Missing Link: Angriffe auf Backbones – Wie gut sind Glasfaserkabel geschützt?

DDoS- oder Ransomware-Angriffe sind Gegenstand vieler Warnungen von Netzbetreibern und Politik. Aber wie sicher sind eigentlich die Glasfaserkabel?

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(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Netzausfälle nach Missgeschicken mit Baggern sind keine Seltenheit. Ein gezielter Angriff auf Glasfaserstrecken in der Region Paris Ende April, der bis nach Deutschland zu spüren war, rechtfertigt die Frage, ob diese Leitungen ausreichend geschützt sind. Für dieses Missing Link begeben wir uns auf Spurensuche und fragen nach möglichen Vorkehrungen, um Backbones in Europa abzusichern.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

In den frühen Morgenstunden des 27. April 2022 laufen die Drähte der Mailing-Liste französischer Netzwerbetreiber, FRNOG, heiß. Zwei wichtige Glasfaserleitungen im Osten und Süden seien ausgefallen, mindestens zwei Netzbetreiber seien betroffen, lauten die ersten Mitteilungen. Das Drehkreuz Burgund-Franche-Compté sei abgeschnitten, meldete der B2B-Glasfaseranbieter Netalis. Nacheinander waren Leitungen zwischen Paris-Lyon, Paris-Straßburg und Paris-Lille ausgefallen.

Der Verband französischer Telekomunternehmen spricht wenig später von "vielen unterbrochenen Glasfaserverbindungen" in den Regionen Auvergne-RhFiber-Alpes, Bourgogne-Franche-Comté, Grand-Est und Île-de-France. Der stark betroffene Provider Free postet Bilder durchgeschnittener Kabel.

Es war sofort klar, dass es sich um einen gezielten Angriff und nicht um einen der gar nicht so seltenen Unfälle handelte, kommentierte Nicolas Guillaume, CEO der Nasca Group, zu der Netalis gehört, noch am selben Tag. "Bagger baggern nicht nachts um 3", erklärte Guillaume.

Zahl der Störungsmeldungen in der Nacht zum 27.4.22; nur wenige Provider kommunizierten die Probleme so unverblümt wie Netalis und Free.

Netalis erlebte 90 Minuten Totalausfall in der Nacht, konnte aber auf andere Leitungen umschalten. "Wir haben sofort Anzeige erstattet und zivilrechtliche Ansprüche angemeldet", sagt Guillaume, der sich anders als viele Kollegen entschieden hat, offen über die Angriffe zu sprechen.

Die Ermittlungen liefen bei der Generaldirektion für innere Sicherheit der Pariser Staatsanwaltschaft und der Zentraldirektion der Kriminalpolizei zusammen. Laut einem Sprecher der Staatsanwaltschaft gehen die Ermittler nun Angriffen auf vier durchtrennte Glasfaserkabel an verschiedenen Orten in Frankreich nach. Direkt betroffen sei die Infrastruktur von zwei Unternehmen gewesen. Rund 300.000 Nutzer seien wegen ausfallender und stotternder Netzen in Mitleidenschaft gezogen worden, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft gegenüber heise online. Diese Zahl erscheint der Vielzahl betroffener Netze und davon abhängiger Provider – bis hin zu einer glücklicherweise redundant ausgelegten Verbindung des DE-CIX zwischen Frankfurt und New York – sogar noch klein.

Ermittelt wird wegen Sachbeschädigung zulasten nationaler Interessen (Computersabotage), Behinderung automatisierter Datenverarbeitungssysteme und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.

Der Angriff auf die französischen Netzverbindungen hatte eine neue Qualität, weil an mehreren Stellen fast gleichzeitig erfolgte und auch, weil er, wie Guillaume erläuterte, spezielle Abschnitte der Glasfaserinfrastruktur betraf. Es sind Segmente, die Verkehr zu internationalen Knotenpunkten – Point of Presence (PoP) – transportieren.

Wie gezielt die Angreifer genau diese Kabel ausgesucht haben, müssen die Ermittlungen zeigen. Sie hatten aber wohl leichtes Spiel. Denn einige Bilder von Orten des Geschehens zeigen Kabelschächte am Rande von Feldern, wo sich nachts ungestört die Schächte öffnen, die Faser zerschneiden und die Schachtdeckel dann wieder schließen lassen.