Silizium: Kann Europa sich selbst mit dem wichtigen Rohstoff versorgen?

In unserer Serie schauen wir, wie weit sich Deutschland und Europa von Import-Abhängigkeiten lösen könnten. Wie ist es bei Silizium – Sand gibt es doch überall?

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Wafer

Silizium-Wafer mit 12 Zoll (30 Zentimetern) Durchmesser.

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Rainer Kurlemann
Inhaltsverzeichnis

(This article is also available in English)

Die Verwendung von Silizium ist eng mit der Ziffer 9 verknüpft. Das Halbmetall entwickelt die gewünschten Eigenschaften erst dann, wenn es extrem sauber hergestellt wird. Das Silizium für eine Photovoltaikzelle sollte zu 99,9999 Prozent aus Siliziumatomen bestehen. Im Vergleich dazu ist ein edler Goldbarren von 24 Karat extrem verunreinigt. Es besitzt nur einen Reinheitsgrad von 99,99 Prozent. Doch wenn Silizium in der Mikroelektronik für Halbleiter oder Computerchips eingesetzt wird, steigen die Anforderungen noch einmal um den Faktor Tausend: Die Chip-Industrie fordert einen Reinheit von 99,9999999 Prozent. Das bedeutet, dass nur weniger als ein schädliches Fremdatom auf einer Milliarde Teile Silizium vorkommen darf.

Diese Zahlen erklären, warum die Suche nach Silizium nicht so einfach ist, wie es die Zusammensetzung der Erdkruste vermuten lässt. Silizium ist nach Sauerstoff das zweithäufigste Element (bezogen auf die Masse). Trotzdem gibt es nur wenige Vorkommen, die für Hochtechnologie-Anwendungen genutzt werden können. Der Sand in der Sahara ist beispielsweise wegen seiner Zusammensetzung und der Größe der einzelnen Körner für die Gewinnung von Silizium nicht geeignet. Geologen suchen vor allem nach Quarzvorkommen (chemisch: Siliziumdioxid), die möglichst rein sein sollen.

Über Rohstoffe und De-Globalisierung:

Shenzhen, Hafen von Yantian

(Bild: zhangyang13576997233 / Shutterstock.com)

Die vergangenen Monate haben schmerzlich gezeigt, dass die Abhängigkeit von Ressourcen einen hohen Preis hat. Doch lässt sich das Rad noch zurückdrehen? Werfen wir also einen Blick auf die Versorgungslage. Wie weit sich Europa mit strategisch wichtigen Rohstoffen selbst versorgen könnte und was das für die Industrie bedeutet, wollen wir mit einer Rohstoff-Artikelserie erkunden.

"Hochwertige Quarzsande sind in Deutschland verbreitet und Ausgangsstoffe sowohl für die Produktion einer großen Vielzahl von Baustoffen als auch von Industriegütern", berichtet die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Bei der Produktion von glasfaserverstärkten Kunststoffen, mächtigen Trinkwasserfiltern, Schleifmaterialien, Glasbehältern oder -scheiben können Deutschland und Europa sich selbst versorgen. Glasbehälter bestehen heutzutage im Durchschnitt zu 60 Prozent aus recyceltem Altglas. "Quarzrohstoffe, die zur Herstellung von reinem Silizium verwendet werden können, sind dagegen wesentlich seltener und werden größtenteils importiert", heißt es im Bericht der BGR.

Das Halbmetall Silizium wird in zwei Schritten gewonnen. Der erste Schritt ähnelt der Eisenproduktion aus Eisenerz. Aus den Siliziumoxiden wird meist mit Kokskohle im Lichtbogenofen das Silizium freigesetzt, das in flüssiger Form im Reaktor als Rohsilizium absinkt. Doch schon hier ist die Beschaffenheit der Oxide entscheidend. Quarzsande sind wegen der kleinen Korngrößen so dicht, dass die Luft nicht ausreichend zirkulieren kann. Der Prozess funktioniert am besten mit Quarzkieseln oder -schottern, die gleichzeitig einen sehr hohen Gehalt an Siliziumoxid aufweisen müssen.

Den Weltmarkt für Rohsilizium beherrscht China, das etwa 70 Prozent des Halbmetalls herstellt. Aber auch in Norwegen und auf Island werden nennenswerte Mengen produziert. Die einzige deutsche Siliziumhütte südlich von Passau bezieht ihre Rohstoffe nach Angaben der BGR aus Bayern, Österreich und Tschechien. Hauptabnehmer sind demnach die Aluminiumindustrie (Legierungen) und Chemieunternehmen als Hersteller von reinem Silizium.

Das Rohsilizium muss für Hochtechnologie-Anwendungen wie Solarzellen weiter gereinigt werden, so entsteht polykristallines Silizium, kurz Polysilizium genannt. Dabei lässt man das Halbmetall mit Chlorwasserstoff reagieren, damit flüssiges Trichlorsilan entsteht, das sich über eine Destillation leichter reinigen lässt. Das Trichlorsilan kann mit verschiedenen Verfahren wieder zersetzt werden, dabei scheidet sich das hochreine Silizium ab.

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Nach Schätzungen von Branchenkreisen liegen 80 Prozent des Weltmarkts in der Hand weniger chinesischer Anbieter, die den Rohstoff beispielsweise für herkömmliche Photovoltaikanlagen liefern. Er könnte bis 2024 auf 90 Prozent zu steuern. Deutschland kann in diesem wachsenden Markt aber bisher mithalten. Das Unternehmen Wacker Chemie zählt zu den größten Herstellern von Polysilizium weltweit. Vermutlich könnte es den europäischen Bedarf in hoher Qualität decken. Dass Deutschland bei der Photovoltaik im Massenmarkt vom Ausland abhängig ist, liegt also weniger an den Rohstoffen als an der Fertigung, die fast ausschließlich in Asien stattfindet. Aber der Markt für Solarmodule verändert sich. Im Jahr 2018 bestanden 96 Prozent der ausgelieferten Solarzellenmodule aus Polysilizium. Inzwischen spielen monokristallines Silizium und Dünnschichtzellen eine wachsende Rolle.

Die Wiederverwertung ausrangierter Photovoltaik steckt noch in den Kinderschuhen. Die ersten verbauten Solarmodule erreichen gerade das Ende ihrer Lebensdauer. Im Jahr 2030 stehen aber in Deutschland jährlich etwa 20 Millionen Einzelmodule für das Recycling bereit.

Für die Halbleitertechnologie stellt sich der Markt noch einmal anders da. Das Polysilizium muss mit einer sehr teuren Technologie noch einmal gereinigt werden, damit es in Steuerungseinheiten, Datenspeichern und Computern benutzt werden kann. Eine ringförmige Induktionsheizung lässt einen schmalen Abschnitt eines Siliziumstabes schmelzen, in diesem flüssigen Silizium lösen sich die Verunreinigungen, die Schmelzzone mit den unerwünschten Bestandteilen wandert entlang des Stabs zu dessen Ende. Zurück bleibt Reinstsilizium mit 99,9999999 Prozent.

Europa ist weitgehend auf Importe angewiesen. Nur vier der 35 Top-Unternehmen der Halbleiterindustrie sind in Europa angesiedelt. Innerhalb der EU gebe es einen dringenden Bedarf an Investitionen in ein modernes Halbleiter-Ökosystem, heißt es in einer Bewertung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Die EU-Kommission will elf Milliarden Euro für die Chipentwicklung und -produktion in Europa bereitstellen. Zudem soll es den Mitgliedsländern erlaubt werden, den Bau von Chipfabriken durch hohe Subventionen zu unterstützen.

Der Produktionsprozess verlangt viel Know-how, weit mehr als nur im Bereich der Siliziumproduktion. Inzwischen bewerten viele Länder dieses Wissen als strategisch wertvoll für die eigene Sicherheit. Das gilt auch für Deutschland. Bundeswirtschaftsminister Habeck hat deshalb Anfang 2022 die Übernahme des Münchener Unternehmens Siltronic durch den taiwanesischen Wettbewerber Globalwafers verboten. Siltronic stellt Wafer aus Reinstsilizium her, das Grundmaterial für Halbleiterchips.

(jle)