Milde Gaben im Cyberspace

Nicht nur in den vorweihnachtlichen Fußgängerzonen mehren sich notdürftige Menschen: Auch am Rand der Datenautobahn stehen immer mehr Bettler und machen die Hand auf.

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Nicht nur im Fernsehen wird zum Spenden aufgerufen und nicht nur in den vorweihnachtlichen Fußgängerzonen mehren sich notdürftige Menschen: Auch am Rand der Datenautobahn stehen immer mehr Bettler und machen die Hand auf. Dieses Phänomen hat in den USA schon ein Trendwort erzeugt: Man spricht vom Cyber-Betteln. Als bisher erfolgreichste Cyber-Bettlerin wurde die 29-jährige New Yorkerin Karyn Bosnak mit ihrer Website bekannt. Mittlerweile hat ihr Erfolg zahlreiche Nachahmer motiviert.

"Danke für Eure Hilfe", schreibt Karyn Bosnak nun und freut sich über die milden Gaben von netten Leuten aus aller Welt, die ihr insgesamt exakt 13.323,08 US-Dollar schickten -- zwei Drittel eines Schuldenbergs von 20.000 US-Dollar also, den Bosnak mit Einkaufstouren in den besten Boutiquen Manhattans angehäuft hatte. Die Online-Versteigerung der teuren Gebrauchtkleidung aus den Schränken und Schubladen Bosnaks erbrachte außerdem über 4000 US-Dollar, so dass die New Yorkerin beim Begleichen ihrer Kreditkarten-Rechnungen lediglich für einen Restbetrag von 2300 US-Dollar selbst aufkommen musste.

"Ich bin jetzt voll damit beschäftigt, mein Buch zu schreiben", sagt Karyn Bosnak nun. Geschickt schlägt sie damit weiteres Kapital aus ihrer Internet-Kampagne in eigener Sache. Für die Geschichte interessierte sich auch schon ein Hollywood-Studio. All dies könnte der jungen Fernsehproduzentin helfen, ihre aktuelle Situation noch weiter zu verbessern. Ich mag ja schuldenfrei sein, aber pleite bin ich immer noch, gibt Bosnak zu und verrät sogar bereitwillig ihren aktuellen Kontostand von gerade mal 700 Dollar. Überhaupt ist auffällig, dass sich diese Art Cyber-Bettler auf die Resonanz in den Medien verlassen und den Netznutzern nicht penetrant mit Spam-Mails auf die Pelle rücken.

Bosnak ist aus ihren roten Zahlen heraus gekommen, und das empört ihre Kritiker. Unter Adressen wie Dontsavekaryn.com und "Savesheeba/" stehen Parodien, die das Layout der Bosnak-Website exakt kopieren. Satiriker wie das Duo Bob und Ben beschimpfen die unverantwortlichen Verlierer, die sich ihrer Meinung nach im Internet mit unverschämten Geldforderungen breit machen. Auch Bob und Ben verlangen Spenden, sie betonen allerdings, dass sie das gespendete Geld garantiert für nutzloses Zeug ausgeben wollen.

Neben vielen Spöttern hat Bosnaks Spendenaufruf in eigener Sache mittlerweile viel Nachahmer gefunden, die nun nach dem Vorbild der New Yorkerin mit originellen Methoden Spenden einsammeln wollen. Unter ihnen ist die Kanadierin Jennifer Glasser. Sie sei schwer krank, schreibt die 24-Jährige auf ihrer Homepage, und sie hofft gerade jetzt auf Spenden, weil es doch Leute gibt, die sogar dabei helfen, die Einkaufsschulden einer Fremden abzuzahlen.

Eine Hausfrau aus Tacoma im Bundesstaat Washington bittet mit ihrer Website um Geld, damit sie nach neunjähriger Ehe ein Leben als Single starten kann. Die Bettlerin mit dem Pseudonym Penny Nickel warnt allerdings ihre Geldgeber: "Weil ich keine wohltätige Organisation bin, können Ihre Spenden nicht von der Steuer abgesetzt werden." Fürs teure Studium sammelt der Texaner Nick Howard. Er beweist gleichzeitig, dass Bettler durchaus gute Unternehmer sein können, denn Howard fand bereits eine Firma, die ihn mit Werbung auf seiner Site unterstützt.

Großen Unterhaltungswert besitzen auf den Bettel-Websites die offenen Briefkästen, in denen sich viele E-Mails von Spöttern ansammeln. Cyber-Beggars wie Karyn Bosnak und Penny Nickel veröffentlichen diese kritischen Botschaften zusammen mit eigenen Anmerkungen. Und wer sich über die Motive von Websurfern wundert, die ohne weitere Bedenken wildfremden Personen einen Dollar schenken, der kann sich auf einer der ersten Sites dieser Art, sendmeadollar.com informieren. Dort hat Jenny Jones, ein Vorreiter des Trends, die Anmerkungen seiner Wohltäter zusammengestellt. Deren populärstes Motiv: Werbung in eigener Sache. Viele Spender wollen ausdrücklich mit einem Link zu ihrer persönlichen Website erwähnt werden. Jenny Jones selbst hat es mit seiner Masche sogar bis in die Show des Late-Night-Talkers David Letterman geschafft.

Der Niederländer Ramon Stoppelenburg bettelt die Internetgemeinde nicht um Geld an. Bevor er am 1. Mai 2001 mit einem Notebook im Gepäck auf Weltreise ging, bat er auf Letmestayforaday.com die Internetnutzer auf der ganzen Welt um Unterkunft. Und die antworteten reichlich, so dass er es bis diesen September mit Spenden und Sponsorengeldern sogar nach Südafrika und Australien schaffte. Derzeit weilt er wieder in seiner Heimat, doch liegen ihm immer noch 2078 Einladungen aus 70 Ländern vor. Im neuen Jahr soll es nach Indien gehen. (Tilman Streif, dpa, Andreas Wilkens) / (anw)