Israels IT-Start-ups leiden unter der Wirtschaftskrise

Wertverluste an den Börsen, erschwerte Finanzierungen, das Ende der Corona-Sonderkonjunktur und Rezessionsängste stellen Israels Start-ups vor Probleme.

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Kampf gegen Cyberkriminalität

(Bild: Charlie's/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Andreas Schuchardt

Für seine jungen, dynamischen IT-Firmen wird Israel weltweit bewundert und gilt als die führende Start-up-Nation. Doch die Entwicklung der letzten Monate sieht für die Branche alles andere als rosig aus. Berechnungen des israelischen Wirtschaftsmagazins Globes ergaben, dass alle 22 israelischen Tech-Unternehmen, die im vergangenen Jahr erstmals an der New Yorker Börse gelistet wurden, verglichen mit ihrem Börsengang zusammengenommen 34 Milliarden US-Dollar an Wert verloren haben. Bestenfalls erreichen diese Gesellschaften heute noch ihren Startkurs.

Dieser Schwund der Marktkapitalisierung trifft insbesondere die Firmen hart, die ihren Break-even-Point noch nicht erreicht haben. Sie sind bislang unrentabel und leben von der Hoffnung auf einen künftigen Durchbruch. Um ihre Personalkosten zu decken und ihre Infrastruktur weiter auszubauen, benötigen sie alle 12 bis 18 Monate mehrere hundert Millionen US-Dollar neues Kapital. Angesichts der düsteren Konjunkturaussichten, der rasant steigenden Inflation und den Engpässen bei Bauteilen und Energieversorgung sind Risikokapitalgeber aber immer weniger bereit, in die Firmen zu investieren, oder fordern eine deutlich höhere Kapitalverzinsung.

Noch im vergangenen Jahr sammelten israelische Start-ups eine Rekordsumme von 25,6 Milliarden US-Dollar ein. Das entsprach einem Viertel der in ganz Europa in diesen Bereich geflossenen Gelder. Doch die mit dem Run auf Videokonferenzen verbundene Sonderkonjunktur während der Pandemie im IT-Bereich ist vorüber. Und mit den vielfältigen Folgen des Ukraine-Krieges ist auch die Euphorie verflogen.

In den Vereinigten Staaten, Indien und Brasilien hat der Einbruch zu mehr als 2000 Entlassungen bei hochkarätigen Neufirmen geführt. In Tel Aviv und Umgebung schlägt sich diese Tendenz im Moment in einem starken Rückgang der Stellenangebote nieder. Die Nachfrage nach Elektronikingenieuren ist seit Oktober 2021 um 31 Prozent geschrumpft. Eyal Solomon, Chef der Tech-Personalvermittlung Ethosia, sieht noch schlechtere Zeiten kommen: "Eine große Anzahl von Unternehmen plant die Schließung, und andere haben einen Einstellungsstopp verhängt." Das hängt auch mit den stattlichen Gehältern zusammen. Innerhalb von zehn Jahren erhöhte sich das Durchschnittsgehalt eines Programmierers mit fünfjähriger Berufserfahrung von 120.000 auf 200.000 Dollar, bei einer bis vor Kurzem sehr geringen Inflation.

Nadav Lidor vom in US-Besitz befindlichen Fintech-Unternehmen Brex Israel führt die gegenwärtige Krise auf "die makroökonomische Unsicherheit, wie geopolitische Risiken und Sorgen über Rezession und Inflation" zurück. Auch Amit Karp, Partner bei Bessemer Ventures, beobachtet, dass in fast allen Aufsichtsräten, mit denen er zu tun hat, die Vorstandschefs aufgefordert werden, in den Budgets nach Einsparpotenzialen zu suchen. Die Korrektur an den Aktienmärkten sei "so scharf, schmerzhaft und langwierig, dass man sie nicht als kurze Episode betrachten kann. Da die Korrektur an der Börse erst ein Vierteljahr zurückliegt, ist sie noch nicht überall spürbar, aber es zeichnet sich eine Abkühlung bei der Beschaffung von Risikokapital ab."

Nicht ganz unschuldig an der aktuellen Misere mancher Firmen sind die Banken. Sie machten es den aufstrebenden Unternehmen mit niedrigen Zinsen, flexiblen Rückzahlungsplänen und großen Kreditsummen allzu leicht, sich bis über beide Ohren zu verschulden. Oder sie verleiteten die Start-ups zu einem Börsengang, der dann weit hinter den Erwartungen zurückblieb.

Das Ende der Party bietet den stärkeren Gesellschaften aber auch die Möglichkeit, schwächelnde Konkurrenten und aussichtsreiche, aber noch unrentable Neugründungen preisgünstig zu schlucken. Neben einer Welle von Pleiten und Fusionen steht Israel noch eine weitere Korrektur ins Haus: Da es in den vergangenen 20 Jahren verheißungsvoller war, Programmierer auszubilden, wurden wichtige Bereiche der sogenannten Old Economy vernachlässigt. "Bis heute besteht der größte Mangel an technischen Fachkräften nicht in Start-ups, sondern in Produktionsbetrieben – egal ob es sich dabei um eine High-Tech- oder eine Low-Tech-Fabrik handelt", bemerkt High-Tech-Verbandschef Marian Cohen. Daher werde die Zahl der Start-up-Beschäftigten sinken, die der Ingenieure in den großen Fabriken hingegen deutlich zunehmen.

Der US-Chip-Hersteller Qualcomm greift bereits zu und plant den Kauf des israelischen Mobilfunk-Entwicklers Cellwize für 300 Millionen US-Dollar.

(Bild: Cellwize)

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(hag)