Neun-Euro-Ticket: Volle Züge – Kommunen für dauerhaftes Billigticket

Manche Reisende fanden am Samstag völlig überfüllte Züge vor. Am heutigen Pfingstmontag dürfte der Andrang wegen des Rückreiseverkehrs ähnlich groß sein.

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(Bild: Deutsche Bahn)

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Im Zuge der starken Nachfrage nach dem Neun-Euro-Monatsticket im Pfingstverkehr der Bahn fordern Verbraucherschützer, Kommunen sowie Verkehrspolitiker dauerhaft günstige Nahverkehrspreise sowie zusätzliche Milliarden-Zuschüsse. Der Städte- und Gemeindebund sprach sich dafür aus, auch nach Auslaufen des auf drei Monate befristeten Tickets für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ein bundesweit unbegrenzt gültiges Billigticket anzubieten. Der Fahrgastverband Pro Bahn sieht sich in seiner Kritik an dem Ticket bestätigt.

Wie zu Beginn der Pfingstferien waren auch am Sonntag nach Angaben der Deutschen Bahn Regionalzüge insbesondere zu touristischen Zielen sehr stark nachgefragt – etwa Richtung Ost- und Nordsee. Insgesamt ging die Bahn von einem geringeren Andrang aus als am Samstag. Reisende hatten an dem Tag von teils völlig überfüllten Zügen berichtet, es sei auch zu Verspätungen gekommen. Manche Bahnkunden hätten keinen Sitzplatz gefunden, aus einigen Zügen mussten Fahrgäste wieder aussteigen. Auch konnten Reisende Fahrräder teilweise nicht mitnehmen.

Bundespolizisten sind über Pfingsten verstärkt im Einsatz, um Bahn-Mitarbeiter zu unterstützen – etwa wenn Fahrgäste aufgefordert werden müssen, überfüllte Züge zu verlassen. Wie häufig überfüllte Züge gestoppt werden mussten, war zunächst nicht von der Bahn zu erfahren. In Stendal in Sachsen-Anhalt wurden Bundespolizisten am Samstag zu einem überfüllten Regionalexpress Richtung Norden gerufen. Der Zug sei um mehr als 200 Prozent ausgelastet gewesen, sagte ein Sprecher der Bundespolizei am Sonntag. Der Triebfahrzeugführer habe um Hilfe gebeten, da Reisende nicht bereit gewesen seien, den Zug zu verlasseni.

Von sich reden machte eine Gruppe von Punks, die sich auf der Insel Sylt trafen. Etwa 50 bis 80 hätten sich dort zusammengefunden und Bier getrunken. Die nötigen Getränke sollen sie sich an eine Amazon-Abholstation in Westerland geliefert haben, heißt es in Medienberichten. Insgesamt habe es auf der Insel, die im Zuge der Einführung des Neun-Euro-Tickets vorab viel thematisiert wurde, keine nennenswerten Vorfälle gegeben.

Für den heutigen Pfingstmontag rechnet die Bahn erneut mit einem stärkeren Andrang wegen erster Rückreisen. Eine Sprecherin empfahl Fahrgästen erneut, sich kurz vor Reiseantritt noch einmal bei den Verkehrsverbünden vor Ort oder über die App DB Navigator informieren. DB Regio twittert gegenwärtig mitunter in den verschiedenen Regionen, insbesondere aus Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern von "außergewöhnlicher Auslastung", die Mitfahrt könne nicht garantiert werden, Fahrradmitnahme sei nicht möglich.

Die SPD-Verkehrsexpertin Dorothee Martin sieht die aktuelle Rabattaktion als Chance, fordert aber auch grundlegende Verbesserungen. Die "Wirtschaftsweise" Veronika Grimm reagierte zurückhaltend auf den Vorstoß für ein Billigticket für jedermann.

Der Fahrgastverband Pro Bahn sieht sich nach dem ersten Härtetest für das Neun-Euro-Ticket am Pfingstwochenende in seiner Kritik bestätigt. "Zu den Hauptreisezeiten war die Nachfrage auf den Hauptstrecken so stark, dass Züge nicht abfahren konnten. Und einige Bahngesellschaften – etwa die Metronom in Norddeutschland – haben die Fahrradbeförderung ausgeschlossen, weil sie dem Ansturm nicht Herr wurden", sagte Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn der dpa. Das Chaos sei vorhersehbar gewesen und Folge eines politischen Angebots, ohne dafür über die nötigen Kapazitäten im Bahnverkehr zu verfügen.

"Nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut gemacht", sagte Naumann von Pro Bahn. Gut am 9-Euro-Ticket sei, dass dadurch der öffentliche Nahverkehr wieder ins Gespräch gebracht worden sei; ein Effekt, den auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) begrüßt hatte. "Es funktioniert aber nur, wenn die Kapazitäten vorhanden sind", betonte Naumann.

SPD-Expertin Martin freute sich nach eigener Angabe sehr über den großen Zuspruch für das 9-Euro-Ticket. Klar sei aber, "dass wir dauerhaft mehr Geld im ÖPNV brauchen", betonte die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagfraktion im "Handelsblatt". In vielen Regionen sei das Angebot leider ungenügend. Gleichzeitig stiegen die Kosten auch bei den Verkehrsunternehmen.

Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, sagte dem Handelsblatt, "wir brauchen keinen kurzen ÖPNV-Sommer, sondern ein flächendeckendes ÖPNV-Land". Deshalb müsse darüber nachgedacht werden, perspektivisch ein bundesweit gültiges, einheitliches und vergünstigtes Ticket folgen zu lassen.

Über die Frage der Finanzierung sollten sich Bund und Länder vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket verständigen. Erst mit einer dauerhaften Mittelerhöhung durch Bund und Länder entstünden die Spielräume, um mehr Busse und Bahnen fahren zu lassen und auch tarifliche Angebote deutlich zu verbessern, sagte Landsberg.

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Ähnlich äußerte sich die Interimschefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Jutta Gurkmann: "Um den ÖPNV zu stärken und Fahrgäste dauerhaft zu halten, sind konstant günstige Ticketpreise wichtig. Die Bundesregierung sollte deshalb ein Preismoratorium für Busse und Bahnen beschließen und in einen kundenfreundlichen ÖPNV und attraktive Angebote investieren."

Gurkmann regte als zusätzliche Finanzierungsoption eine "Nutznießer-Finanzierung" an. Dies würde bedeuten, Arbeitgeber, Einzelhändler oder Private, deren Immobilien etwa durch einen guten ÖPNV-Anschluss an Wert gewinnen, an der Finanzierung zu beteiligen.

Die "Wirtschaftsweise" Grimm sagte mit Blick auf die Forderung nach einem bundesweit unbegrenzt gültigen ÖPNV-Billigticket, "mit einem Angebot für alle, auch die Zahlungskräftigen, wird ja nur der finanzielle Spielraum reduziert, ohne dass große Effekte erzielt werden dürften". Denkbar wäre etwa, jungen Menschen ein extrem preiswertes Angebot zu machen. So gewöhnten sie sich daran, den ÖPNV zu nutzen, der dann mit zunehmendem Ausbau auch attraktiver würde, sagte die Ökonomin, die auch die Bundesregierung berät.

Pfingsten galt als erster Härtetest für die Rabattaktion. Mit dem Fahrschein lässt sich jeweils einen Monat lang bundesweit der Nahverkehr nutzen, das Ticket ist für Juni, Juli und Augst erhältlich. Es soll etwa Pendler unterstützen und außerdem helfen, neue Nutzer dauerhaft vom Umstieg auf die Bahn zu bewegen.

Naumann erwartet für die kommenden Sommermonate weitere Probleme. Bahnreisenden riet er darum, wenn möglich, nicht am Wochenende zu fahren, sondern auf Tage in der Wochenmitte auszuweichen und das Ausflugsziel zu überdenken. "Muss es unbedingt Sylt sein, Warnemünde oder der Tegernsee – oder gibt es nicht auch andere schöne Gegenden, wo die Nachfrage geringer ist?", regte Naumann an.

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(anw)