Baustellenromantik? Wie Influencer das Handwerk in Szene setzen

Arbeitshose statt Designerkleid, Maurerkelle statt Make-up-Pinsel: Einige Influencer stellen auf Social Media nicht Modetrends, sondern Handwerksberufe vor.

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(Bild: @stein_fluencerin)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Vera Kraft
  • dpa
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Eine junge Frau, die mit Wasserwaage posiert, ein Bagger im Sonnenuntergang oder ein Video, wie ein Bad gefliest wird – unter dem Schlagwort "Handwerk" (#handwerk) sind allein auf Instagram weit über zwei Millionen Beiträge zu finden.

Dabei posten nicht nur Unternehmen ihre Arbeit online, viele Handwerkerinnen und Handwerker nutzen die Plattform, um ihren Beruf auf oft kreative und persönliche Art vorzustellen. Darunter sind einige Frauen mit zum Teil hunderttausenden Followern. Doch was bedeutet es, Handwerksinfluencerin zu sein, wie viel Aufwand ist es und was springt am Ende dabei raus?

Mit 111.000 Followern gehört Sandra Hunke auf Instagram zu den Handwerksinfluencerinnen mit sehr großer Reichweite. Ihre roten Haare sind meist zu einem Pferdeschwanz oder zwei Zöpfen nach hinten gebunden, das Outfit besteht aus Arbeitskleidung und Sicherheitsschuhen. Der Hintergrund ist meist eine Baustelle.

Dazwischen gibt es immer wieder professionelle Fotos von Hunke in Kleidern oder Bikini. Denn die 30-Jährige ist beides: Anlagenmechanikerin für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik und Model.

"Mein Arbeitsalltag besteht zu 50 Prozent aus Handwerk und zu 50 Prozent aus Modeln", sagt Hunke. Inhalte für die sozialen Netzwerke produzieren, kommt zusätzlich dazu. An manchen Tagen reist Hunke also für Model-Aufträge um die Welt, an anderen ist sie auf der Baustelle. "Manchmal stelle ich mein Handy auf und filme interessante Projekte auf der Baustelle mit, aber zu viel Zeit darf das natürlich nicht kosten."

Die meiste Social Media-Arbeit findet daher erst nach Feierabend statt: Selbst, wenn auf der Baustelle pünktlich um 16.30 Uhr Schluss ist, ist Hunke oft noch bis 22.00 oder 23.00 Uhr mit Social Media beschäftigt. Dann werden Nachrichten beantwortet, Fotos bearbeitet, Videos geschnitten und neue Posts erstellt.

An ihren freien Tagen zeigt die Anlagenmechanikerin ihren Followern, wie sie private Bauprojekte an ihrem Haus oder bei Freunden umsetzt. Noch dazu hat sie während der Pandemie das Kinderbuch "Bella Baumädchen" mitgeschrieben, mit dem sie bereits Kinder fürs Handwerk begeistern möchte.

Luisa Lüttig ist erst seit knapp zwei Jahren auf Instagram als "Stein_Fluencerin" aktiv. Sie hat mittlerweile ihren Meister als Steinbildhauerin und Steinmetzin gemacht und zeigt auf Fotos und Videos ihre Arbeit, beispielsweise wie sie Grabsteine und Tierfiguren bearbeitet. "Ich habe als Gesellin angefangen, Fotos zu posten und gemerkt, wie sehr es die Leute interessiert." Einige haben den Beruf erst durch sie kennengelernt. Inzwischen folgen der jungen Steinmetzin mehr als 3000 Menschen.

Es brauche Selbstbewusstsein, sich vor die Kamera zu stellen und seine Arbeit einem breiten Publikum zu erklären, sagt Lüttig. Letztendlich gefalle es ihr aber, anderen zeigen zu können, wie schön das Handwerk ist. "Die jungen Leute kommen nicht mehr ins Handwerk, also komme ich mit Social Media zu ihnen."

Trotz unterschiedlicher Followerzahl, haben beide Handwerkerinnen die gleiche Hauptmotivation: Insbesondere Mädchen und Frauen das Handwerk näher zu bringen und ihnen zu zeigen: "Ihr könnt das schaffen." Lüttig kommt selbst aus einer Handwerksfamilie, sie arbeitet im Betrieb ihrer Eltern. "Hätte ich diesen Bezug nicht, weiß ich nicht, ob ich im Handwerk gelandet wäre", sagt Lüttig.

Ihrer Meinung nach, lerne man in der Schule zu wenig über Handwerksberufe. Nur weil sie als Kind immer wieder bei ihren Eltern mithelfen durfte, habe sie gemerkt, wie viel Spaß ihr handwerkliche Tätigkeiten machen.

Instagram könne durchaus eine wertvolle Quelle zur Inspiration bei der Berufsfindung sein, sagt Heike Jahncke. Jugendliche brauchen der Dozentin für Berufs- und Wirtschaftspädagogik zufolge Vorbilder und wenn diese nicht im direkten Umfeld zu finden seien, könnten Influencer womöglich diese Rolle einnehmen.

Trotzdem haben das familiäre Umfeld und praktische Erfahrungen laut einer Studie, bei der Jahncke von der Universität Oldenburg mitgewirkt hat, den bedeutendsten Einfluss, wenn es um die Berufswahl geht.

Steinmetzin Lüttig schlägt daher vor: "Einfach ausprobieren!" Sowohl Interessierte als auch Eltern könnten schließlich Praktika machen und so Beruf und Arbeitsumfeld aus nächster Nähe kennenlernen. Von Vorurteilen sollte man sich ebenfalls nicht abschrecken lassen. "Handwerk hat einen goldenen Boden", sagt Hunke gerne mit Blick auf die Verdienstchancen. Handwerker seien gefragt, und nach einer Ausbildung warte oft gutes Gehalt.

Obwohl Hunke als Model noch mehr verdienen könnte, sagt sie: "Das Handwerk steht an oberster Stelle." Auch Influencerin wollen weder sie noch Luisa Lüttig hauptberuflich sein. "Es geht mir darum den Beruf näher zu bringen, nicht mich", sagt Steinmetzin Lüttig.

Trotz einiger Kooperationsanfragen, bei denen die beiden beispielsweise Arbeitskleidung vorstellen, stehe das Finanzielle nicht im Vordergrund. "Social Media funktioniert überregional, wenn man keinen Online-Handel hat, bringt es dem eigenen Betrieb erstmal nichts", sagt Lüttig.

Dass man mit Sozialen Netzwerken wie Instagram und TikTok dennoch viel bewirken kann, merkt Lüttig vor allem, wenn sie Kollegen um Rat fragen oder ihr Jugendliche online Fragen zu ihrem Beruf stellen. "Ich konnte darüber schon mehrere Praktika und sogar eine Ausbildungsstelle vermitteln", erzählt die Steinmetzin.

Und Sandra Hunke hat sich besonders über eine Nachricht einer Mutter gefreut, die durch Hunke und ihr Kinderbuch inspiriert, ihrer siebenjährigen Tochter nun eine Handwerksbank zum Spielen gekauft hat.

(mho)