Neuer Bluttest findet Krebs, bevor Symptome auftreten

Laut neuen Resultaten spürt der Test von Grail viele Krebsarten früh auf, weist auf das Gewebe hin und schlägt selten falsch an. Zugelassen ist er noch nicht.​

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4 Blutprobenröhrchen in einem Ständer, daneben eine Krankenschwester die zwei weitere Röhrchen in die Kamera hält

Blutproben in Röhrchen unmittelbar nach der Blutabnahme

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

Ein neuer Bluttest des US-Unternehmens Grail spürt DNA-Fragmente von Krebszellen noch vor dem Auftreten von Symptomen im Blut auf. Dazu kann er auch Hinweise darauf liefern, welches Gewebe der Krebs befallen hat. Entsprechende Ergebnisse der "Pathfinder"-Studie haben Ärzte um Deb Schrag vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York Anfang September auf der Jahreskonferenz der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO) vorgestellt.

Der sogenannte Galleri-Test gehört zu den "Multi-cancer early detection"-Tests (MCED). Er sucht nach kleinen Mengen von Krebs-DNA, die ins Blut gelangt ist und dort zirkuliert (circulating tumour DNA, ctDNA). Diese DNA wurde darauf untersucht, ob bei ihr andere Gene an- und abgeschaltet sind als bei gesunden Zellen. Das lässt sich an charakteristischen chemischen Veränderungen ablesen: Abgeschaltete Gene tragen zusätzliche Methylgruppen. In der Summe zeigt das sogenannte Methylierungsmuster, welche Gene aktiv sind und welche nicht, und damit, ob es sich um Tumor-DNA oder gesunde DNA handelt.

Auf solchen Blut-Früherkennungstests für Krebs ruhen große Hoffnungen. Sie sollen die zahlreichen Krebsarten, für die noch keine Screeningmethoden verfügbar sind, endlich früher aufspüren helfen und damit weitaus besser behandelbar machen. Solche Vorsorgeuntersuchungen sind bisher eher die Ausnahme als die Regel.

Zu den wenigen Screening-Maßnahmen gehören etwa Mammografien, Gebärmutterhals-Abstriche und ein Prostatakrebs-Bluttest zur Bestimmung des PSA-Wertes. Zum Zeitpunkt vieler Krebsdiagnosen ist die Krankheit allerdings schon weiter vorangeschritten. Spürbare oder sichtbare Beschwerden treten erst auf, wenn sich die Krebszellen schon deutlich vermehrt haben.

Der Grail-Test ist in den USA bereits auf Rezept für 949 US-Dollar erhältlich. Da er jedoch nicht von der US-Zulassungsbehörde FDA zugelassen ist, wird er von den meisten Versicherungen nicht übernommen. Laut den neuen Studienergebnissen lieferte der Bluttest bei mehr als zwei Drittel der positiv getesteten Patienten Hinweise auf Krebsarten, für die es bisher keine anderen Vorsorgeuntersuchungen gibt. Etwa die Hälfte der im Bluttest aufgefallenen Krebsfälle wurden in frühen bis mittleren Entwicklungsstadien entdeckt. So wurde Leber-, Dünndarm- und Gebärmutterkrebs in Phase I, und Knochenkrebs sowie der notorisch erst sehr spät auffallende Bauchspeicheldrüsenkrebs in Phase II entdeckt.

"Setzt man die MCED-Tests zusätzlich zu den Standard-Screenings ein, verdoppelt sie die Zahl der gefundenen Krebsfälle im Vergleich zum alleinigen Einsatz der Standardtests", sagt Jeffrey Venstrom, der medizinische Vorstand von Grail. Das Unternehmen ist eine selbständige Tochterfirma von Illumina.

In der Pathfinder-Studie wurden mehr als 6.600 über 50-jährige Probanden untersucht, die aufgrund ihres Alters ein erhöhtes Risiko für Krebs haben. Bei 92 Teilnehmern (1,4 Prozent) fand der sogenannte Galleri-Test DNA-Veränderungen im Blut, die auf eine Krebserkrankung hindeuten. Bei 35 dieser 92 Probanden bestätigten weitere Bildgebungstests und Biopsien meist innerhalb von zwei Monaten tatsächlich bösartige Wucherungen. Damit beträgt der positive Vorhersagewert des Bluttests 38 Prozent.

Dabei wiesen die Testergebnisse in 97,1 Prozent der positiven Fälle auf den richtigen Gewebeursprung der Krebsfälle hin. "Das Aufregende an diesem Ansatz ist, dass er sowohl solide Tumore als auch flüssige Tumore detektiert hat", sagt Deb Schrag, eine der Autorinnen der Pathfinder-Studie. Das bedeutet, dass der Test neben Wucherungen auch Blutkrebsfälle aufgespürt hat. In einem Fall wies er sogar auf zwei parallele Krebserkrankungen hin, nämlich Brust- und Gebärmutterkrebs. Schrag gibt an, dass sie Grail sowohl berät, als auch Forschungsgelder von dem Unternehmen erhalten hat.

Nicht genau beziffert wurde die Sensitivität des Bluttests, wie oft er also vorhandene Krebsfälle tatsächlich als Krebs und damit als richtig positiv erkennt. Der Wert könnte über 99 Prozent liegen, da Venstrom zufolge weniger als ein Prozent der Bluttestergebnisse falsch positiv waren. Bestätigt sich dieser Wert, wäre das ein sehr gutes Ergebnis. Falsch-positive Krebsergebnisse bedeuten für die Patienten aufgrund weiterer, teilweise invasiver Tests eine große Belastung. Die überflüssigen Maßnahmen binden auch bedeutende Ressourcen der Gesundheitssysteme. "Es ist ein wichtiges Ergebnis, dass nur wenige Teilnehmer mehrere invasive Eingriffe wie Endoskopien und Biopsien benötigten", sagt Schrag.

Wie gut der Test krebsfreie Menschen tatsächlich als solche erkennt, haben die Forscher bei einer etwas kleineren Gruppe mit 6.290 Teilnehmern untersucht. Der Anteil dieser richtig negativen Ergebnisse, auch Spezifität genannt, betrug sehr gute 99,1 Prozent. Aus den veröffentlichten Informationen geht dabei nicht hervor, warum für die Sensitivität und Spezifität unterschiedlich viele Probanden untersucht wurden.

Positiv ist aber, dass alle Probanden unabhängig vom Bluttestergebnis ein Jahr später nochmal mit herkömmlichen Tests auf Krebs untersucht wurden. Ergab diese Nachverfolgung eine Krebsdiagnose, nachdem der Bluttest zuvor negativ ausgefallen war, werteten die Forscher das Blutresultat als falsch negativ.

Schrag betont, dass weitere Untersuchungen mit größeren Probenmengen nötig sind, um den Bluttest weiter zu verbessern. Die Optimierung zielt darauf ab, Krebs-DNA besser von allen anderen DNA-Sorten im Blut zu unterscheiden. Schwieriger herauszufinden ist, inwieweit die Bluttests überflüssige Untersuchungen nach sich ziehen, weil der Krebs sich doch nicht gefährlich weiterentwickelt hätte.

Onkologen rechnen insgesamt damit, dass die Tests in absehbarer Zeit zum Arsenal der Krebsvorsorge gehören werden. "Innerhalb der nächsten fünf Jahre werden wir mehr Ärzte, Chirurgen und Pflegekräfte brauchen, zusammen mit mehr Infrastruktur für Diagnostik und Behandlungen, um für die wachsende Zahl von Menschen zu sorgen, die von Multi-Krebsfrüherkennungstests identifiziert werden", sagt Fabrice André, der neugewählte ESMO-Vorsitzende, über die Studienergebnisse.

(vsz)