30 Jahre D-Netze: Ohne Telefon kein Netzstart​

Schon 1991 war der digitale Mobilfunk GSM startklar. Erst ein Jahr später war Deutschland dran – weil Telekom und Mannesmann auf die Handys warten mussten.

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Rund 30 Jahre Handy-Geschichte.

(Bild: Vodafone)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Karl-Gerhard Haas
Inhaltsverzeichnis

Vor exakt einem Jahr konnte fast die ganze Welt den 30. Geburtstag des bei seiner Einführung hochmodernen digitalen Mobilfunks feiern. Das Global System for Mobile Communications (GSM) ging zuerst in Finnland am 1. Juli 1991 in den kommerziellen Betrieb. Auch die zwei deutschen Netzbetreiber waren startklar. Aber die Bundespost-Telekom und deren privater Konkurrent Mannesmann (später Arcor, danach Vodafone) harrten vergeblich der zugelassenen Mobiltelefone – solange die nicht verfügbar sind, ergibt der Netzbetrieb keinen Sinn.

Ein geschlagenes Jahr musste man in Deutschland warten und weiter im überlasteten C-Netz telefonieren. Aber Mitte 1992 war es dann soweit: Mit der Aufnahme des Regelbetriebs am 1. Juli 1992 wollte die Telekom öffentlichkeitswirksam für ihr neues D1-Netz werben. Dumm nur: Mannesmann, die ihren Einstieg zunächst für Mitte Juli angekündigt hatten, zogen den Start vor und nahmen am 30. Juni 1992 der Telekom mit "D2 privat" die Wurst vom Brot.

Wirklich Grund zum Jubel hatten die Betreiber dennoch nicht: Zunächst waren – wie fürs C-Netz – nur Telefonkoffer verfügbar, die zwar im Wortsinne tragbar, aber schwer und sperrig waren. In Westen- oder Hosentaschen passten sie keinesfalls. Zudem waren die Preise gesalzen: Das Telekom Portable 324 von Motorola kostete 3190 D-Mark (entspricht etwa demselben Betrag in Euro), das Modell 334 sogar 3850 D-Mark. Die Preise bei Mannesmann waren ähnlich.

Erst zum Herbst 1992 konnten die Provider wirkliche Handys liefern. In einer Zeit, in der selbst die üppigst ausgestatteten Smartphones für wenig mehr als 1000 Euro über die Ladentheke gehen, mögen diese Tarife als Wucher erscheinen. Tatsächlich waren für ein C-Netz-"Portable" seinerzeit um 10.000 D-Mark fällig, die GSM-Geräte also deutlich günstiger.

Mit dem Motorola International 3200 ("Knochen") und dem Ericsson GH-172 kam etwas Schwung in den Markt. Dennoch standen der Telekom bis zum Ende des Jahres nach ihren Angaben läppische 38.000 Handys zur Verfügung, von Mannesmann sind keine Zahlen überliefert. Schlangen vor den Läden, die sich heutzutage immer noch zum Marktstart mancher Mobiltelefone bilden, gab es damals nicht – dafür sorgten schon die ebenso happigen Gesprächspreise. Die Telekom wollte 79,80 D-Mark Monatsgebühr, Mannesmann 77,52 D-Mark. Die Mobilfunkminute kostete bei der Bundespost zwischen 7 und 20 Uhr 1,68 D-Mark, sonst 0,52 D-Mark. Mannesmann wollte tagsüber 1,44 D-Mark, sonst 0,49 D-Mark.

Vor 25 Jahren: Das erste Mobiltelefon war ein Knochen (7 Bilder)

Die ersten Mobiltelefone

Das Handie-Talkie des US-Militärs (Bild: Motorola-Archiv)

Trotz der theoretischen Vorteile der D-Netze und einer längeren Probephase klemmte es beim Start: Wie auch bei anderen Medien und Übertragungswegen liefern digitale Systeme so lange wie möglich stabile Qualität – schwächelt das Netz aber, sind digitale Störungen wesentlich penetranter als das Rauschen einer analogen Verbindung. Und wegen der damals noch sehr löchrigen Netze brachen die Gespräche immer wieder ab. Wer bereits ein C-Netz-Telefon besaß, hatte anfangs wenig Grund, auf die neue Technik zu wechseln.

Denn Telekom wie Mannesmann konzentrierten sich beim Netzaufbau auf Ballungsräume und die Autobahnen, auf dem flachen Land herrschte in den D-Netzen lange Funkstille. Selbst in prinzipiell versorgten Gebieten klappte das Fern-Gespräch nicht immer. Vom Stab der früheren WDR-Serie "Lindenstraße", deren Studios damals in Köln-Bocklemünd standen, ist von Ende der 1990er die Anekdote überliefert, dass D2-Kunden dort telefonieren konnten, D1-Kunden aber nicht. Auch ein freundlicher Brief der D1-Nutzer an die Telekom konnte die Malaise kurzfristig nicht lindern.

Weiteres Kuriosum aus der D-Netze-Anfangszeit: Die entsprechenden Lizenzen vergab der damalige Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling zwar kurz nach dem Fall der Berliner Mauer im Dezember 1989. Das Gebiet der seinerzeit noch existierenden DDR war aber nicht Vertragsgegenstand, die Netze zunächst nur für die frühere BRD und West-Berlin geplant. Nachdem klar war, dass Ost und West gemeinsame Wege gehen, wurden die neuen Bundesländer aber schleunigst einbezogen. Das Netz wurde dort zum Start des Probebetriebs 1991 fertig.

Obwohl GSM ein internationaler Standard ist (selbst die USA schwenkten darauf um, nur Japan und Südkorea betrieben vor LTE Insellösungen), konnten die geschröpften Nutzer von heute selbstverständlichen Dingen wie Roaming anfangs nur träumen. Das klappte erst ab Februar 1993 bei teilnehmenden Netzbetreibern. SMS beherrschten die Netze theoretisch, aber die ersten Textnachrichten gingen in den beiden D-Netzen erst 1995 von Handy zu Handy. Die mussten SMS ebenfalls explizit unterstützen – der Motorola-Knochen und andere Geräte der ersten Generation konnten mit den Botschaften nichts anfangen und sie schon gar nicht senden. Die ursprüngliche Abfalltechnik wird für die Betreiber zum Goldesel: 1999 verschicken die Deutschen rund 3,6 Milliarden SMS.

Auch, wenn der Mannesmann-Technikchef Georg Schmitt noch 1993 GSM als "God, send mobiles" (Gott, schicke Handys!) definiert: Nach und nach entspannt sich die Lage, kommen die Telefone und mit ihnen die Nutzerinnen und Nutzer. Anfang 1993 hatten Telekom und Mannesmann 203.000 Kunden in Deutschland, Ende des Jahres waren es 969.000 – innerhalb eines Jahres vervierfachte sich die Zahl und überschritt kurz darauf die Millionengrenze.

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1994 startet mit E-plus in Deutschland die GSM-Technik im E-Netz. Motto: selbe Technik, höhere Frequenz. In den heutigen, engmaschigen Mobilfunknetzen sind hohe Frequenzen von Vorteil. Damals ist E-plus wegen seiner schlechteren Netzabdeckung berüchtigt, allerdings günstiger als die Konkurrenz im D-Netz, was die Preise purzeln lässt. Der vierte Spieler, Viag Interkom, verbindet 1998 das Beste aus beiden Welten: Die Bayern bauen ihr eigenes E-Netz auf, vereinbaren aber mit der Telekom, dass sich die Handys von Viag-Kunden überall dort, wo das eigene Netz schwächelt, kostenfrei ins D1-Netz einbuchen. Seit 2002 heißt das Unternehmen O2, 2014 übernimmt es E-plus.

Dank Prepaid-Karten und dem Einstieg der Discounter sowie dem technischen Fortschritt sind Mobiltelefone und -tarife vom Luxus- zum Allgemeingut mutiert, viele Privatnutzer verzichten längst auf ein Festnetztelefon. Den Umstieg vom Überall-Fernsprecher zur mobilen Datenübertragung versemmelten in Deutschland im Juli 2000 Regulierungsbehörde und Netzbetreiber: Die Frequenzen fürs im letzten Jahr abgeschaltete UMTS-Netz wurden zu Fabelpreisen versteigert, entsprechend teuer und unattraktiv waren die Dienste. Außerdem waren auch die ersten Smartphones weit von dem entfernt, was für Nutzerinnen und Nutzer heute selbstverständlich ist.

Mit LTE ("4G") wurden die Netze schnell und die Smartphones leistungsfähig genug für HD-Videotelefonie, Videokonferenzen und Multimedia. 30 Jahre nach dem holprigen Start ist der digitale Mobilfunk nicht mehr aus der Welt zu denken – und das in Europa entwickelte GSM-Netz immer noch in vielen Ländern im Einsatz.

(dahe)