Weltraumteleskop James Webb: Zweifel an rekordträchtigen Galaxienfunden

Nach der Inbetriebnahme des neuen Weltraumteleskops gab es eine wahre Flut an offenbar besonders alten Galaxien. Neue Studien widersprechen der Interpretation.

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(Bild: NASA-GSFC, Adriana M. Gutierrez (CI Lab))

Lesezeit: 4 Min.

Nachdem sich die Aufregung um die Flut an immer älteren Galaxien gelegt hat, die mit dem Weltraumteleskop James Webb gefunden wurden, werden nun Zweifel angemeldet. So weist ein Team um den Astrophysiker Nathan Adams vom Jodrell-Bank-Radioobservatorium darauf hin, dass das hochmoderne Weltraumteleskop teils so unerwartet sensitiv ist, dass erste Messungen irreführend gewesen sein könnten. Für eine der mutmaßlich besonders alten Galaxien ist derweil bereits auf zwei unterschiedlichen Wegen nahegelegt worden, dass sie womöglich ein ganzes Stück jünger ist. Eine abschließende Einigkeit wurde bislang aber noch nicht erreicht.

Bei der wissenschaftlichen Debatte geht es darum, dass das Weltraumteleskop James Webb nach Beginn seiner Arbeit zahlreiche Galaxien entdeckt zu haben schien, die zu den ältesten bekannten überhaupt gehören. Die Forschungsteams, die die Funde vorstellten, beriefen sich dabei auf den ermittelten Wert für die sogenannte Rotverschiebung des Lichts. Das wird auf dem Weg zu uns durch die Ausdehnung des Raums selbst ins Rote und schließlich Infrarote verschoben, weswegen der Wert auch ein Maß für das Alter eines kosmischen Objekts ist. Bei den ersten Beobachtungskampagnen hatte es danach ausgesehen, dass gleich mehrere neue Rekordwerte ermittelt wurden, teilweise war die Rede von Galaxien, die weniger als 200 Millionen Jahre nach dem Urknall existiert haben.

Adams und sein Team weisen nun aber darauf hin, dass die Near Infrared Camera (NIRCam) des Weltraumteleskops bei roten Wellenlängen so unerwartet gut funktioniert, dass diese heller erscheinen, als erwartet. Diese Mehrleistung sei erst mit einem Update vom 29. Juli in die Daten einbezogen worden, erklärte Adams gegenüber dem US-Magazin Motherboard. Viele Objekte hätten in den bis dahin vorgenommenen Messungen im roten Teil des Spektrums heller ausgesehen, als gedacht, was zu falschen Interpretationen geführt haben könnte. Klarheit sollen spektroskopische Daten liefern, die das Weltraumteleskop sammeln wird. Adams gibt sich sicher, dass sich einige der gefundenen Galaxien tatsächlich so alt sind, wie angenommen, aber eben nicht alle. Auf die lange Sicht sei die unerwartet hohe Sensitivität der NIRCam eine gute Nachricht, aber erst einmal müsse sich die Forschungsgemeinschaft darauf einstellen.

In der Tendenz passt der Hinweis von Adams zu Anschlussanalysen zu einer bestimmten der vielen besonders alten Galaxien. Die trägt die Bezeichnung CEERS-DSFG-1, erste Analysen hatten bei ihr eine Rotverschiebung von z = 18 ermittelt. Dann würden wir sie sehen, wie sie 220 Millionen Jahre nach dem Urknall aussah. Ein Team um Jorge Zavala vom National Astronomical Observatory of Japan kommt nun aber zum Schluss, dass es sich um eine ungewöhnlich staubreiche Galaxie handelt, die nur so aussieht, als wäre sie so alt. Sie kommen auf eine Rotverschiebung von z = 5 – das entspricht 1,3 Milliarden Jahre nach dem Urknall. Ein Team um Rohan Naidu vom Harvard–Smithsonian Center for Astrophysics kommt auf den gleichen Wert, aber über die Vermessung offenbar in der Umgebung liegender Galaxien, die ebenfalls so jung sind und zu einem entstehenden Galaxienhaufen gehören.

Alle Artikel liegen lediglich als Vorabveröffentlichung vor und es gibt auch bereits Widerspruch an den neuen Interpretationen. Auch in diesem Fall dürften erst spektroskopische Daten eine Antwort liefern. Die Debatte verdeutlicht, dass es sich bei dem Weltraumteleskop um ein neues Instrument handelt, mit dem die Wissenschaftler und Wissenschaftler erst umzugehen lernen müssen. Auch wenn sich einige der Rekordgalaxien als nicht ganz so alt herausstellen dürften, gehen die Forscher und Forscherinnen davon aus, dass einige der bereits gefundenen als solche bestätigt werden. Unser Bild vom frühen Universum wird deutlich besser und präziser werden. Schon jetzt deutet vieles darauf hin, dass existierende Modelle angepasst werden müssen.

Die ersten wissenschaftlichen Aufnahmen des Weltraumteleskops James Webb (10 Bilder)

Die fünf "tanzenden Galaxien" in Stephans Quintett
(Bild: NASA, ESA, CSA, and STScI)

Das Weltraumteleskop James Webb wird von den Weltraumagenturen NASA, ESA und CSA betrieben und wurde am 25. Dezember gestartet. Nachdem es sich in einer komplexen Prozedur selbst entfaltet hat, ist es einen Monat später am Lagrange-Punkt L2 angekommen. Hier blickt es abgewandt von Sonne, Erde und Mond ins All, sodass deren Wärmestrahlung das Infrarotteleskop nicht stört. Gerade damit die Wissenschaftsgemeinde so schnell wie möglich lernt, mit dem Instrument umzugehen, werden die Aufnahmen des Weltraumteleskops aktuell noch direkt veröffentlicht.

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(mho)