Jugendliche engagieren sich ehrenamtlich im Internet

Von wegen verdrossen, orientierungslos und ohne Interessen: Jugendliche übernehmen Verantwortung und starten eigene Initiativen.

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Von
  • Miriam Tang
  • dpa

Von wegen verdrossen, orientierungslos und ohne Interessen: Dass Jugendliche Ziele haben und sich ehrenamtlich engagieren, hat nicht zuletzt die jüngste Shell Jugendstudie gezeigt. Die Wege, auf denen Jungen und Mädchen heute ihre Meinung kund tun, haben sich allerdings gewandelt: Statt sich Sticker mit einer weißen Taube an die Jacke zu heften, stellen Jugendliche ihre Banner ins Internet und engagieren sich auf Webseiten mit der Aufschrift "Netz gegen rechte Gewalt".

Das Internet sei vor allem bei Jugendlichen sehr beliebt, sagt Ulrich Schneekloth vom Marktforschungsunternehmen Infratest Sozialforschung in München, der an der 14. Shell Jugendstudie beteiligt war. Das Web ermögliche den jungen Leuten sich als "Macher" für ihre Interessen zu engagieren -- schnell, direkt, unabhängig von Zeit, Ort und anderen Personen. Teilweise mit großem Zeitaufwand entwickeln die Jugendlichen Webseiten, verwalten E-Mailverteiler, betreuen Onlineforen und gründen mit Gleichgesinnten Initiativen, heißt es in der Studie.

Möglichkeiten zum Engagement bieten sich vom Sportclub bis zur Beratungsstelle, von Parteien bis zur selbst gegründeten Initiative. Keine Jugendorganisation könne heute auf einen Internetauftritt verzichten. Jugendliches Engagement unterscheidet sich aber nicht nur im Vergleich zu älteren Generationen. Auch der kleine Unterschied hat eine große Wirkung. Der Shell Jugendstudie zufolge nutzen Jungen und Mädchen das Netz unterschiedlich: Männliche Nutzer sind in der Überzahl und interessierten sich mehr für technische Hintergründe, so Schneekloth. Mädchen nutzen das Netz eher als Kommunikationsmittel. Ihr Engagement richte sich mehr auf einen Austausch mit anderen inner- und außerhalb einer Organisation.

"Jugendliche übernehmen Verantwortung, wenn sie das Gefühl haben, etwas bewegen zu können", sagt Schneekloth, "Ideologie ist dagegen out." Die Wissenschaft spreche hier von einem "neuen Ehrenamt", das ohne traditionelle Hierarchien mit Engagement und Eigenverantwortung ein projektbezogenes Ziel verfolgt. Junge Menschen wollten selbst den Umfang ihrer Mitarbeit bestimmen. Die Anonymität des Internets gebe ihnen die Freiheit, über den Zeitpunkt des Einstiegs und auch über den Rückzug zu entscheiden.

"Das Engagement von Jugendlichen ist nicht so langfristig", bestätigt Miriam Ehbets, Leiterin von Volunteer-Youth-Online in Berlin, einem Internetprojekt, das Menschen von 16 bis 20 Jahren zu ehrenamtlichem Engagement für eine länderübergreifende Jugendverständigung ermutigen möchte. Das Projekt funktioniere jedoch nur, wenn sie nicht zu viel Druck ausübe und das Engagement spielerisch sei.

Vor allem die Idee des Vernetzens ohne hierarchische Strukturen zieht laut Schneekloth die jugendlichen Nutzer an. Die Bewegung der Globalierungskritiker von Attac, die großen Zulauf junger Menschen genießt, sei ein Musterbeispiel. Attac sei ein flexibles Netzwerk, das ohne feste Strukturen miteinander verbunden ist. Legitimation erwirbt dabei jeder durch Mitmachen.

Mitreden und gestalten können auch die rund 20.000 Mitglieder des Politiksimulationsspiels dol2day, das den Grimme Online Award 2002 gewonnen hat. Die Nachwuchspolitiker diskutieren Sachthemen, ziehen Strippen, schmieden Bündnisse oder starten Initiativen. Bis zu fünf Stunden am Tag regiert Internet-Kanzler Marcus Viefeld mit einer Fünf-Parteien-Koalition die virtuelle Bevölkerung. Während der Wirtschaftsinformatik-Student und freie Programmierer aus Ilmenau (Thüringen) am Computer arbeitet, läuft die Politiksimulation im Hintergrund.

"Hier kann man etwas ausprobieren. Es ist eine Form der Unverbindlichkeit", sagt Viefeld. Für ihn zählte immer die zeitliche und örtliche Unabhängigkeit. Mittlerweile mischt er sich aber nicht nur in der virtuellen Welt ein: Die Hemmschwelle zur realen Politik sei gefallen, sagt der Internet-Kanzler. Seit September ist er Mitglied einer wirklichen Partei. (Miriam Tang, dpa)/ (tol)