Wie das E-Rezept läuft: Gespräch mit einem Arzt aus einer Pilotpraxis

Das E-Rezept startet in der Testregion wohl in ungefähr 250 Praxen. Wir haben einen Hausarzt aus einer der Pilotpraxen zum Start befragt.

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Medizin, Patient, Arzt, Papier

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 7 Min.

Kai Kleinholz ist seit 9 Jahren als niedergelassener Internist tätig.

(Bild: Kai Kleinholz)

Das E-Rezept soll jetzt in ungefähr 250 Praxen in Westfalen-Lippe starten – wie viele und welche Praxen tatsächlich dazugehören, ist leider nicht bekannt. Die weitere Testregion, Schleswig-Holstein, will sich nicht mehr aktiv an der Testphase beteiligen – Auslöser war ein Gutachten der Datenschutzbeauftragten des Bundeslandes. Doch Westfalen-Lippe will "an Bord bleiben", sofern das E-Rezept in den nächsten drei Monaten mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) eingelöst werden kann. Da es zum Start des E-Rezepts noch einige Unklarheiten gibt, haben wir Kai Kleinholz aus der Hausarztpraxis Heeperholz in Bielefeld zur elektronischen Verordnung befragt.

heise online: Wie läuft das E-Rezept bisher an?

Kai Kleinholz: Bei uns in der Praxis gibt es hinsichtlich des Ausstellens der E-Rezepte keine Probleme. Leider können noch nicht alle Apotheken die E-Rezepte verarbeiten – trotz vorhandener Hardware. Hier gibt es noch vereinzelt Software- beziehungsweise Serverprobleme. Ein weiteres großes Problem ist, dass viele Patienten die E-Rezept-App noch nicht auf ihrem Smartphone haben oder noch nicht haben können, weil die Hürden sehr hoch liegen. Es muss nicht nur ein modernes Smartphone mit NFC-Funktion (Near Field Communication) zur Verfügung stehen, auf dem die App installiert werden kann. Zudem wird auch eine elektronische Gesundheitskarte der Version 2.1 mit NFC-Funktion benötigt. Aufgrund des Chipmangels bei manchen Krankenkassen kann es bei der Auslieferung der Versichertenkarten allerdings zu Verzögerungen kommen.

Außerdem ist eine PIN von der Krankenkasse erforderlich, für die sich Versicherte allerdings in der Geschäftsstelle der jeweiligen Krankenkasse identifizieren müssen. Das Verfahren von zu Hause über das Videoident-Verfahren wurde aus Sicherheits- und Datenschutzgründen verboten. Wenn man dann endlich alles hat, kann man als Patient ein E-Rezept digital empfangen.

Da das bisher nur bei 0,6 Prozent der Patienten der Fall ist, wird von unserem Praxissystem ein QR-Code-ähnlicher 2D-Code auf Papier ausgedruckt, der dann von den Apotheken eingelesen werden kann. Digitalisierung in Deutschland 2022: Auf Papier ausgedruckte QR-Codes. Im übrigen Europa schüttelt man da nur mit dem Kopf. Aber es soll zur Überbrückung, bis alle ein nutzbares E-Rezept haben, auch eine Alternative geben, die besser ist als ein Papierausdruck: Das E-Rezept soll auf der Versichertenkarte gespeichert werden können, welche dann ebenfalls in Apotheken gelesen werden kann. Dies wird aber frühestens ab Dezember möglich sein.

Wie wird das E-Rezept mit den Patienten kommuniziert? Sind die Patienten informiert, oder eher nicht?

Wir werden unsere Patienten mit Aushängen in der Praxis und mit Veröffentlichungen auf unserer Homepage über die Möglichkeit informieren, in Zukunft die Rezepte als E-Rezept zu erhalten. Bisher weiß praktisch kein Patient davon, auch wenn es mit dem Startschuss für die Apotheken inzwischen einige Artikel in der lokalen Presse zu dem Thema gegeben hat. Wir sollen in den nächsten Tagen auch noch Informationsmaterial von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erhalten, welches wir dann ebenfalls in unserer Praxis verteilen können.

Wessen Aufgabe ist es Ihrer Ansicht nach, die Patienten zu informieren?

Dies hätte schon viel früher vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) und der KVWL in Angriff genommen werden müssen. Dadurch gibt es jetzt einen Stotterstart, aber das wird sich schon im Laufe der nächsten Wochen und Monate einwickeln.

Wird die Familien-Funktion genutzt?

Aufgrund der geringen Verbreitung der App kann ich dazu noch nichts sagen.

Wie unterscheidet sich der Zeitaufwand vom herkömmlichen Muster-16-Formular?

Bei unserem System gibt es keinen erhöhten Zeitaufwand, bisher mussten wir das Formular 16 bedrucken, stattdessen wird jetzt ein weißes Papier bedruckt. Wenn eine E-Rezept-App vorhanden ist, geht es sogar schneller, weil das Warten auf den Ausdruck entfällt.

Wie viele E-Rezepte haben Sie bisher ausgestellt und wenn ja, wie?

Bisher haben wir nur ungefähr 10 E-Rezepte zu Testzwecken ausgestellt. Ab der nächsten Woche wird das dann schlagartig mehr werden, wenn wir schrittweise auf E-Rezept umstellen, dafür benötige ich aber noch die Rückmeldung von den umliegenden Apotheken, dass die Software- und Serverprobleme behoben sind.

Warum haben Sie sich entschieden, bei der Testphase mitzuwirken?

In unserer Praxis haben wir generell ein hohes Interesse daran, dass unser Arbeiten digitaler wird. Dies liegt an zwei Gründen: Erstens, weil sich dadurch die Qualität der Behandlung dramatisch verbessern wird. Das E-Rezept ist da ja nur ein kleiner Baustein. Dazu gehört auch die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) der elektronische Medikamentenplan und vor allem die elektronische Patientenakte (ePA) mit ihren Inhalten wie Notfalldaten, Impfausweis, Mutterpass und weiteren Dokumenten. Durch die Umstellung auf digitale Daten, die dann auch für die behandelnden Ärzte verfügbar sein sollen, können wir den Patienten endlich die bestmögliche Behandlung bieten. Der Status quo ist, dass kein Arzt weiß, was der andere tut, solange der Patient uns nicht einen Arztbrief mitbringt, auf dem steht, was gemacht worden ist. Dies ist in den seltensten Fällen so.

Derzeit ist jede Arztpraxis und jedes Krankenhaus eine einsame Insel in einem riesigen Ozean. Ich weiß zwar, wie ich meinen Patienten behandelt und welche Medikamente ich ihm verschrieben habe, welche Behandlungen bei anderen Ärzten durchgeführt wurden, weiß ich allerdings nicht. Dies könnte unter anderem in Hinblick auf Wechselwirkungen mit den Medikamenten, die andere Ärzte verschrieben haben, gefährlich werden. Diese Informationen werden jedes Mal erneut erhoben.

Jeder Patient muss – wenn er neu in eine Praxis kommt – in der Regel erst mal einen mehr oder weniger umfangreichen Fragebogen ausfüllen. Dann sind die für eine Behandlung wichtigen Informationen erhoben. Wenn es jetzt eine elektronische Patientenakte gäbe, könnte ich dieser die Informationen entnehmen und würde mir eine Menge Arbeit sparen. Außerdem weiß auch nicht jeder Patient immer alles zu seiner eigenen Vorgeschichte oder vergisst Dinge, und das kann manchmal sehr gefährlich sein. Wenn ein Patient einem Arzt zum Beispiel vor dem MRT nicht sagt, dass er einen Herzschrittmacher hat, kann das zum Ausfall des Schrittmachers führen und dadurch im schlimmsten Falle zum Tod. Oder wenn es dem Patienten peinlich ist, seinem Kardiologen mitzuteilen, dass er Viagra nimmt und der Kardiologen ihm dann ein bestimmtes Herzmedikament verschreibt, kann das auch tödliche Nebenwirkungen haben.

Und zweitens ist ein weiterer Vorteil der Digitalisierung die Umweltfreundlichkeit. Digitales Arbeiten ist papierloses Arbeiten. Es werden Unmengen an Papier gespart, an Druckertoner und weiteren Materialien. Zudem müssen Patienten nicht immer zur Praxis fahren, um ihr Rezept zu bekommen, weil es ja digital übermittelt wird. Das führt zu weniger Verkehr. All das ist in der heutigen Zeit unheimlich wichtig und hat für uns in der Praxis eine hohe Bedeutung.

Wo sehen Sie beim E-Rezept Verbesserungspotenzial?

Es müsste einfacher sein, die E-Rezept-App zu bekommen. Die Hürden liegen so hoch, dass es sehr lange dauert, bis jeder eine funktionsfähige App hat. Das ist für alle Beteiligten unheimlich erschöpfend, weil die Versicherten eigentlich permanent auf irgendetwas warten.

(mack)