IT-Branche: Schuften wie im Manchester-Kapitalismus?

Ein US-Soziologe entzaubert Bild von den Traumberufen in der EDV-Welt.

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Von
  • Torge Löding

Die Arbeitsbedingungen in der IT-Branche ähneln den Zuständen in den Fabriken des 19. Jahrhunderts. Das findet zumindest Sean O'Riain, Soziologieprofessor an der University of California. Im Contexts Magazine der American Sociological Association (ASA) beschreibt der Wissenschaftler die High-Tech-Spezialisten als isolierte Arbeiter, die stets von Arbeitslosigkeit bedroht sind und überdurchschnittliche Arbeitszeiten haben. "Wenn die Wirtschaftkrise zuschlägt, dann sind sie isoliert, ohne gemeinschaftliche Garantien, mit ihrem individuellen Schicksal auf sich gestellt", schreibt O'Riain.

Soziale Beziehung zwischen den Mitarbeitern werden eher von gemeinsamen technischen Interessen diktiert als von den menschlichen Wünschen der IT-Angestellten. Der Zugang für Frauen in die IT-Arbeitswelt werde begrenzt durch die individualistische Macho-Attitüde der männlichen Kollegen. Familienleben und gesellschaftliches Engagement der Hightech-Arbeiter leide unter dem starken Arbeitsdruck. "Zwar sind die meisten frei von direkter Kontrolle, aber Konkurrenzdruck und Deadlines treiben sie zu extremer Arbeit", führt O'Riain aus.

Der Soziologe stellt damit das idealisierte Bild des Programmiererberufs und vergleichbarer Tätigkeiten in der EDV-Welt in Frage -- das Bild vom spannenden Job mit Flexibilität, Eigeninitiative, guter Bezahlung und Kollegen in der ganzen Welt. Nicht einmal die familiäre Atmosphäre in IT-Firmen sei Realität, denn die IT-Arbeitskraft sei für die Unternehmer nichts als Ware, die jederzeit ge- und verkauft werden kann. Mehr als in anderen Branchen müßten sich EDV-Beschäftigte zudem selbst um Fortbildung kümmern, damit sie auf dem aktuellen Stand bleiben und ihre Arbeitskraft interessant für die Unternehmen bleibt.

Eine Studie der Unternehmensberatung Jaffe Group zeigt unterdessen auf, dass die Wirtschaftsflaute nicht nur zu steigender Arbeitslosigkeit auch bei IT-Fachkräfte führt -- auch die Gehälter derjenigen, die noch in Lohn und Brot stehen, weisen nicht mehr die gewohnten Wachstumsraten auf. So betrug der durchschnittliche Gehaltszuwachs in der mittelatlantischen Region im laufenden Jahr auf 4,5 Prozent -- 38 Prozent weniger als im Jahr 2001. Dies war der niedrigste Zuwachs seit 12 Jahren. Im Jahr 1994 gab es den letzten Tiefpunkt mit 4,8 Prozent Lohnsteigerung. (tol)