Datenschützer: Der Mensch wird immer mehr als Sache behandelt

Harald von Bose, Landesdatenschutzbeauftragter von Sachsen-Anhalt, sieht einen fortschreitenden Präventionsstaat. "Noch befinden wir uns nicht in einem 'Überwachungsstaat', doch ist die bisherige Entwicklung besorgniserregend."

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"Der Datenschutz ist seit 2007 aus seiner Defensivrolle gekommen." Das schreibt Harald von Bose, der Datenschutzbeauftragte des Landes Sachsen-Anhalt, in einer Mitteilung zur Vorlage seines neuesten Tätigkeitsberichts (PDF-Datei). Dazu hätten die "brisanten Vorhaben" der Vorratsdatenspeicherung und der heimlichen Online-Durchsuchung beigetragen wie auch Datenskandale in der Wirtschaft zu Lasten von Verbrauchern und Arbeitnehmern. Doch die Überwachungsgesellschaft, angestoßen auch durch das "ambivalente, oft fahrlässige Verhalten der Menschen selbst", werde stetig intensiver.

Die Zahl der schriftlichen Eingänge und Anfragen beim Landesdatensschutzbeauftragten ist im Jahr 2008 gegenüber 2007 von 3350 auf 3730 gewachsen. Dazu wurden 2007/2008 2300 schriftliche Äußerungen verfasst gegenüber 1570 in den Jahren 2005/2006. Von Bose widerspricht der Äußerung der Landesregierung, dass dann, wenn keine Datenschutzverletzungen festgestellt worden seien, dies ein Zeichen sei für einen funktionierenden Datenschutz "auf hohem Niveau". Von Bose habe bei Kontrollen und Vorgängen nicht selten ein unzureichendes Bewusstsein für Datenschutzbelange bei Behörden, deren Leitungen und Datenschutzbeauftragten feststellen müssen.

Bei einigen Vorgängen habe es "erhebliche datenschutzrechtliche Verstöße" gegeben, die nur nicht beanstandet worden seien, weil sie abgestellt wurden. Hierzu zählt von Bose das Einstellen von Datensätzen von über 40.000 Studierenden auf einen mit dem Internet verbundenen Webserver durch die Universität Magdeburg sowie die Videoüberwachung am Hasselbachplatz und im Justizzentrum in Magdeburg. Die "auffällige Zunahme von Videoüberwachung" sei ein Zeichen für den fortschreitenden Präventionsstaat, der unverhältnismäßig alle Menschen ohne Verdachtsmomente erfasst, meint von Bose im Einklang mit seinem Kollegen in Rheinland-Pfalz. Doch die Mahnungen des Bundesverfassungsgerichts würden 25 Jahre nach dem Volkszählungsurteil von 1983 strikter. "Niemand muss sich rechtfertigen, wenn er seine Privatsphäre verbergen will", sagt von Bose.

Von Bose fordert eine grundlegende Modernisierung des Datenschutzrechts. "Datenschutz und Privatsphäre gehören zum Bildungsauftrag von Schule und sind Bestandteil der politischen Bildung in der Demokratie." Die verfassungsrechtliche Vorgabe, eine umfassende Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit durch die Zusammenführung einzelner Lebens- und Personaldaten zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen der Bürger zu unterlassen, werde durch die zunehmende Datenverarbeitung von Staat und Wirtschaft in Frage gestellt. Der Mensch werde mehr und mehr als Sache behandelt, nicht als Subjekt mit Anspruch auf Persönlichkeitsschutz.

Die unbegrenzte und ausufernde Datenverarbeitung und Datenvernetzung sei Zeichen der "Überwachungsgesellschaft". "Noch befinden wir uns nicht in einem 'Überwachungsstaat', doch ist die bisherige Entwicklung besorgniserregend", schreibt von Bose. Dazu trügen auch Projekte zu Identity Cards und Ordnungskennzeichen bei, wie die neue Steuer-ID, aber auch Data Mining, Scoring und andere Bewertungsverfahren der Privatwirtschaft. (anw)