"Institutionelle Inzucht" bei den DNS-Verwaltern

Das Direktorium der ICANN gab sich eine Übergangsverfassung; die Vorgehensweise kritisierten Mitglieder als "fortgesetzte institutionelle Inzucht".

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Von
  • Monika Ermert

Die Direktoren der Internet Coporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) gaben sich eine Übergangsverfassung; eine Reihe der Direktoren verlängerte sich dabei gleichzeitig die eigene Amtszeit. Der Vorstand der über das DNS im Internet wachenden Organisation wird künftig von den Interessengruppen und von einem umstrittenen Nominierungskomitee bestimmt. Wieder ganz am Anfang stehen die Vertreter einer Wahl von ICANN-Direktoren durch die Internet-Nutzer: Sie sollen statt der so genannten "At-large-Direktoren" jetzt so schnell wie möglich Regionalräte wählen.

Der spanische ICANN-Direktor Amadeu Abril i Abril hatte in letzter Minute noch einmal einen Vorschlag unterbreitet, den Einfluss des Nominierungskomitees auf die Vorstandswahl zu begrenzen. Statt 8 der 15 stimmberechtigten ICANN-Direktoren -- und damit die Mehrheit -- sollte das Nomcom lediglich 5 Mitglieder wählen. "Damit wäre der Vorstand auch etwas kleiner", sagte Abril, der um die Effektivität des neuen 21-köpfigen Gremiums besorgt ist. Jeweils zwei Direktoren kommen von den Fachgruppen für generische Top Level Domains (gTLDs) und Länder-Domains (country code Top Level Domains, ccTLDs) und von den regionalen IP-Registries (RIR). Außerdem ist der CEO automatisch im Vorstand. Beobachterstatus haben die Regierungen und verschiedene ICANN-Komitees, nicht aber das künftige Nutzergremium, das At large Advisory Committee.

Abril kritisierte am System der Nominierung außerdem grundsätzlich, dass man Gefahr laufe, die Kontrolle über den Vorstand einer fest im Sattel sitzenden Insidergruppe zu übertragen. Für den Pluralismus bei ICANN sei das nicht besonders hilfreich. Die Amtszeit einiger Gründungsdirektoren habe man bereits weit über alle Vorstellungskraft hinaus verlängert.

Der seit ICANNs Gründung im Vorstand sitzende Niederländer Hans Kraijenbrink beeilte sich auf jeden Fall, seine Bereitschaft zu erklären, während der Übergangszeit für ICANN noch zur Verfügung zu stehen. "Ja, ich werde wieder ein Vorstandsbesetzer sein", sagte Kraijenbrink in einer verspäteten Antwort auf öffentliche Kritik an seiner Vorstandsmitgliedschaft, die nun schon die zweite Amtsperiode überdauert hat. Mit einem Nominierungskomitee könnte theoretisch die Amtszeit eines solchen Gründungsdirektors praktisch unbeschränkt verlängert werden, warnte Abril. Den Chef des Nominierungskomitees benennt ICANN im Januar.

"Ich würde es mal fortgesetzte institutionelle Inzucht nennen", kommentierte Andy Müller-Maguhn die neue Satzung. Der für Europa gewählte ICANN-Direktor entschied aber wie auch seine Kollegen aus Asien, Lateinamerika und Afrika dafür, so lange weiterzumachen, bis der neue Vorstand zusammentritt. "Es klingt pathetisch, aber ich bin von Leuten gewählt worden, die wollten, dass ich versuche, hier etwas zu retten", begründete Müller-Maguhn den Schritt, "obwohl das hier ein Scheißspiel ist."

Müller-Maguhn zeigte sich bei einem Treffen der letzten hartnäckigen At-large-Anhänger skeptisch, ob man tatsächlich Leute motivieren könnte, sich als regionale Nutzervertreter wählen zu lassen, nur um dann lediglich für die Besetzung des Nominierungskomitee ein Wahlrecht zu bekommen und nicht etwa für den Vorstand. "Ein solcher At-large-Rat müsste meiner Meinung nach auch nicht-ICANN-bezogene Ziele formulieren." Der institutionalisierte Spielraum der Nutzervertreter ist tatsächlich klein. Für die jetzt beschlossene Übergangsphase ernennt ICANNs Vorstand sogar höchstpersönlich den Vorsitzenden und die Mitglieder des Interim At large Gremium. "Und was, wenn die Regionalräte gar nicht zustande kommen?"

ICANNs At-large-Managerin Denise Michel zeigte sich beim Amsterdamer At-large-Treffen aber doch zuversichtlich, dass es gerade in Europa doch noch etwas werden könnte. Immerhin waren gleich acht europäische ISOC-Ländergruppen in Amsterdam vertreten. In Nordamerika sehe es viel schlechter aus, sagte Michel. Ein Scheitern der Regionalräte kann aber den Start von "ICANN II" im nächsten Jahr ebenso wenig aufhalten wie fortgesetzte Auseinandersetzungen von ICANN mit den regionalen IP-Registries und den Länderdomainmanagern. Sobald das Nominierungskomitee acht neue Direktoren benannt hat, erreicht man mit den zwei Direktoren der bereits etablierten gTLD-Fachgruppe das selbst gesteckte Quorum. Dann enden alle Übergangsregelungen und damit auch endgültig das Gastspiel der At-large-Direktoren. (Monika Ermert) / (jk)