Ukraine-Krieg: Gräuel in Butscha – wieviel Krieg deutsche Medien zeigen

Diese Kriegsbilder bekommt man nicht mehr aus dem Kopf. Die vielen Toten in dem ukrainischen Ort stellen Medien vor die Frage, wie viel Gräuel man zeigen soll.

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(Bild: Photo Kozyr/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Anna Ringle
  • dpa
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Das Gefühl, der Kopf rauscht. Und ein eiskalter Schauer läuft den Rücken hinunter – weil man unfassbare Aufnahmen aus dem ukrainischen Ort Butscha sieht. Jeder Krieg bringt seine grauenvollen Bilder hervor. Manche brennen sich in das Gedächtnis der Menschheit ein. Dieser Krieg ist anders als frühere: Im Internet kann man ihn an vielen Stellen quasi in Echtzeit verfolgen, ungefiltert. Für deutsche Medienhäuser ist die Berichterstattung eine Gratwanderung.

Am Wochenende erreichen die Bilder und Videos vom Krieg eine neue Dimension. International macht sich Entsetzen breit. In Butscha werden Hunderte Leichen entdeckt, nachdem russische Truppen abgezogen waren. Tote liegen auf der Straße. Erschossen. Ihre Hände sind auf dem Rücken gefesselt. Das Bundesfamilienministerium gibt am Montag zu Bedenken: "Die Bilder aus der ukrainischen Stadt Butscha sind erschreckend und furchtbar. Sie können insbesondere bei Kindern und Jugendlichen Unsicherheiten und Verängstigungen hervorrufen." Das Ministerium verweist auf eigene Hilfsangebote für Eltern, wie sie mit Kindern über den Krieg sprechen können.

Das TV bringt den Krieg in deutsche Wohnzimmer. Zeitungen drucken Fotos. Im Netz verbreiten Medien bei der Berichterstattung auch Bilder. Man sieht Leichen mal aus näherer, mal aus weiterer Entfernung. Gesichter oder ganze Körper werden gepixelt.

Die Boulevardzeitung "Bild" zeigt auf der Titelseite (Montag) das Foto einer Hand von einer ermordeten Frau und veröffentlicht weitere mit verpixelten Gesichtern. Chefredakteur Johannes Boie schreibt in einem Kommentar: "Es sind furchtbare Aufnahmen. Man möchte weggucken. Aber es ist wichtig, dass wir hingucken. Dass SIE, liebe Leserinnen und Leser, Bescheid wissen, was Putin tut." Ein "Bild"-Sprecher teilte mit, man überlege bei jedem Foto genau, warum es veröffentlicht werde oder nicht. Zur Berichterstattung über den Krieg gehöre auch, Gräuel zu zeigen. Dem gegenüber stehe der Schutz der Leser und Zuschauer sowie die Würde der Opfer und Toten.

Auch das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zeigt Bilder von Toten aus Butscha, aber nicht alle. Man achte darauf, dass Menschen nicht erkennbar seien, man gebe auch Warnhinweise an Nutzer. Die Zeitschrift sprach von einer Gratwanderung, aber wenn es um die Dokumentation möglicher Kriegsverbrechen gehe, "entscheiden wir uns im Zweifel oft für eine Veröffentlichung."

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die ebenfalls Butscha-Bilder etwa auf ihrer Titelseite publiziert, teilte mit: "Unser Anliegen ist es, dass die Würde der abgebildeten Menschen nicht verletzt wird." Man vermeide, Fotos von erkennbaren Leichen – etwa deren Gesichter – zu zeigen. Man versuche Bilder zu finden, "die die jeweilige Szenerie etwas weiter aufgefasst zeigen und möglichst viel Information und Kontext bieten."

Von ARD-aktuell ("Tagesschau" und "Tagesthemen") ist zu hören: "Es ist unser journalistischer Auftrag, den Krieg abzubilden, ohne die Situation vor Ort zu verharmlosen." Man achte zugleich darauf, eine entwürdigende Darstellung von Toten oder Verletzten zu verhindern. "Soweit es geht, zeigen wir keine Naheinstellungen, dies schließt Gesichter mit ein."

Die Sender RTL und ntv zeigen Bilder von Butscha als "Dokumente der Zeitgeschichte". Die Würde der Opfer stehe über allem, man zeige nur bestimmte Ausschnitte, heißt es. Die "heute journal"-Redaktion erläuterte: "Wir wählen sehr bewusst aus, was wir zeigen – und was nicht." Es sei wichtig, die Würde der gezeigten Menschen zu achten: "So werden keine Gesichter von toten Menschen gezeigt." In der Redaktion diskutiere man Fragen wie: Was können wir unseren Zuschauern zumuten, was nur verpixelt, was ist zu viel?

Auch die Nachrichtenagentur dpa hat Bilder von den Gräueltaten aus Butscha verbreitet. Die stellvertretende Chefredakteurin und Chefin Visuelles der Deutschen Presse-Agentur (dpa), Silke Brüggemeier, sagte: "Als Nachrichtenagentur ist es unsere Pflicht, die Bilder, die die brutale Dimension eines Krieges zeigen, nach sorgfältiger und gründlicher Einzelüberprüfung zu verbreiten." Es sei vor allem auch eine gesellschaftlich relevante Rolle, die dabei eine Nachrichtenagentur übernehmen müsse: "Wir müssen unseren Kunden diese schrecklichen Bilder zur Verfügung stellen, damit sich die Menschen ein Bild von der Situation machen können. Ein Weglassen dieser Bilder würde der Wahrheit nicht gerecht werden."

Anders als an vielen Stellen in den Sozialen Medien, denen in diesem Krieg eine wichtige Bedeutung zukomme, überprüfe und verifiziere man die Bilder und treffe sorgsame Einzelfallentscheidungen. "Man kann einer solchen Situation nie gerecht werden, aber als Agentur müssen wir dafür Sorge tragen, Kriegsgeschehnisse einzuordnen", ergänzte Brüggemeier.

Diese Eindrücke aus den Häusern spiegeln Richtlinien von Medienaufsichtsstellen wider, die als Kompass gelten. Im Pressekodex des Deutschen Presserats heißt es etwa: "Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse."

Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) ist eine Einrichtung des Jugendmedienschutzes. Die hauptamtliche FSF-Prüferin Brigitte Zeitlmann führte aus: Bei Darstellung von leidenden oder toten Menschen sei die Menschenwürde zu berücksichtigen. Diese sei verletzt, wenn die Dargestellten zum Objekt herabgewürdigt werden. Es gelte der postmortale Würdeschutz. "Eine Identifizierbarkeit von Toten sollte nicht möglich sein."

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In den vergangenen Jahren sei eine Diskrepanz zwischen Darstellungen, die privat über Messenger-Dienste im Netz verbreitet werden und den vornehmlich zurückhaltenden Darstellungen bei TV-Sendern zu verzeichnen. Die Sender agierten dabei nach ihrer Einschätzung sensibel mit dem Opferschutz und böten einen sicheren Rahmen zur Rezeption von aktuellen Gewalttaten, sagte die Prüferin.

Die Gefahr von Online-Desinformationen habe stark zugenommen, heißt es von RTL und ntv. Anders als bei Social Media setze man die Bilder in einen journalistischen Kontext und ordne sie ein. "Zudem prüfen wir das Material, das uns via Social Media erreicht, auf seine Echtheit mit unserem Verifizierungsteam." Damit stehen sie stellvertretend für viele Medienhäuser.

Dem Presserat liegen bislang nur vereinzelte Beschwerden zu Fotos aus dem Ukraine-Krieg vor, über die Berichterstattung aus Butscha bislang noch keine. "Unser Eindruck ist, dass die Presse bisher sorgfältig mit den Fotos umgeht", sagte Presserats-Sprecherin Kirsten von Hutten.

Vom Bundesfamilienministerium heißt es, dass Bilder, die die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen gefährden können, von der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz nach Prüfung in eine Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen werden können. "Ob die zurzeit vorliegenden Bilder aus Butscha in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen werden könnten, kann nur im Rahmen eines Indizierungsverfahrens unter Abwägung von Jugendschutz einerseits und Meinungsfreiheit-, Presse- und Informationsfreiheit andererseits geprüft werden." Bislang liegt laut Ministerium kein Antrag vor.

(mho)