Affäre um "CRISPR-Babys": Forscher wird aus chinesischem Gefängnis entlassen

He Jiankui schuf die ersten Kinder, deren DNA mit der Gen-Editierungsmethode verändert wurden. Nun kommt er nach drei Jahren Haft frei.

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Baby

(Bild: paulaphoto/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Antonio Regalado
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Ein chinesischer Biophysiker, der hinter umstrittenen Versuchen steckte, bei denen erstmals Kinder mit durch die Gen-Editierungsmethode CRISPR verändertem Erbgut auf die Welt kamen, ist nach einer dreijährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen worden. He Jiankui schockierte 2018 mit der erstaunlichen Behauptung die Welt, er habe das Erbgut von mittels In-Vitro-Fertilisation (IVF) erzeugten Embryonen verändert und sie in die Gebärmutter einer Frau eingepflanzt. Dies soll zur Geburt von Zwillingsmädchen geführt haben. Ein drittes "CRISPR-Baby" wurde im folgenden Jahr geboren.

Nach der internationalen Verurteilung des Experiments wurde He Jiankui zunächst unter Hausarrest gestellt und anschließend inhaftiert. Im Dezember 2019 wurde er dann von einem chinesischen Gericht verurteilt. Im Beschluss der Richter heißt es, der Forscher habe "vorsätzlich gegen medizinische Vorschriften verstoßen" sowie "Techniken zur Geneditierung vorschnell auf die assistierte Reproduktionsmedizin beim Menschen" angewendet.

Die Entlassung des Wissenschaftlers aus dem Gefängnis wurde von Personen bestätigt, die mit der Situation vertraut sind. Zudem ging er an sein Mobiltelefon, wollte sich auf Nachfrage aber nicht äußern. "Es ist nicht günstig, jetzt zu sprechen", sagte er gegenüber der US-Ausgabe von MIT Technology Review, bevor er auflegte.

Das Team um He, das an der Southern University of Science and Technology in Shenzhen gearbeitet hatte, nutzte die Gentechnik CRISPR, um die DNA der Babys laut eigenen Angaben so zu verändern, dass sie gegen eine Infektion mit HIV resistent sind. Es ist unklar, ob He Pläne hat, in die wissenschaftliche Forschung in China oder in einem anderen Land der Erde zurückzukehren. Menschen, die ihn kennen, haben den Biophysiker, der in den USA – an der Rice University und in Stanford – ausgebildet wurde, jedoch als "idealistisch, naiv und ehrgeizig" beschrieben.

Bevor die Welt des Forschers um ihn herum zusammenbrach, glaubte er noch, einen neuen Weg zur "Kontrolle der HIV-Epidemie" gefunden zu haben, der für einen Nobelpreis in Frage käme. Die Existenz des CRISPR-Baby-Projekts wurde der US-Ausgabe von MIT Technology Review am Vorabend eines internationalen Genom-Editing-Gipfels in Hongkong aufgedeckt, der für November 2018 geplant war. Nach dem Bericht stellte He sofort mehrere Videos auf YouTube ein, in denen er die Geburt der Zwillinge ankündigte, die er "Lula" und "Nana" nannte.

Das Experiment stieß auf heftige Kritik in der Welt der Forschung – auch in China. Wissenschaftler erklärten, das Genome Editing sei medizinisch wenig sinnvoll und könnte Fehler in das Erbgut der Mädchen eingebracht haben. Die Beschreibung der Experimente wurde nie in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht. MIT Technology Review erhielt später Entwürfe seiner Arbeit, die laut einem Experten mit "ungeheuerlichen wissenschaftlichen und ethischen Fehlern" behaftet war.

Der Forscher verbrachte rund drei Jahre in chinesischen Gefängnissen, darunter eine Zeit lang in Untersuchungshaft, während er auf seinen Prozess wartete. Seit seiner Freilassung steht er in Kontakt mit Mitgliedern seines wissenschaftlichen Netzwerks in China und im Ausland. Während die Verantwortung für das Experiment bei He und anderen chinesischen Teammitgliedern lag, wussten auch weitere Wissenschaftler von dem Projekt – und unterstützten es sogar. Dazu gehörten Michael Deem, ein ehemaliger Professor an der Rice University, der an dem Experiment beteiligt war, sowie John Zhang, Leiter einer großen IVF-Klinik in New York, der Pläne zur Vermarktung der Technologie hatte.

Deem verließ seinen Posten an der Rice University im Jahr 2020, aber die Universität hat nie irgendwelche Erkenntnisse oder Erklärungen über ihre Beteiligung an der Schaffung der CRISPR-Babys veröffentlicht. Deems LinkedIn-Profil listet nun eine Anstellung bei einer von ihm gegründeten Energieberatungsfirma auf.

"Es ist ungewöhnlich, dass [He Jiankui] und einige seiner Kollegen für dieses Experiment inhaftiert wurden", sagt Eben Kirksey, außerordentlicher Professor am Alfred Deakin Institute in Australien und Autor von "The Mutant Project", einem Buch über Hes Experiment, das Interviews mit einigen der Beteiligten enthält. "Gleichzeitig wurden viele seiner internationalen Mitarbeiter – wie Michael Deem und John Zhang – nie für ihre Beteiligung bestraft oder offiziell verurteilt."

In vielerlei Hinsicht sei der Gerechtigkeit nicht Genüge getan worden, sagt Kirksey. He, der eine Frau und Kinder hat, zahlte einen hohen Preis. Er wurde aus seinem Job an der Universität entlassen und verbrachte einige Zeit in einem Gefängnis, das weit von seiner Heimatstadt Shenzhen entfernt liegt. Und seine Strafe scheint weitere Experimente mit Genome-Editing zur Herstellung von Babys zu verzögern, zumindest in China. In den USA ist das Verfahren aufgrund eines Gesetzes, das es der Gesundheitsaufsicht FDA verbietet, solche Studien überhaupt zu genehmigen, praktisch verboten.

Es stellt sich auch die Frage nach Gerechtigkeit für die drei betroffenen Kinder, die als Ergebnis des Experiments geboren wurden und deren Identität bislang nicht öffentlich bekannt ist. Ihre Eltern haben dem Experiment zugestimmt, weil ihre Väter HIV-positiv sind und sonst nach den chinesischen Richtlinien keinen Zugang zu IVF gehabt hätten.

Im Februar forderten zwei hochrangige chinesische Bioethiker laut einem Bericht in "Nature" die chinesische Regierung auf, ein Forschungsprogramm zur Überwachung der Gesundheit der CRISPR-Kinder einzurichten. Sie stuften die Kinder als "gefährdete Gruppe" ein und forderten Genanalysen, um festzustellen, ob ihre DNA genetische Fehler enthalten, die sie an künftige Generationen weitergeben könnten.

Kirksey glaubt, die Studienteilnehmer seien nicht fair behandelt worden. Ihnen wurde etwa angeboten, künftig die Gesundheitskosten über eine Krankenversicherung zu übernehmen. Doch genau das sei nicht geschehen. "Es blieben sogar medizinische Rechnungen unbezahlt."

(bsc)