Vor 25 Jahren: Kasparow unterliegt Schachcomputer – doch der KI-Ansatz verliert

Erstmals gewann ein Supercomputer gegen den besten Schachspieler der Welt. Was uns diese Geschichte der KI über ihre Zukunft verrät.

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(Bild: Amrita Marino)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Clive Thompson
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Am 11. Mai 1997 rutschte Garry Kasparow unruhig auf seinem Ledersessel im Equitable Center in Manhattan herum und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Es war die letzte Partie seines Matches gegen den IBM-Supercomputer Deep Blue, und die Dinge liefen nicht gut. Normalerweise dauert ein hochklassiges Schachspiel mindestens vier Stunden, aber Kasparow gab schon nach einer Stunde auf. In ihren besten Momenten habe die Maschine "wie ein Gott gespielt", sagte er später.

Medien hatten das Match "das letzte Gefecht des Hirns" genannt und Kasparow einen "Verteidiger der Menschheit". Nach der Niederlage glaubten viele: Bald würde der Computer dem Menschen auch in allen anderen Disziplinen überlegen sein.

Tatsächlich aber war der Sieg von Deep Blue vor allem das Ende einer Sackgasse. Pioniere wie Claude Shannon hatten schon in den fünfziger Jahren vorausgesagt, dass "innerhalb von 10 oder 15 Jahren etwas aus den Laboren kommen wird, das nicht allzu weit vom Roboter der Science-Fiction entfernt ist". Damals versuchten die Entwickler noch, die Unordnung des Alltags mit Logik und festen Regeln zu bewältigen – etwa in Form eines "Expertensystems", das automatisch Kreditkartenanträge überprüft. Allerdings konnte es passieren, dass ein solches System auch Kreditkarten an Hunde oder Kinder ausstellt, wenn seine Programmierer nicht auf die Idee gekommen waren, solche Fälle per Sonderregeln auszuschließen.

Als IBM 1989 mit der Entwicklung von Deep Blue begann, befand sich die Künstliche Intelligenz wegen solcher Probleme in einem Winterschlaf. "In Gesprächen über KI hieß es oft: 'Ach was. Das ist doch nur ein Hype‘", erinnert sich Oren Etzioni, Chef des Allen Institute for AI, an die Anfangszeit seiner Karriere.

Gegen diesen Zynismus wirkte Deep Blue wie ein seltsam ehrgeiziger Mondflug. Schach war in KI-Kreisen lange Zeit ein symbolträchtiges Spiel – zwei Gegner, die sich auf der Ebene reinen Denkens gegenüberstanden. Für dieses Kräftemessen entwickelte das IBM-Team eigene Chips und heuerte Schach-Großmeister für die Verbesserung der Algorithmen an. Deep Blue berechnete alle möglichen Züge, kappte die wenig versprechenden Pfade und verfolgte die aussichtsreichen weiter – wieder und wieder.

1996 trat Deep Blue dann erstmals gegen Kasparow an – und verlor 1:3. Also baute IBM noch schnellere Hardware ein: 30 PowerPC-Prozessoren und 480 spezielle Schachchips. Bei der Revanche im Mai 1997 war der Computer mit 200 Millionen Schachzügen pro Sekunde doppelt so schnell wie sein Vorgänger.

In der ersten Partie dominierte Kasparow erneut. Doch im 36. Zug der zweiten Partie tat Deep Blue etwas, was Kasparow nicht erwartet hatte. Er war an die Art und Weise gewöhnt, wie Computer traditionell Schach spielen: Überlegen bei kurzfristiger Taktik, unterlegen bei langfristiger Strategie. Doch der 36. Zug schien so ausgeklügelt, dass er Kasparow aus dem Konzept brachte. Überzeugt, keine Chance mehr zu haben, gab er auf.

Aber das hätte er nicht tun sollen. Deep Blue war, wie sich herausstellte, gar nicht so gut. Kasparow hatte schlicht einen Zug übersehen, der zu einem Remis geführt hätte. Und er hatte begonnen, bei Deep Blue menschenähnliche Überlegungen zu vermuten, wo keine waren. Dadurch verunsichert, spielte Kasparow immer schlechter. Zu Beginn der entscheidenden sechsten Partie machte er einen so miserablen Zug, dass Beobachter schockiert aufstöhnten.

Trotzdem sahen viele im Triumph von IBM ein beginnendes Tauwetter für die KI. Wenn das Schach-Problem gelöst war, was kam als Nächstes?