörden haben weiterhin Aufgaben im Zusammenhang mit der öffentlichen Sicherheit, die nicht mit der Auflösung von OSN enden.“

Munira Mohamed, eine Mitarbeiterin der US-Bürgerrechtsorganisation ACLU in Minnesota, sagt, dass die "Durchlässigkeit" solcher gemeinsamen Strafverfolgungspraktiken "viele Schlupflöcher lässt, um öffentliche Kontrolle und Überwachung zu umgehen". Die weiterlaufenden OSN-Aktivitäten seien eine "schleichende Ausweitung der Aufgaben". Und: „Die Geschichte der Überwachung und dieser Strafverfolgungsbehörden zeigt, dass, sobald die Infrastruktur für etwas eingerichtet ist, sie weiter genutzt und zu einer permanenten Infrastruktur wird."

Obwohl unklar ist, inwieweit das Programm formal weiterläuft, sind viele der für OSN eingerichteten Teams, Arbeitsabläufe und Kommunikationsstrukturen bis heute in Kraft und werden für Maßnahmen gegen Proteste genutzt. Ein Sprecher des Minneapolis Police Department teilte MIT Technology Review per E-Mail mit, dass die Behörde nach Abschluss von OSN am Freitag, dem 23. April, zum normalen Betrieb zurückgekehrt sei. Die Bitte um eine Stellungnahme dazu, was das heißt, wurde abgelehnt.

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