Microsoft will bei "Shared Source" nachbessern

Das Gegenrezept des Softwareriesen zum Open-Source-Prinzip soll künftig auch die kommerzielle Verbreitung von Modifikationen erlauben.

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Der Softwaregigant aus Redmond will seinen Vorstoß rund um den Zugang zu Quellcode noch einmal deutlich ausweiten. "Was wir bis jetzt gemacht haben, war Shared Source 1.0", erklärte der für die Initiative zuständige Manager, Jason Matusow, im Gespräch mit heise online. Die Folgeversion soll nach seinen Vorstellungen die Veränderung und den Weiterverkauf eigener Fortentwicklungen gestatten -- zunächst im Zusammenhang mit Microsofts Webservice-Strategie .NET und Beispielanwendungen. Einen weiteren Ansatzpunkt zur Öffnung sieht Matusow auf den Applikationsebenen des Betriebssystems. Entwickler sollten dadurch zum Beispiel verfolgen können, wie das Zusammenspiel mit anderen Diensten oder mit Office-Programmen funktioniert.

Wie weit die neue Offenheit reichen könnte, wollte Matusow nicht verraten. Die Lizenzierung von kommerziellen Abkömmlingen sei aber eines der wichtigsten Themen bei der Ausdehnung der Shared-Source-Initiative. Auch eine Vergrößerung des erlauchten Bezieherkreises der Programmblaupausen stehe an. Bislang dürfen nur Institutionen mit mehr als 1.500 installierten Windows-Clients den Deckel nach Unterzeichnung entsprechender Geheimhaltungsabkommen lüften und online über das "Premium-Codezentrum" in den Quelltext eintauchen. Eine Zugangsauthentifizierung mit Hilfe einer Smartcard ist erforderlich. Die Beschränkung hatte laut Matusow vor allem pragmatische Gründe, da er die Initiative anfangs mehr oder weniger als One-Man-Show durchgeführt habe.

Im Angebot hat Microsoft momentan bereits über 100 Millionen Quelltextzeilen. Sie stammen von Windows 2000, XP, CE, .NET mitsamt allen verfügbaren Service Packs und Betaversionen. Mindestens fünf bis zehn Prozent der Quellcode-Basis einzelner Programme bleiben den Augen der externen Beobachter vorenthalten. "Rund drei Prozent davon gehören uns gar nicht", erklärte Matusow diese Zurückhaltung. Daneben handle es sich dabei um sensible Krypto-Programme, deren Source-Code es in Ländern wie Deutschland aber auf Anfrage gebe. Beim Rest handle es sich -- wie bei der Produktaktivierung -- um "hochwertiges intellektuelles Eigentum", die Microsoft als "kommerzielle Softwarefirma" gesondert zu schützen habe.

Auch in Zukunft ist nicht zu erwarten, dass Microsoft seine virtuellen Güter verschenkt -- es sei denn, es stehen wie bei Web-Browsern andere kostenlose Alternativen zur Verfügung. Eine Hilfe zur Selbsthilfe beim Beheben von Fehlern im Code der Windows Server- und Desktop-Betriebssysteme schloss Matusow aus. Dem stünden Sorgen um die "Integrität der Plattform" sowie Support-Probleme angesichts "Tausender von Derivaten" entgegen. Open-Source-Entwickler schwören dagegen gerade auf die umfassenden Modifikationsmöglichkeiten von Programmen, da dadurch Schwachstellen einfacher zu beheben sind. Allerdings wies Matusow darauf hin, dass inzwischen "auch die Linux-Support-Verträge von IBM oder Red Hat ungültig werden, wenn Sie den Quelltext manipulieren." Das habe nichts mit Open Source oder proprietärer Software zu tun, sondern allein mit "den Realitäten des Enterprise Computing".

Insgesamt sieht der Shared-Source-Erfinder mehr Reibungen zwischen den Befürwortern freier Software und kommerzieller Open-Source-Anbieter auf die Linux-Community zukommen. Anzeichen dafür sei die Veröffentlichung der Betaversion der gemeinsamen "Pinguin-Distribution" UnitedLinux ohne Quelltext oder der Versuch von Red Hat, den Kundenservice durch die Einführung von "Seriennummern" für jede in Frage kommende Box individuell abzurechnen. Die GNU GPL, unter der Linux vertrieben wird, werde dabei kommerziell nahezu überbeansprucht. Letztlich träfen sich so die traditionelle Software-Industrie und das Open-Source-Lager irgendwo in der Mitte.

Den Erfolgsbeweis für das Shared-Source-Konzept, mit dem Microsoft eine Balance zwischen völliger Offenheit und eigenen Geschäftsabsichten zu finden sucht, muss der Konzern allerdings noch erbringen. Bislang haben sich erst 63 Organisationen und Firmen in Europa für das kostenlose Angebot erwärmt. Besonders die Rechnung, mehr Vertrauen bei den wichtigen Kunden Öffentliche Verwaltung und Regierung zu erzielen, ist zumindest hier zu Lande nicht aufgegangen. So sucht vor allem Bundesinnenminister Otto Schily Alternativen zu den Microsoft-Monokulturen in der IT-Landschaft und mag von der Anlieferung eines Windows-Codepakets in sein Haus nichts wissen. Prüfen könne es das ihm untergeordnete Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sowieso nur, hört man in Berliner Kreisen, wenn Microsoft einen entsprechenden Auftrag bezahle.

Das vollständige Interview mit Jason Matusow über Microsofts neue Shared-Source-Initiativen bringt c't in Ausgabe 23/2002 auf S. 60. (Stefan Krempl) / (jk)