Unesco-Studie: Telegram ist Hort von Holocaust-Leugnern

Eine Analyse von 4000 Beiträgen zum Holocaust auf fünf großen Social-Media-Plattformen ergibt, dass auf Telegram Geschichte am häufigsten verfälscht wird.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 110 Kommentare lesen
Telegram-Logo auf Smartphone-Bildschirm

(Bild: Justlight/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

In einer Sammlung von Einträgen zum Holocaust auf dem Messenger-Dienst Telegram leugneten die Verfasser in 49 Prozent der Fälle den Massenmord an Juden durch das NS-Regime oder verfälschten die Fakten dazu. Dieser Anteil von Fehlinformationen ist deutlich höher als bei einschlägigen Inhalten auf den sozialen Netzwerken Facebook, Instagram, TikTok und Twitter.

Dies ergibt eine am Mittwoch veröffentlichte Studie, die das Internet-Institut der Universität Oxford im Auftrag der Unesco durchführte. Die Forscher untersuchten insgesamt 4000 Beiträge auf den fünf großen Plattformen aus den Monaten Juni und Juli 2021, die Stichworte wie "Juden", "Auschwitz", "Arbeit macht frei", "zionistisch eingenommene Regierung" oder "Holohoax" enthielten.

In 1028 Postings machten sie so einen generellen Bezug zum Holocaust aus, die meisten davon mit über 400 Beiträgen auf Twitter. Auf Telegram fielen rund 130 Postings in diese zunächst neutrale Kategorie. Die Quote der Leugner und Lügner lag bei Botschaften auf Deutsch zu diesem Thema aber sogar bei 80 Prozent. Einschlägige Posts auf Englisch und Französisch erreichten einen Anteil von rund 50 Prozent, bewegten sich also etwa im Mittel für das Kommunikationsnetzwerk.

Solche Beiträge sind der Analyse zufolge über den Online-Dienst einfach zugänglich für Nutzer, die nach Informationen zum Holocaust suchen. Weiter heißt es: "Sie sind oft ausdrücklich antisemitisch." Als Beispiele nennen die Experten etwa Bezüge auf die "Neue Weltordnung" alias NWO als einschlägige Verschwörungserzählung. Mit der Coronapandemie habe dieses Phänomen offenbar zugenommen. Impfgegner hätten sich dabei nicht selten auf eine Stufe mit verfolgten Juden gestellt, indem sie sich einen virtuellen gelben Stern im Stil der Nazi-Brandmarkung verpassten.

Auf Telegram finde so gut wie keine Moderation von Inhalten statt, merken die Verfasser an. Es gebe zudem nur wenige klare Nutzerrichtlinien. Auf moderierten Plattformen seien vergleichbare, die Geschichte verfälschende oder abstreitende Inhalte ebenfalls präsent – allerdings in deutlich geringerem Umfang. Sie betreffen 19 Prozent der Holocaust-bezogenen Inhalte auf Twitter, 17 Prozent auf TikTok, acht Prozent auf Facebook und drei Prozent auf Instagram.

Die Verdrehung der Fakten nimmt auf diesen Netzwerken oft neue Formen an, arbeiten die Wissenschaftler heraus: "Die Täter lernen, die Moderation von Inhalten zu umgehen, indem sie humorvolle und parodistische Meme als Strategie einsetzen, um antisemitisches Gedankengut als normal darzustellen." Es werde etwa der Eindruck erweckt, dass dieses Mainstream sei.

Die Autoren empfehlen Betreibern von Online-Plattformen zusammen mit der UN-Kulturorganisation, sowie in Kooperation mit Experten und Organisationen der Zivilgesellschaft, Inhalte, die den Holocaust leugnen oder verzerren, stärker zu kontrollieren und gegebenenfalls dagegen vorzugehen. Sie sollten geprüfte Informationen über die Geschichte des Massenmords weiterleiten und diese weithin sichtbar machen, wie es Facebook und TikTok in ihrer Partnerschaft mit der Unesco und dem jüdischen Weltkongress mit der Webseite aboutholocaust.org bereits tun.

Die Anbieter müssten aktiv mit Lehrern und Bildungssystemen zusammenarbeiten, um Lehr- und Lernressourcen zu entwickeln und die Erziehung zur "digitalen Staatsbürgerschaft" in Schulen, Universitäten und über andere Bildungswege zu unterstützen, lautet ein weiterer Appell. Regierungen rät die UN-Institution, in die Entwicklung von Medien- und Informationskompetenz und kritischem Denken zu investieren. Lernende müssten in die Lage versetzt werden, Falschinformationen zu erkennen und zu bewerten.

Einschlägige Inhalte würden genutzt, um "Öl auf Hass zu gießen", beklagt Unesco-Generaldirektorin Audrey Azoulay. Sie kündigte an: "2023 werden wir die erste globale Konferenz veranstalten, die sich mit der Verantwortung von Plattformen befasst." Laut UN-Generalsekretär António Guterres zeigt der Bericht auch, wie eng die Leugnung des Holocaust "mit anderen Formen der Online-Gewalt verknüpft ist", darunter solchen, die auf "Rassismus, Frauen- oder Fremdenfeindlichkeit beruhen". Antisemitismus sowie andere Formen religiöser Bigotterie und Hass seien ein Seismograph für Brüche in der Gesellschaft, dessen Ausschläge Entscheider nicht länger übersehen dürften.

In Deutschland sind Strafverfolger in Hamburg, Bayern und Baden-Württemberg vorige Woche gegen mehrere mutmaßliche Mitglieder eines volksverhetzenden antisemitischen Telegram-Kanals vorgegangen. Behörden haben mehrere Hausdurchsuchungen durchgeführt. Den Beschuldigten im Alter von 39 bis 58 Jahren wird vorgeworfen, staatsschutzrelevante Inhalte in großem Umfang verbreitet zu haben, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg.

(mho)