50 Jahre Pong: Der Videospiel-Urknall

1972 erschien das erste erfolgreiche Videospiel der Welt. Wolfgang Nake hat die Elektronik der Pong-Münzautomaten nachgebaut und gratuliert zum Geburtstag.

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Wolfgang Nake hat mehrfach den Logikteil der originalen Pong-Automaten nachgebaut. Einer davon ist im Computerspielemuseum Berlin in Betrieb.

(Bild: Wolfgang Nake)

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Von
  • Wolfgang Nake
Inhaltsverzeichnis

Ein Ball, ein Netz, zwei Schläger – Pong begeistert wie eh und je. Vor 50 Jahren erblickte das erste kommerziell erfolgreiche TV-Videospiel das Licht der Welt, der Arcade-Münzautomat Pong. Heute, also mit Abstand gesehen, spricht man von der Mutter aller Videospiele oder auch von dem Urknall der kommerziellen Videospieleproduktion. Beim Nachbau der originalen Pong-Münzautomaten habe ich eine besondere Wertschätzung nicht nur für das Spiel, sondern auch für seine Technik gewonnen.

Vor 1972 gab es zwar schon analoge und digitale TV-Videospiele, aber der große Durchbruch gelang erst Pong, entwickelt von Atari. Pong wird noch heute gern gespielt, hat ein technisch hochinteressantes Innenleben und ist als übersichtliches, zeitkritisches Action-Spiel oft Basis spielpsychologischer Untersuchungen. Es lohnt sich also unbedingt, sich anlässlich dieses Jubiläums einmal näher mit Pong zu befassen. Ich selbst tue das schon länger: Die Originalschaltung habe ich nicht nur einfach nachgebaut, sondern in allen Details nachempfunden.

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Das Spiel besticht durch seine Einfachheit. Die Väter von Pong hatten schon Erfahrungen mit Spielen wie "Computer Space" gesammelt, die sie bei Pong einbringen konnten: Das neue Spiel musste einfach strukturiert und ohne Spielanleitung zu verstehen sein, man sollte es außerdem mit einer Hand spielen können, sodass man in der anderen noch ein Glas Bier halten konnte.

Um zu testen, wie der Prototyp in der Öffentlichkeit ankommt, stellten ihn die Macher in einer Kneipe auf. Bald darauf rief der Besitzer bei den Entwicklern an und forderte, dass die vermeintlich kaputte Kiste doch bald wieder abgeholt werden sollte. Es war aber nichts kaputt: Der übervolle Münzbehälter hat verhindert, dass eine weitere einrollende Münze das Spiel zurücksetzt. Pong wurde ein unternehmerischer Volltreffer.

Was kaum jemand weiß: Der originale Münzautomat Pong hat eine Antenne. Nicht etwa, um Fernsehsender zu empfangen. Vielmehr wusste man von anderen Arcade-Automaten, dass man mit einem elektrostatischen/-magnetischen Störfeuer neben dem Gerät in der Startelektronik einen wirksamen elektrischen Impuls induzieren konnte, der den Geldeinwurf ersetzte. Das sollte die interne Antenne, deren dominantes elektrisches Signal bei einem Störfunkfeuer ein Sperr-Flip-Flop triggert, verhindern. Ein weiteres Kuriosum betrifft die Altersfreigabe: Weil die USK erst viele Jahre nach der Veröffentlichung von Pong gegründet wurde, ist das Originalspiel formell erst ab 18 Jahren freigegeben.

Die Pong-Münzautomaten erzeugen kein primitives Ping-Pong-Spiel, bei dem der Ball irgendwie von einer Seite auf die andere fliegt. Stattdessen besitzt Pong eine präzise Ballsteuerung, für die viel Schaltungsaufwand geplant wurde. Atarimitbegründer und Ideenlieferant Nolan Bushnell sagte einst in einem Interview, Pong habe erst richtig Spaß gemacht, als man sieben verschiedene Abprallwinkel des Balles vom Schläger abhängig von der Auftreffstelle des Balles geschaltet hatte. Talentierte Spielerinnen und Spieler waren so in der Lage, dem Ball die spieltaktisch passende Flugrichtung zu geben.

Diese Karte des Nachbaus enthält die Generierung und Steuerung von Ball und Schläger

(Bild: Wolfgang Nake)

Außerdem sorgte Atari dafür, dass auch weniger begabte Pong-Fans ordentlich miteinander spielen können, weil die Geschwindigkeit des Balles nach jedem Start und nach jedem Punktgewinn klein anfängt und sich danach abhängig von der Trefferanzahl steigert. Eine gut durchdachte TTL-Logik generiert mit drei unterschiedlichen Ball-Geschwindigkeiten, zwei Seitenrichtungen und sieben Reflexionswinkeln 3 x 2 x 7 = 42 verschiedene Bewegungsvektoren für den Ball. Ohne die exzellente schaltungstechnische Umsetzung durch den Schaltungstechniker und Atari Lead Engineer Allan Alcorn wäre das Spiel wohl kaum so erfolgreich geworden. Darüber hinaus vereint dieses erste Spiel noch einige Neuerungen wie numerische Spielstandsanzeige, attract-mode, Tonausgabe und Ballstart von der Mittellinie.

Für einen Programmierer wäre es wohl kein großes Problem, die beschriebenen Spiele-Features auf einer passenden Entwicklungsplattform zu realisieren. Doch die Original-Pong-Münzautomaten sind keine Computer, da gibt’s nichts zu programmieren. Pong besteht aus einer Handvoll Gatter-ICs mit logischen Grundfunktionen wie UND/ODER/EXOR und ein paar Binärzählern und Multiplexer, die sich wiederum leicht in die Grundfunktionen zerlegen lassen. Pong muss nicht booten; unmittelbar nach Power-on ist alles betriebsbereit.

Das Video-Signal wird live für den Fernseher erzeugt, für diesen Vorgang ist grundsätzlich kein Speicherprozess nötig. Mit den insgesamt nur 66 Chips müssen dann zusätzlich noch die zeitlich eng tolerierten TV-Synchron-Impulse (Zeile, Bild) und das BAS-Signal der gültigen Fernsehnorm generiert werden, sonst baut der Fernseher kein vernünftiges Bild auf.

Pong und die Nachfolge-Spiele von Atari verkörpern eine Epoche, in der eine hochentwickelte Logik-Schaltungstechnik entstand. Jede Logik, auch die eines Computers, lässt sich grundsätzlich in die drei logischen Grundfunktionen UND, ODER, NICHT zerlegen. Aus diesen drei Grundfunktionen werden dann Funktionsmodule zusammengesetzt, wie Multiplexer, Counter, Adder, Dekoder, Schieberegister und Bitspeicher.

Aus diesen Modulen kann man dann eine spezielle Anwendungssteuerung bauen, also beispielsweise ein Spiel, eine Ablaufsteuerung oder auch einen Computer-Prozessor. Ein Auszubildender im Bereich Informatik kommt nicht an diesen Logikbaugruppen vorbei, Pong kann durch seine transparente, modulare Funktionsweise didaktisch unterstützen. Es liefert für alle fundamentalen Logikkombinationen eine praktische Anwendung, insbesondere die Verwendung der logischen NICHT-Funktion (Negator) als Bestandteil des "Theorems von de Morgan", dem härtesten Kern der Bool‘schen Schaltalgebra. Lernende können mithilfe der PONG-Schaltungstechnik anwendungsbezogen über den Rand der frisch gelernten Logiktabellen blicken.

Die Original-Platine: Alle beschriebenen Funktionen werden mit nur 66 einfachen Logik-Chips realisiert.

(Bild: Wolfgang Nake)

Besonders interessant ist die Logik der Ballsteuerung. Diese wird mit einem erstaunlichen Minimum an synchronen Binärzählern realisiert, die nach dem Prinzip der "Slipping Counter Chain"-Methode arbeiten. Grundlage ist ein synchroner binärer "modulo n+1"-Zähler. Determiniert zieht der Ball seine schnurgeraden Bahnen – abhängig von der Spielsituation mit unterschiedlicher Steilheit und Geschwindigkeit.

Noch interessanter wird es in einem Pong-Nachfolger von Atari aus dem Jahr 1974: Rebound, das erste Arcade-Volleyballspiel der Welt. Dort hat Atari lediglich geschickt eine "Slipping Counter Chain“ mit zwei weiteren Binärzählern verknüpft, um die Gravitationskraft zu simulieren. Es erinnert an den Videospiel-Meilenstein "Tennis For Two" (1958, Tennis auf einer Elektronenstrahloszillographenröhre) des Wissenschaftlers W. Higingbotham, der zur Berechnung der Ballistik des Balles einen großen Analogrechner einsetzte. Das schrittweise Nachvollziehen aller aufwandsarmen, aber wirkungsvollen Schaltungsdetails anhand des Schaltplanes ist spannender als jeder ZDF-Krimi. Das übergeordnete Ziel dieser genialen Schaltungstechnik lag darin, durch ein Minimum an Bauelementen die Materialkosten zu senken. Man wollte ja auch ordentlich verdienen. Ansonsten gibt es für die binäre Synthese eines solchen Spiel-Balles, insbesondere aus heutiger Sicht, wohl unendlich viele Möglichkeiten, allerdings mit mehr Logik-Aufwand.

Der Nachbau von Pong gelingt wegen der funktionsmäßig aufeinander aufbauenden Module relativ einfach. Ohne die Originalität der Schaltungsfunktionen zu beeinflussen, habe ich ein BUS-System kreiert, über das sich etwa Hardware-Addons oder Nachfolgespiele von Pong besser realisieren lassen. Die Basiskarte erzeugt alle TV-Impulse und Grundtakt-Untersetzungen, aus denen dann alle spielspezifischen, festen und beweglichen Objekte gebildet und herausdekodiert oder generiert werden. Die zweite Karte ist für Ball und Schläger und deren Verhalten zuständig, während auf der dritten Karte die multiplex gesteuerte 7-Segment-Anzeige des Punktestandes generiert und der Spielstand ausgewertet wird.

Der Pong-Nachbau: Ohne wesentliche Änderungen der Originalschaltung sind die Funktionsmodule auf drei Karten verteilt.

(Bild: Wolfgang Nake)

Eines der Hardware-Addons ist die schaltbare Länge der Schläger. Für Ungeübte ist die originale Schlägerlänge nämlich zu kurz, sie passt eher zu Profis. Mit dem Addon lässt sie sich umschalten, so wie es auch in allen Nachfolgespielen möglich ist. Außerdem kann man noch durch einen Tastendruck den finalen Teil der Ball-Erzeugung sichtbar machen. Der Ball hat eine horizontale und eine vertikale Komponente, jede mit eigenen primären Spielregeln. Ein einziges UND-Gatter, dessen Funktion für diese Visualisierung durch Tastendruck in eine ODER-Verknüpfung verwandelt wird, vereint die beiden Video-Komponenten zum quadratischen Ball.

Wegen der Zeilen- und Bild-Struktur des analogen Fernsehbildes gab es eine horizontale und eine vertikale Ball-Komponente.

(Bild: Wolfgang Nake)

Natürlich wäre es bei öffentlichen Präsentationen authentischer, einen alten Bildröhren-Fernseher zu verwenden. Diese sind aber anfällig und liefern oft nicht mehr genug Helligkeit, sodass ich bei Aufführungen und Ausstellungen meist einen LCD-Fernseher über dessen AV-Eingang benutze. In einem weiteren Nachbau, der im Computerspielemuseum Berlin steht, gibt es natürlich noch einen Röhrenfernseher. Das dort befindliche Pong-Original darf nicht mehr bespielt werden.

Die Nachfolgespiele von Pong in den darauffolgenden zwei Jahren enthalten bemerkenswerte Neuerungen, standen aber noch im Schatten des ersten Teils. Pong wurde oft geklont und modifiziert. Wer konnte, wollte von dem großen Kuchen etwas abhaben und mitverdienen. Atari versuchte nun, seine Vormachtstellung zu untermauern, indem es neue Spiele schuf.

Spielen ohne Grenzen

Retrogames wie Pong, Asteroids, und Tetris werden auf Röhrenmonitoren, Oszilloskopen oder LED-Displays reaktiviert. Make geht weiter und lässt einen Laserstrahl die Retro-Vektorgrafiken an die Wand zeichnen. Dieser Artikel aus dem Archiv kann zum Pong-Jubiläum gratis gelesen werden.

Unmittelbar nach Pong erschien "Space Race"(1973). Zwei kleine Raketen müssen einen Asteriodengürtel kollisionsfrei durchdringen. Dieser sieht aus wie zwei vom Zufallsgenerator erzeugte Sternenhaufen, die sich gegenläufig bewegen. Wie erzeugte man derartig bewegte Sternenhaufen im TV-Video? Wie könnte es anders sein: auch wieder nur mit ein paar wenigen, geschickt verknüpften Binärzählern. Die Umrisse einer Raketenhälfte entnahm man einem Dioden-ROM, einem der ersten Festwertspeicher in einem TV-Video-Spiel. Die andere Hälfte wird durch binäre Spiegelung abgerufen, auch wiederum didaktisch interessant.

Ein Dioden-ROM-Modul, das die Bildpunkte für die Raketen in "Space Race" liefert. Die andere Hälfte wird durch binäre Spiegelung abgerufen.

(Bild: Wolfgang Nake)

Dann erschien "Pong Doubles" (1973), ein Pong-Spiel, in dem noch zwei weitere Schläger integriert waren, sodass teammäßig 2 mal 2 Spieler über 4 unabhängige Schlägersteuerungen spielen konnten. Später kam "Rebound", gefolgt von "Quadrapong", ein quadratisches Pong-Spielfeld für 4 Spielerinnen und Spieler. Das alles waren Arcade-Automaten, bald wollte Atari aber auch den Home-TV-Bereich erobern.

Der entsprechende technische Entwicklungsstand war schnell erreicht, der Markt wurde mit TV-Heimkonsolen geflutet. Es begannbald die kontinuierliche Ablösung durch die Computertechnik. Computerspiele fielen auf den fruchtbaren Boden, den die Pong-Gerätegeneration vorbereitet hat.

Pong ist mehr als nur Geschichte. Das Spiel hat einen Nerv getroffen. Videospiele sind Kulturgut, und Kultur bedeutet auch Vielfalt. So behauptet Pong seinen Platz in der mittlerweile kolossalen Spielewelt: Es ist ein Spiel für Kurzweil, ein Spiel, um mal schnell im Vorübergehen mit dem Partner die Kräfte zu messen, ohne vorher eine Anleitung studieren zu müssen. Und die unwiederbringliche technische Epoche, die mit der Entdeckung des Fernsehers als Spiele-Medium durch Ralph Baer begann und die mit der schrittweisen Ablösung durch die Computertechnik endete, sollte nicht in Vergessenheit geraten. Egal, ob analog oder digital.

Siehe auch:

  • Pong bei heise Download

(dahe)