Helgoland, die Offshore-Industrie und der grüne Wasserstoff

Die Insel Helgoland hat bereits viele Wendungen erlebt. Nun ist sie Offshore-Service-Insel und liebäugelt bereits mit der Produktion von grünem Wasserstoff.

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Die Lange Anna ermuntert dazu, den Blick auch in die Ferne schweifen zu lassen. Dort sieht man dann die Windparks, die zu weiteren Ideen anregen.

(Bild: heise online/Kristina Beer)

Lesezeit: 16 Min.
Inhaltsverzeichnis

(This article is also available in English)

In Deutschland und Europa geht angesichts fortwährender Diskussionen um Energie-Engpässe infolge des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine die Sorge vor einem Blackout um. Die Energiewende in Deutschland gilt, je nach Betrachtungsweise, als verzögert oder auch gescheitert. Vielerorts werden Schreckensszenarien skizziert.

Wir haben beschlossen, nach vorne zu blicken und uns genauer anzusehen, was als einer der großen Faktoren für das Gelingen der Energiewende gilt: die Offshore-Windkraft. Um einen genaueren Einblick zu erhalten, was tatsächlich Offshore passiert, installiert und gepflegt wird, haben wir die WindMW GmbH besucht, die sowohl auf Helgoland, als auch in Bremerhaven und Zossen tätig ist.

Diese Artikelserie umfasst mehrere Teile, die wir von Dienstag bis Freitag dieser Woche veröffentlichen.

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Die Besucherströme bewegen sich in Wellen auf die Insel. Von Vormittag bis Mittag werden sie mit größeren und kleinen Schiffen angeschwemmt, am Nachmittag und Abend holt sich das Festland den Großteil der Menschen wieder zurück. Dann wird es wieder ruhiger auf Helgoland.

So still die Insel auch oft daliegt, so sehr muss es manchmal auch gekracht haben, als Modernisierungsideen auf den Tisch kamen. Es ist kein Geheimnis, dass es auch Gegenwehr gab, als sich Helgoland vor mehr als zehn Jahren dafür entschied, eine "Offshore-Service-Insel" zu werden. Umso überraschender mag es nun erscheinen, dass sich die Helgoländer direkt in das nächste Energiewendeprojekt stürzen wollen und sich der Produktion von grünem Wasserstoff zugewandt haben – auch hier wieder zunächst mit einigen Ängsten unter den Einwohnern.

Dass sie das auf den Namen "Aqua Ventus" getaufte Wasserstoff-Projekt nun doch weiter kräftig auf Helgoland anschieben, hat vielleicht auch mit der Bilanz zu tun, die man in Sachen Offshore-Windkraft für sich ziehen konnte. Maßgeblich mit angeschoben hat der noch amtierende Bürgermeister Jörg Singer die Ansiedlung der Offshore-Firmen als auch das Wasserstoffprojekt "Aqua Ventus". Singer ist seit 2011 offiziell im Amt. Zum Jahreswechsel gibt er sein Amt freiwillig ab, der Nachfolger ist schon gewählt. Aktiv will er für die Insel trotzdem bleiben.

Laut der Hafenprojektgesellschaft Helgoland, die mit der Entscheidung gegründet wurde, Offshore-Service-Insel zu werden, stellten die Windkraftfirmen im Frühjahr 2009 die ersten Anfragen, ob sie sich auf der Insel ansiedeln könnten. Zu diesem Zeitpunkt hat die wirtschaftliche Zukunft der Insel in den Bereichen Forschung und Tourismus gelegen. Der Tourismus war sogar rückgängig. Die Insel strebte nun einen Dreiklang an: Forschung, Tourismus, Offshore.

Für den Aufbau der Service-Stationen musste unter anderem der Südhafen wieder fit gemacht werden. Das bedeutete nicht nur für die Offshore-Windkraftfirmen, dass investiert werden musste, auch Helgoland beteiligte sich als Gemeinde an den Kosten. Das Gesamtinvestitionsvolumen lag bei rund 30 Millionen – auch gespeist aus Fördertöpfen des Landes Schleswig-Holstein. Für die kleine Gemeinde war das alles kein Pappenstiel.

Es wurden rund 30.000 Quadratmeter Hafenfläche modernisiert und auch noch andere Instandsetzungsmaßnahmen angeschoben. Unterbrochen wurden die Arbeiten teils durch aufwändige Kampfmittelräumungen. Ein Erbe, das Helgoland noch aus dem zweiten Weltkrieg zurückbehalten hat.

Wie die Hafengesellschaft 2013 mitteilte, mussten die "rund 35.000 Quadratmeter großen Landflächen zum Teil bis in eine Tiefe von 5 Metern von den Hinterlassenschaften des zweiten Weltkriegs" befreit werden. Mehr als 1.300 Kampfmittel wurden entfernt. Auch vorher dort angesiedelte Hummer wurden aus den Baubereichen im Hafen gefangen und umgesiedelt. Für ein Forschungsprojekt waren 3.000 Jungtiere circa 10 Jahre vor den Baumaßnahmen vom Alfred-Wegener-Institut markiert und ausgesetzt worden, um mehr wissenschaftliche Daten für die Entwicklungsbedingungen im Freiland zu liefern.

Die "Seewind I" hält Einfahrt in den Südhafen. Für die Ansiedlung der Offshore-Firmen wurde der Hafen fit gemacht.

(Bild: heise online/Kristina Beer)

Insgesamt wurden auf einer Fläche von 10.000 Quadratmetern die Servicegebäude mit Werk- und Lagerhallen der drei Windkraftfirmen RWE, E.on und WindMW erbaut. Die große Werkhalle mit Bürotrakt von WindMW umfasst rund 2.300 Quadratmeter – das gesamte Gelände der Firma 3.600 Quadratmeter. Die zwei Gelände von RWE und E.on wurden später – mit der Übernahme des Offshoregeschäfts E.ons durch RWE – zu einem Betriebsgelände zusammengefasst.

In ersten Prognosen zur Ansiedlung der Offshore-Windkraft-Firmen wurde vorgerechnet, dass über die nächsten 25 Jahre hinweg "auf Helgoland rund 150 Menschen für den Betrieb der Offshore-Windparks arbeiten und leben" würden. Hinzu kämen noch weitere temporäre Arbeitsplätze bei Zulieferern, Bau- und Schifffahrtsfirmen. Auch hoffte man auf einen Imagegewinn.

Für Bürgermeister Jörg Singer bedeuteten die Arbeitsplatzzugewinne im Jahr 2014 ein Plus von 20 Prozent für die Insel, wie er NDR1 damals erklärte. Die Einwohnerzahl auf Helgoland schwankt zwischen 1300 bis 1500 Menschen.

Laut der Gemeinde Helgoland sind nach "eingeschwungenem Betriebszustand" auch tatsächlich 120 langfristige Arbeitsplätze bei den Service-Technikerinnen und -Technikern geschaffen worden. Diese seien "aufgrund des Schichtbetriebes, durch insgesamt 240 Servicetechniker und Fachingenieure besetzt". Im und um die Häfen auf Helgoland sind weitere 30 Arbeitsplätze entstanden.

Die Angst, dass der Offshore-Ausbau die Insel für Urlauber und Touristen unattraktiver machen könnte, bewahrheitete sich nicht. In einer Bilanz aus dem Jahr 2021 heißt es für das Jahr 2016 – ein Jahr nach Inbetriebnahme der Windparks – , dass die Tourismuszahlen um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen seien. Dies unterstreiche "die positive Entwicklung und das gute Zusammenspiel von Offshore-Windkraft auf Helgoland mit dem Kerngeschäft Tourismus", schreibt die Gemeinde.

Seit 2014 entwickelten sich unter anderem erste touristische Angebote für Ausflugsfahrten zum Offshore-Windpark-Gebiet des HelWin-Clusters. Jörg Singer bestätigt uns im Gespräch auch, dass der Tourismuszuwachs sich gehalten hat. Momentan klappt es also mit dem Dreiklang: Forschung, Tourismus, Offshore.

Auf Helgoland ists geschäftig. Mehrere Interessen wollen unter einen Hut gebracht werden.

(Bild: heise online/Kristina Beer)

Die Integration der Offshore-Beschäftigten ist sowohl der Gemeinde Helgoland als auch den Windkraftfirmen wichtig. WindMW lädt zum Beispiel einmal im Jahr zum gemeinsamen Grünkohl-Essen im ehemaligen Hotel Atoll ein (das 2019 von WindMW gekauft wurde). Auch werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu angeregt, dass sie den Kontakt zur Inselgemeinschaft gerne suchen können. Einige der Offshore-Service-Mitarbeiter sind deshalb nun auch Teil von Sportmannschaften und der freiwilligen Feuerwehr, wie uns sowohl Singer als auch WindMW erzählen.

Da sich – dort wo Menschen sich treffen – Leben auch manchmal ganz ohne eine Fremdermunterung verweben, gibt es nun auch einen WindMW-Mitarbeiter, dem eine der Hummerbuden gehört. Zwar ist dies das Ergebnis einer Liebe, die dann doch nicht von dauerhaftem Bestand war, und für die dann eine Ablöse gefunden werden musste; die Einwohnerzahl der Insel ist dadurch trotzdem gestiegen. Nach der Übernahme der Hummerbude wurde auch eine Wohnstadt auf Helgoland gekauft.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von RWE sind in einer neu gebauten kleinen Siedlung im Mittelland untergekommen. Helgoland hat aber streng darauf geachtet, dass durch Neubaumaßnahmen und Übernahmen weder Wohnraum noch die Bettenzahl für Touristen auf der Insel verringert wurden. Der Wegfall des ehemaligen Vier-Sterne-Hotels Atoll schmerzt aber hier und da noch sichtlich.