Kommentar: Elon Musk will Twitter für "Free Speech" öffnen

Elon Musk übernimmt Twitter und will den Nachrichtendienst umkrempeln. Das klingt bedrohlich, weil Twitter in der Nachrichtenwelt eine Schlüsselrolle spielt.

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(Bild: Rokas Tenys/Shutterstock.com)

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Elon Musk wollte Twitter haben. Jetzt lässt er 44 Milliarden US-Dollar springen und kauft sich die Plattform. Das klingt erst einmal nicht besonders spektakulär: Twitter ist mit seinen gut 200 Millionen aktiven Nutzern im Vergleich zu Facebook, YouTube, WeChat und TikTok relativ klein. Und hatte nicht auch Amazon-Chef Jeff Bezos vor ein paar Jahren die Washington Post gekauft?

(Bild: Jo Bager, c’t-Redaktion)

Twitter ist aber nicht ein Medienunternehmen von vielen und auch der Größenvergleich hinkt. Denn trotz seiner verhältnismäßig kleinen Nutzerzahl ist Twitter der wichtigste Durchlauferhitzer in der Online-News-Welt. Unternehmer und Aktivisten, NGOs und Politiker nutzen diesen Nachrichtenkanal, um ihre Botschaften und Meinungen direkt unter ihre Follower zu bringen und sich dort auszutauschen – gerne auch mal kontrovers. Für Journalisten dient Twitter daher als wichtige Informationsquelle.

Wie das funktioniert und welche negativen Auswirkungen die algorithmischen Verstärkereffekte dieses Netzwerks entfalten können, ließ sich für einige Jahre lang beim ehemaligen US-Präsident Donald Trump beobachten, der Twitter so virtuos wie kaum ein Zweiter nutzte.

... der pure Hohn, dass ausgerechnet Elon Musk sich zum Hüter der freien Rede aufspielt.

Mit seinen täglichen Attacken auf Gegner bestimmte er die politische Agenda ebenso wie die Schlagzeilen der Massenmedien. Trump provozierte so lange mit polarisierenden Tweets und Fake News, bis sich Twitter gezwungen sah, strengere Regeln einzuführen. Nach dem Sturm auf das Kapitol und Trumps ermunternden Tweets dazu hat Twitter Trump dann komplett von seiner Plattform verbannt.

Musk will das Rad jetzt offenbar zurückdrehen. Er wolle die Plattform wieder mehr für "Free Speech" öffnen. Das klingt erst einmal gut. Allerdings sollte man diesen Begriff nicht mit dem deutschen Recht auf freie Meinungsäußerung verwechseln. Der auf der US-Verfassung beruhende Begriff erlaubt die Verbreitung von Fake News.

Auch wenn Trump bereits angekündigt hat, nicht wieder zu Twitter zurückkehren, sondern bei seiner eigenen Plattform Truth Social bleiben zu wollen: Wenn man an die sorgsam austarierten Mechanismen die Säge ansetzt, die Twitter in den letzten Jahren zu einem halbwegs erträglichen Umschlagplatz für Nachrichten und Meinungen gemacht haben, dürften Hass, Fake News und Trolle wieder fröhliche Urständ feiern.

Der Verein D64 befürchtet zu Recht, dass dann "das verbale Faustrecht, das Recht des Stärkeren" gelte. "Die Gefahr der gesellschaftlichen Spaltung wächst, wenn Laute und Radikale den Eindruck des öffentlichen Diskurses gerade in den Augen von Politiker:innen und Journalist:innen noch mehr bestimmen können, als sie es ohnehin schon tun" schreibt er in einem Twitter-Thread.

Elon Musk werden solche Einwände nicht beeindrucken, im Gegenteil gehört der Milliardär mit seinen 86 Millionen Followern schon lange zu denen, die auf Twitter gerne austeilen: Wer bei Elon Musk in Ungnade fällt, wird schon mal mit einem ätzenden Meme verhöhnt oder beleidigt, etwa als "pädophiler Kerl".

Musks Ausfälle haben dazu geführt, dass er von der US-Börsenaufsicht dazu verdonnert wurde, jeden Tweet, der mit seiner Firma Tesla zu tun hat, vor der Veröffentlichung einem firmeninternen Mitarbeiter vorzulegen, dem sogenannten Twitter-Sitter.

Mehrfach waren Journalisten, die kritisch über ihn oder Tesla berichtet haben, das Ziel von Musks Attacken. Als aktuellstes Beispiel durfte ein Team des ZDF bei der Eröffnung der brandenburgischen Tesla-Fabrik nicht auf das Firmengelände, offenbar weil vorab ein ZDF-Magazin kritisch über Tesla berichtet hatte. Vor diesem Hintergrund erscheint es wie der pure Hohn, dass ausgerechnet Elon Musk sich zum Hüter der freien Rede aufspielt. Es geht ihm wohl eher um die freie Rede von Elon Musk.

Insofern kommen die neuen europäischen Regeln für Plattformen wie Twitter gerade zur rechten Zeit. In Europa gelten wesentlich engere Grenzen, welche Inhalte legal sind. Und mit dem Digital Service Act werden Plattformen wie Twitter in Europa solche Inhalte bei Kenntnis bald unverzüglich löschen müssen – wie es das NetzDG in Deutschland bereits vorsieht.

In Kommentaren wurde Twitter schon als "Elon Musks neuer Spielplatz" bezeichnet. Um in diesem Bild zu bleiben: Es ist nur zu hoffen, dass sich der DSA als wirksamer Erzieher erweist, der seine Regeln auch darin durchsetzt.

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(jo)