Flanieren unter Video-Augen

Immer mehr Deutsche bewegen sich in den Städten unter Kameraaugen; von englischen Verhältnissen, wo manche Großstädte flächendeckend mit 50 bis 100 Kameras überwacht werden, sei man aber noch weit entfernt, meinen Sicherheitsexperten.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Karlhorst Klotz
  • dpa

Immer mehr Deutsche bewegen sich in ihren Städten unter den Kameraaugen des Gesetzes. "In Deutschland sind derzeit etwa 20 Überwachungsanlagen im öffentlichen Raum installiert, die es zusammen vielleicht auf 50 Kameras bringen", sagt Andreas Kohl, Autor einer Studie des Europäischen Zentrums für Kriminalprävention (EZK). "Von englischen Verhältnissen, wo manche Großstädte flächendeckend mit 50 bis 100 Kameras überwacht werden, sind wir also weit entfernt." Einen "gleitenden Übergang in die Überwachungsgesellschaft" nennt der englische Bürgerrechtler Simon Davies diese Entwicklung, die in Großbritannien bereits über zwei Millionen Überwachungskameras hervorgebracht habe. Vielleicht liegt es an der im Vergleich zu England noch moderaten Anzahl hiesiger Kameras, dass die Bevölkerung hierzulande einstweilen gelassen bleibt.

Fazit der Studie ist, dass "in den nächsten Jahren weitere Anlagen geplant und errichtet werden". Der Grund: Die Befragten beurteilen die Technik zur Kriminalitätsbekämpfung "grundsätzlich optimistisch, wenn auch nicht euphorisch". Für die Studie, die in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Hersteller- und Errichterfirmen von Sicherheitssystemen (BHE) erstellt wurde und dort bezogen werden kann, wurden hochrangige Vertreter von Polizei und Kommunen in den 50 größten deutschen Städten befragt.

Der baden-württembergische Innenminister Thomas Schäuble will am kommenden Montag in Heilbronn den regulären Betrieb für zwei Videokameras starten. Die Kameras sollen aus dreieinhalb Metern Höhe einen "Brennpunkt der Kriminalität" überwachen, so Peter Lechner, Sprecher der Polizeidirektion. Nach dem Vorbild von Mannheim, wo acht Überwachungskameras den Weitblick der Gesetzeshüter vergrößern, werden die Heilbronner in der Nähe eines Einkaufs- und Erlebniszentrums nicht nur rund um die Uhr live beobachtet, sondern für 48 Stunden aufgezeichnet.

Diebstahl, Drogen- und Gewaltdelikte sind es meist, die den Ruf der Stadtoberen nach den Kameras laut werden lassen. "Von 80 beobachteten Fällen waren 21 Betäubungsmitteldelikte und 9 Körperverletzung", zieht Thomas Köber, Leiter des Führungs- und Einsatzstabes im Polizeipräsidium Mannheim, nach acht Monaten Videoüberwachung Bilanz. Die Liste der Erfolge reicht bis zur Beobachtung von "illegalem Tauben füttern" (immerhin eine Ordnungswidrigkeit). Was Stadtobere vielleicht enttäuscht: "Die Penner bleiben, die stört das nicht."

Konsequenzen ziehen jedoch die Straftäter und weichen aus. Erfahrungen aus England hätten gezeigt, dass Videokameras mit der Zeit einen Teil ihrer Wirkung einbüßen, weil Straftäter lernen damit umzugehen, so die Studie der EZK. "Mit einer Verdrängung in andere Bereiche der Stadt müssen wir rechnen", sagt Peter Lechner von der Heilbronner Polizeidirektion. "Wir wollen jedoch verhindern, dass sich die Drogenszene im Zentrum festsetzt, weil dort die Sogwirkung am größten ist."

"Durch die Überwachung von Angsträumen kann das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung verbessert werden", ist die Erfahrung des Mannheimer Polizeistabschefs Köber. Im Ernstfall lieber den Polizist aus Fleisch und Blut hat dagegen die Künstlerin Rena Tangens, Mitglied in der Jury des deutschen Big Brother Awards. Mit der Parole "Mutig warf sich die kleine Kamera zwischen Täter und Opfer" setzt sie sich gegen Überwachung ein.

Bürgerängste vor einer totalen Überwachung haben wohl auch damit zu tun, dass ein gelangweilter Polizist "einen visuellen Streifzug durch Büros und Schlafzimmer" machen könnte, so Wolfgang Wieland, ehemaliger Senator für Justiz in Berlin und Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus. Solchen Verdächtigungen begegnen die Betreiber der Anlagen teilweise durch technische Maßnahmen: Am Ravensberger Park in Bielefeld etwa blendet die Kamera den Blick auf angrenzende Wohnhäuser und einen Sex-Shop automatisch aus.

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(Karlhorst Klotz, dpa) / (jk)