Heizen: Programmierte Thermostate werden schwere Last für das Stromnetz

Smarte Thermostate müssen endlich smart werden, sonst schaden sie womöglich mehr, als sie nutzen. Etablierte Modellrechnungen erweisen sich als lebensfremd.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 519 Kommentare lesen
Thermostat mit Touchscreen

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Großes Energiesparen versprechen Hersteller programmierbarer und speziell vernetzter Heizungsthermostate. So viel Energie, wie die Werbung verheißt, sparen sie wohl nicht, aber immerhin. Doch die Sache hat einen Pferdefuß: Die Programmierung führt dazu, dass sehr viele Heizungen morgens gleichzeitig anspringen. Je mehr Heizungen aus Umwelterwägungen elektrifiziert und mit programmierbaren Thermostaten bestückt werden, umso größer die morgendliche Spitzenlast im Stromnetz.

Das zeigen Daten aus vernetzten Ecobee-Thermostaten, deren Besitzer freiwillig ihre Daten für Forschung spenden. Die Geräte des kanadischen Anbieters sind vorwiegend in Nordamerika verbreitet, auf anderen Erdteilen gibt es weniger als 3.000 Ecobee-Datenspender. Bei hoher Nachfrage müssen Kraftwerke zur Sicherung der Stromversorgung mehr Öl, Kohle und Gas verbrennen.

Seit Jahren drängen die USA und Kanada auf Elektrifizierung von Heizungen, bei Neubauten sind oft nur noch Wärmepumpen und Widerstandsheizungen zulässig. Gleichzeitig drücken Behörden, Netzbetreiber und Hersteller in bester Absicht "smarte" Thermostate in den Markt.

Zachary E. Lee und K. Max Zhang von der Cornell University im US-Staat New York haben die Daten von 2.244 New Yorker Haushalten mit vernetzten Ecobee-Thermostaten aus den Heizungsmonaten des Kalenderjahres 2019 ausgewertet. Diese Haushalte nutzten meist Wärmepumpen, aber es sind auch andere Heizmethoden vertreten.

Der Datensatz zeigt einen Spitzenwert des Heizungsbetriebs um 6:05 Uhr in der Früh. Die üblichen Programmierungen lassen die Räume nachts etwas abkühlen und heizen sie morgens wieder auf, damit den Bewohnern beim Aufstehen nicht kalt ist.

Die Spitzenlast ist satte 40 Prozent höher, als etablierte Modellberechnungen angenommen haben. Natürlich stehen nicht alle New Yorker um 6:30 Uhr auf. Daher drängt sich eine Vermutung auf: Die Inhaber der "smarten" Thermostaten rühren die Programmierung gar nicht an, sondern belassen sie auf den Voreinstellungen aus dem Werk. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Anwender mit der Programmierung überfordert sind oder nicht wissen, mit welchen Einstellungen sie tatsächlich ihr Energiesparpotenzial ausschöpfen.

"(Heizungsdaten legen Nahe), dass das theoretische Energiesparpotenzial durch Reduktion der Raumtemperatur bei fünf bis zehn Prozent je reduziertem Grad Celsius liegt", schreiben die Forscher, "Die zur Realisierung dieses Vorteils gedachten Thermostatprogramme erhöhen die Spitzenheizungsnachfrage um fast 50 Prozent."

Wind kann bisweilen helfen, einen Teil dieser Spitzenlast abzudecken – die Sonne leider nicht. Denn im Winter scheint sie in New York um 6 Uhr früh noch nicht. Solange es keine besseren, leistbaren Stromspeicher für große Strommengen gibt, müssen kalorische Kraftwerke Strom liefern, damit das Netz nicht zusammenbricht. Die Studienautoren schlagen vor, bei Planung von Stromnetzen und Stromerzeugung nicht nur Wetterdaten und Kraftwerkskapazitäten zu berücksichtigen, sondern auch absehbare Innovationen sowie Auswirkungen von Managementwerkzeugen wie eben Thermostaten.

In Zukunft sollten "smarte" Thermostatprogramme den Verbrauch nicht nur für jeweils einen Endkunden optimieren, weil das unbeabsichtigte Nebenwirkungen auf das Gesamtsystem habe. Ziel müsse die Balance zwischen Optimierung des Verbrauchs ganzer Heizungsflotten einerseits und Optimierung der Netzbelastung andererseits sein, mahnen die Studienautoren. Dem stehen allerdings höhere Kosten und beschränkte soziale Akzeptanz gegenüber.

Im kanadischen Territorium Yukon hat der Energienetzbetreiber Yukon Energy ein Pilotprojekt mit freiwilligen Haushalten finanziert. Sie bekamen kostenfrei vernetzte, programmierbare Thermostate der Firma CaSA. Im Rahmen eines zweijährigen Pilotprogramms sollten Wissenschaftler erforschen, wie die Haushalte die vernetzten Geräte nutzen und welche Energieeinsparungen das mit sich bringt. Gleichzeitig wollte das E-Werk bei drohender Stromknappheit die Raum- und Wassertemperaturen um 1-3 Grad Celsius senken können.

Doch nach weniger als einem Jahr des Projekts nahm CaSA plötzlich die Server offline. Da die vernetzten Thermostate über kein dokumentiertes offenes Protokoll erreichbar sind, kann Yukon Energy die notwendige Serverinfrastruktur nicht selbst bereitstellen. Damit sind die installierten Thermostate nicht mehr vernetzt. Immerhin ist es Yukon Energy während des kurzen Betriebs tatsächlich ein paar Mal gelungen, die Spitzennachfrage zu senken, indem es die Thermostate vor der erwarteten Spitzennachfrage um zwei Grad Celsius höhergestellt und dann während der Stromknappheit um drei Grad hinuntergedreht hat.

Lees und Zhangs Studie erscheint in Ausgabe 322 der Zeitschrift Applied Energy unter dem Titel Unintended consequences of smart thermostats in the transition to electrified heating. Auf Github haben die Studienautoren ihre Softwarelibrary unter einer MIT License veröffentlicht. Das soll Dritten helfen, weitere Datensätze zu analysieren. Ecobee gewährt Forschern Zugriff auf echte Daten aus Thermostaten. (ds)