Wie China seine größten Influencer verstummen lässt

Drei der wichtigsten Livestreamer auf der Plattform Taobao sorgten für Milliardenumsätze – bis Peking ihnen den Stecker zog.

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(Bild: Herr Loeffler/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Zeyi Yang
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Drei der mächtigsten Influencer Chinas haben quasi über Nacht ihren erhobenen Status eingebüßt. Der Vorfall zeigt, dass Peking den Social-Media-Bereich zukünftig stärker unter Kontrolle bringen will – auch wenn dies ein Milliardengeschäft zerstören könnte.

Beispiel Austin Li: Der 30-jährige Livestreamer mit über 60 Millionen Followern verschwand in diesem Monat von der Bildfläche. Am 3. Juni unterbrach er auf der zu Alibaba gehörenden E-Commerce-Plattform Taobao, abrupt einen Stream, nachdem ein Eiscreme-Dessert in Panzerform auf dem Bildschirm erschienen war. Zwar gab Li später an, dass es sich bei der Unterbrechung um ein "technisches Problem" gehandelt habe, doch die meisten Beobachter gingen sofort davon aus, dass ein Eingriff durch die chinesische Regierung dahinter steckte. Denn die Zensoren sahen den Panzer wohl als Symbol für den Jahrestag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni, der ein großes Tabu ist.

Es ist nicht bekannt, dass Li verhaftet wurde. Sein Account ist weiterhin einsehbar, aber er hat seit diesem Tag weder gestreamt noch in den chinesischen sozialen Medien gepostet. Fans und Beobachter vermuten, dass er möglicherweise seither nicht mehr streamen darf.

In China ist E-Commerce in Verbindung mit Livestreaming ein riesiger Wirtschaftszweig mit einem Umsatz von über 180 Milliarden US-Dollar im Jahr. Durch die Kombination von TV-Marketing im Stil von Shoppingsendern mit Live-Interaktionsmöglichkeiten der Nutzer mit dem jeweiligen Influencer zogen diese Streams allein im Jahr 2020 rund 388 Millionen chinesische Zuschauer an. Die Branche brauchte nur ein halbes Jahrzehnt, um diesen Höhepunkt zu erreichen – und Leute wie Li haben in China die Popularität von A-Promis erlangt. Sie wurden von Peking bislang als Innovationstreiber und Arbeitsplatzbeschaffer bewertet. Denn an einem Abend generieren sie Online-Einkäufe im Wert von Milliarden. Ihr Status als Lenker der Shoppingmassen hat ihnen immense Macht über die Produktanbieter gegeben, selbst multinationale Konzerne zittern scheinbar vor ihnen. Sie beeinflussen, was interessant ist und was es kostet.

In Lis und mindestens zwei anderen Fällen stürzten diese Online-Imperien jedoch über Nacht zusammen. Es handelt sich dabei offenbar um Auswirkungen von Maßnahmen, die die KP Chinas bereits 2021 in Angriff genommen hatte. Als sich das letzte Jahr dem Ende zuneigte, wurden die beiden meistgefolgten Livestreaming-Influencer von Taobao, Huang Wei (bekannt als "Viya online") und Zhu Chenhui (bekannt als "Cherie"), plötzlich von der lokalen Finanzbehörde in Hangzhou zu Geldstrafen in Millionenhöhe wegen angeblicher Steuerhinterziehung herangezogen. Selbst nachdem sie sich öffentlich entschuldigt hatten, verschwanden ihre Taobao-Konten und andere Social-Media-Auftritte. Sie haben seither nie wieder Livestreams abgehalten.

Zuvor galten Influencer auf ihrem Niveau als zu groß und zu wichtig, als dass sich die Tech-Plattformen und die Handelsbranche selbst gegen sie hätten stellen können. Die harte Reaktion der Behörden lässt nun das Gegenteil vermuten. Der Sektor ist immer noch damit beschäftigt, die Folgen zu verarbeiten. Austin Li, der von der Steuerrazzia nicht betroffen war (es heißt, er habe eine weiße Weste), war zunächst ein großer Nutznießer der Abgänge von Huang und Zhu. Es gelang ihm, Aufmerksamkeit (und Verträge) seiner Kollegen auf sich zu ziehen. Doch damit ist nun Schluss.

Der Sturz dieser Mega-Influencer bedeutet eine Umverteilung der Marktmacht innerhalb der Branche. Kleinere Akteure scheinen zu profitieren. Taobao, die Plattform, auf der die meisten der E-Commerce-Livestreaming-Aktivitäten stattfinden, hat im Januar 2022 ebenfalls eine Kampagne gestartet, um kleine und mittlere Influencer mit Geldprämien und Traffic-Unterstützung zu pushen.

Das Ende der "großen Drei" unter den Livestreamern hat die allgemeine Dynamik zwischen Influencern und Marken verändert. Zum einen werden die hohen Rabatte, die Kunden früher über große Influencer erhielten, wahrscheinlich nicht mehr gewährt. Kleinere Streamer bekommen weniger, schließlich kaufen auch weniger. Hinzu kommt: Statt sich auf die große Reichweite großer, unabhängiger Influencern zu verlassen, bauen viele Marken ihre eigenen Livestreaming-Kanäle auf. "Das könnte eine gute Nachricht für Marken sein, da Kunden dann zu von ihnen betriebenen Shopping-Sessions gehen könnten", sagt Jialu Shan, Forschungsstipendiat am "Global Center for Digital Business Transformation" und Experte für das Thema. Es sei aber "definitiv eine schlechte Nachricht für Kunden, da sie nicht in den Genuss der günstigen Angebote kommen". Die hätten eben nur die ganz großen Influencer gehabt.

Das Schicksal der Top-Influencer ist auch ein klares Signal dafür, dass auch der Livestreaming-E-Commerce einer staatlichen Kontrolle nicht entgehen kann. "Prominente KOLs ("Key Opinion Leaders") haben sich zu einem riesigen Geschäft entwickelt und sind im E-Commerce nicht mehr wegzudenken. Doch mit Gehaltszahlungen in Millionenhöhe und großer Sichtbarkeit geht auch das Risiko einher, [unter den Einfluss der Regierung] zu geraten und in sozialen Medien Rückschläge zu erleiden", kommentiert Franklin Chu, US-Geschäftsführer der Marketingfirma Azoya International, welche in der Vergangenheit mit Austin Li zusammengearbeitet hat.

Neben den steuerlichen Pflichten und der Zensur von Inhalten müssen sich Livestreaming-Influencer auch mit immer mehr Vorschriften auseinandersetzen. Sie werden längst für Dinge wie die Qualitätskontrolle ihrer Produkte, die ordnungsgemäße Übermittlung der Umsatzzahlen oder den Jugendschutz verantwortlich gemacht. Seit 2020 hat Peking einen Katalog an Regeln erlassen, die sich mit verschiedenen Aspekten des Geschäfts befassen und die Branche unter deutlich strengere Beobachtung stellen. Der wilde Westen scheint vorbei.

Während Influencer wie Huang und Zhu aus dem Internet verschwunden sind, kämpfen ihre Teams aus Marketing- und Business-Fachleuten darum, in der Branche zu bleiben. Teilweise sind ihre Assistenzen selbst zu Influencern geworden und behaupten nun, sie hätten nichts mehr mit ihren Arbeitgebern zu tun. Doch chinesische Medien haben berichtet, dass es sich im Wesentlichen immer noch um die gleichen Teams handelt.

Sollte die Panzer-Eiscreme tatsächlich die Karriere von Li beendet haben, könnte das auch das Aus für seine Firma Meione bedeuten. Doch weder sein Team noch die Plattformen oder die Aufsichtsbehörden haben sich bisher dazu geäußert. Millionen Fans fragen sich, was los ist. Sie warten gespannt, ob und wann es wieder losgeht. Die Produkteanbieter und Marketingagenturen, die von seiner Popularität profitiert haben, sind ebenfalls im Zustand der Nervösität. "Wir haben in der Vergangenheit erfolgreich mit ihm zusammengearbeitet und würde dies wahrscheinlich wieder tun, vorausgesetzt, es gibt keinen dramatischen Rückgang seiner Marketingeffektivität", sagt etwa Franklin Chu von Azyoa International.

(jle)