Zahlen, bitte! Als das Leben im Jahr 2012 noch Zukunftsmusik war

US-Ingenieure malten sich 1962 aus, wie das Leben in 50 Jahren aussehen könnte. Manche Vorhersagen waren fantasievoll absurd, andere erstaunlich zutreffend.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Vor 60 Jahren lies das Institute of Radio Engineers eine 1200 Seiten starke Ausgabe seiner "Proceedings of the IRE" in einer Auflage von 100.000 Exemplaren drucken. Dieser wahrlich fette Brocken von einer Zeitschrift sollte an die Gründung der IRE am 13. May 1912 erinnern, als das Wireless Institute mit der Society of Wireless Telegraph Engineers fusionierte und so das Institut der Radio-Ingenieure entstand. Jede der 29 Fachgebiete des IRE lieferte Übersichtsartikel vom aktuellen Stand der Technik anno 1962.

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Hinzu kamen rund 100 Seiten, auf denen bekannte IRE-Mitglieder sich vorstellten, wie der Stand der Technik in 50 Jahren, also im Jahre 2012 aussehen könnte, wenn das IRE seinen 100. Geburtstag feiert. Dazu kam es nicht: bereits im Jahre 1963 fusionierte die IRE mit dem American Institute of Electrical Engineers und es entstand das heute noch existierende, sehr einflussreiche Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE), heute der größte Wissenschaftsverband mit über 400.000 Mitgliedern in 160 Ländern.

Das Schmökern im Geburtstagsband ist aufschlussreich, nicht nur, was die zahlreichen Prognosen zukünftiger Technologien anbelangt. 1962 ist der "Kalte Krieg" in vollem Gang und sollte mit der Kubakrise im Oktober seinen Höhepunkt erreichen. So schrieb Edward E. David Jr., der spätere Technologie-Berater von US-Präsident Richard Nixon in seinem Bericht über den Stand der computerunterstützten Sprach- und Schrifterkennung: "Sicher werden mir alle zustimmen, dass wir über diese automatisierten Eingabetechnologie vor den Russen verfügen müssen, aber es ist nicht so klar, ob wir sie in nächster Zeit als praktikable Eingabemöglichkeit für Computer brauchen."

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

David war damals bei den Bell Laboratories Leiter der Abteilung für Spracherkennung. 1962 konnte sein Computer einzelne, deutlich gesprochene Worte erkennen, während die Schrifterkennung noch auf gerade in der Entwicklung befindliche Schrift OCR-A beschränkt war.

Satellitentechnik vom Stand 1962: Mariner 2, die trotz Pannen erfolgreich die Venus passierte, den Sonnenwind entdeckte und viele Daten sammelte.

Peter Goldmark, Leiter des Forschungslabors des Fernsehsenders CBS an der Universität Stanford, beschäftigte sich in seinem Artikel mit der Zukunft der Kommunikation über erdnahe Satelliten und meinte, dass diese wohl durch russische Raketen zerstört werden, ehe sie genutzt werden können. Immerhin ist seine Vorhersage für das Jahr 2012 einigermaßen originell: Auf Basis der Computertechnologie werden die Regierungen "Prediktoren" unterhalten, die Wahrscheinlichkeiten berechnen und frühzeitig Fehlentwicklungen erkennen. "Als Resultat dieser Technik werden wir die friedvolle Koexistenz der Systeme genießen können, die uns das Gefühl des Wohlbefindens und der Sicherheit geben".

Technisch sagte Goldmark für 2012 dreidimensionales Farbfernsehen und eine Kabelkommunikation mit 120 Megabit voraus. In ähnlicher Weise wie Goldmark prognostizierte der MIT-Forscher Jerome B. Wiesner die Existenz von "Thinking Machines" für die Zukunft. Wiesner war 1962 der Technologieberater von Präsident John F. Kennedy. Später geriet er auf die Liste der 20 Wissenschaftler, die Präsident Nixon wegen ihrer Abrüstungsvorschläge aus der Forschung entfernen wollte.

Proceedings of the IRE stellt vor: Die modernsten Computersysteme des Jahres 1962 – IBM 1401 (links unten), Control Data 1604 (links), Honeywell 800 (mitte), Bendix G-20 (rechts), Scribe Scoring-Machine-System (halb rechts unten). Nicht im Bild: UNIVAC

(Bild: Autor)

Für Wiesner war der Digitalcomputer die bedeutendste Erfindung der letzten beiden Jahrzehnte. Er glaubte, dass sie von der Rechengeschwindigkeit und Speicherfähigkeit das menschliche Denken übertreffen können. "Man kann sogar die Hoffnung hegen, dass diese 'denkenden Maschinen' es uns ermöglichen, die enormen und ärgerlichen sozialen Probleme zu lösen, die uns diese technologische Revolution hinterlässt."

Bereits 1962 gab es unter den IRE-Mitgliedern Pessimisten, die dem Computer nicht über den Weg trauten. So schrieb Robert M. Bowie, Vizepräsident von General Telephone and Electronics (GTE), dass 2012 das weltweit umspannende Computernetz die Wasserstoffbombe als größte Bedrohung der Menschheit abgelöst haben wird. "Die untereinander verbundenen Computer werden die Fähigkeit haben, sich selbst zu programmieren und so ein eigenes Bewusstsein vom Wert ihrer Existenz entwickeln. Das größte Problem der Wissenschaftler wird es dann sein, dagegen Sicherheitsvorkehrungen zu entwickeln. Man stelle sich ein Computersystem vor, dass so sehr die ökonomischen Transaktionen kontrolliert, dass die Menschheit davon abhängig wird und Angst hat, es abzuschalten." Ein solches Computersystem könnte dazu übergehen, die Menschheit zu erpressen.


Technik Anno 2012: Marsrover Curiosity nach der erfolgreichen Landung auf dem Nachbarplaneten. Der Roboter ist noch weit davon entfernt, für Menschen ein Risiko darzustellen.

(Bild: NASA/JPL-Caltech)

Noch härter und kürzer brachte es ausgerechnet der Computerpionier John Presper Eckert zum Ausdruck. Eckert hatte zusammen mit John Mauchly 1945 den ENIAC gebaut, den ersten programmierbaren Universalrechner. Eckert sah das Jahr 2012 und die anschließende noch fernere Zukunft ziemlich skeptisch: "Ich hoffe, wir werden dann wenigstens das Integrationsproblem zwischen den menschlichen Rassen gelöst haben, ehe wir das Problem angehen, die Integration mit Robotern zu lösen.

Unser echter Bewährungstest liegt nämlich in den nächsten 50 Jahren nach 2012, wenn die Menschheit selbst reproduzierende Automaten entwickelt hat, die sich fortlaufend selbst verbessern." Mit diesem Sätzen spielte Eckert auf das Jahr 2058 an, in dem nach einer Kurzgeschichte des Science-Fiction-Autors Isaac Asimov drei Robotergesetze in Kraft treten, um die Menschheit zu schützen. Eckert nannte die Gesetze in einem anderen Artikel "idiotisch".

Einer der beiden ausländischen Beiträge im Jubiläumsband der IRE kam aus der Schweiz von Franz Tank, damals emeritierter Professor für Hochfrequenztechnik an der ETH Zürich. Tank verwies auf einen Vortrag, den Werner von Siemens im Jahre 1886 gehalten hatte. In ihm ist von einer durch Techniker gestalteten schönen neuen Welt ohne harte Arbeit die Rede, in der alle Menschen ernährt und eingekleidet werden können. Auf den überaus optimistischen Vortrag von Siemens antwortete seinerzeit der Schweizer Historiker Jacob Burkhardt. Er prognostizierte, dass der Menschheit statt der schönen Utopie mehrere schwere Weltkriege drohten.

Mit Burkhardt argumentierte denn auch Frank Tank. Bedingt durch der drastischen Miniaturisierung und der Elektronifizierung weiter Bereiche werde der Bedarf an seltenen Materialien steigen und damit auch die Bedrohung durch neue Kriege um Ressourcen, gab sich Tank skeptisch: "Die Bevölkerung der Erde wird 2012 enorm zugenommen haben. Menschen werden extrem eng zusammenleben müssen. Daraus entstehen neue soziale Probleme. Benötigte Rohmaterialien, wie sie für die Elektronifizierung wichtig sind, werden rarer. Ein Stadium der Sättigung oder gar Erschöpfung kann eintreten.

Jede weitere Entwicklung bedarf dann noch größerer Anstrengungen. Eine höhere technologische Ebene wird der Menschheit weder mehr Macht noch mehr Glück bringen." Einen Ausweg sieht Tank nur, wenn die Ingenieure das Streben nach Glück ins Auge fassen. "Selbst wenn wir heute nicht wissen, wie 2012 der Stand der Technik aussehen wird und wir nur Vermutungen anstellen können, so wollen wir doch an eine bessere Zukunft glauben. Die Vereinigten Staaten von Amerika sollten für eine bessere und glücklichere Welt arbeiten. Was für eine Aufgabe von historischer Wichtigkeit!"

Der andere Beitrag aus dem Ausland kam übrigens vom japanischen Fax-Erfinder Yasujiro Niwa, damals Präsident des Electronic Engineering College in Tokio. Für 2012 sagte er voraus, dass alle Menschen "a handy superhigh-frequency transmitter" mit sich tragen werden, mit dem sie jederzeit überall auf der Erde andere Menschen erreichen können. Weil Menschen auf der Erde verschiedene Sprachen sprechen, werde eine Elektronik dafür sorgen, dass die Gespräche simultan übersetzt werden.

Mit welchen anderen Prognosen für 2012 die Wissenschaftler und Elektroingenieure richtig lagen, erzählt das nächste "Zahlen, bitte!"

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(mawi)