Schach-Skandal: Niemann soll in mehr als 100 Partien geschummelt haben

Ein Bericht legt nahe, dass Großmeister Hans Niemann online nicht ganz ehrlich spielte. Er soll mehrfach betrogen haben, auch in Turnieren mit Preisgeldern.

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(Bild: Shutterstock.com / Impact Photography)

Lesezeit: 4 Min.
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Im Skandal um einen möglichen Betrug durch den 19-jährigen Schachgroßmeister Hans Niemann liefert das Schachportal Chess.com nun neue Vorwürfe. Laut einer Untersuchung von Chess.com soll Niemann in mehr als 100 Spielen geschummelt haben, darunter in Turnieren mit Preisgeldern und gegen andere namhafte Großmeister. Gut ein Viertel der Partien soll er auf Twitch live gestreamt haben.

In einem Interview wenige Tage nach seinem Sieg gegen Weltmeister Magnus Carlsen hatte Großmeister Hans Niemann zugegeben, in nur zwei Momenten in seinem Leben online geschummelt zu haben, einmal mit 12 und einmal mit 16.

Damit gesellt sich der Bericht zu einer Reihe von Vorwürfen gegen Niemann. Erst vor Kurzem gab der Weltmeister Magnus Carlsen ein Statement ab, in dem er Niemann vorwarf, weit aus öfter betrogen zu haben, als dieser zugab. Großmeister an der Weltspitze wie Hikaru Nakamura, Fabiano Caruana und Ian Nepomniachtchi haben schon zuvor Zweifel am raschen Aufstieg von Niemann geäußert.

Aus dem 72-Seiten-Bericht wird klar, dass Niemann das erste Mal 2015 im populären Online-Turnier "Titled Tuesday" schummelte. Ein weiteres Mal 2017 und dann gleich neun weitere Male 2020, bis er erwischt wurde. Gegenüber Chess.com gab er zu, in den Partien betrogen zu haben und versprach, es nicht nochmal zu tun. Die Schachseite veröffentlichte den gesamten Gesprächsverlauf ebenfalls im Bericht.

Der Großmeister Hans Niemann hat laut Chess.com mehr als Hundert Mal Schachprogramme zur Hilfe genommen, vor allem am Anfang der Pandemie.

(Bild: Chess.com)

Der Algorithmus von Chess.com wird vielerorts, auch von Niemann selbst, als der beste der Welt angepriesen. Insgesamt soll dieser schon mehr als 400 Titelträger überführt haben, wovon mehr als zwei Dutzend Großmeister waren. Darunter sollen sogar vier Spieler sein, die zu den Top 100 der Welt gehören. Doch wie überführt der Algorithmus Betrüger?

Es genügt nicht, alle Züge durch eine Engine zu jagen und zu schauen, wie genau jemand gespielt hat. Stattdessen sammelt der Algorithmus mehrere Daten und nutzt eine Vielzahl von Statistiken, um einen Wert (Strength Score) zu kalkulieren, der aussagt, wie gut jemand in den einzelnen Partien gespielt hat. Dieser reicht von 0 bis 150, wobei die reine Nutzung eines Schachprogramms Werte im Bereich von 125 bis 150 produziert. 100 soll das Höchste sein, was jemand in einer echten Partie erreichte.

Online dagegen sei es bei kürzeren Spielen ohnehin unglaublich schwierig, hohe Werte zu erreichen. Weicht der Wert also viel zu stark vom Durchschnittslevel ab, sei das meistens ein sehr großes Indiz. Um auf Nummer sicher zu gehen, überprüfen Analysten manuell die Ergebnisse und Großmeister schätzen ab, wie "menschlich" fragliche Züge waren.

Im zweiten Teil des Berichts geht Chess.com auf den Aspekt ein, ob Niemann jemals live übers Brett geschummelt hat (OTB = over-the-Board). Sie konnten keine Beweise finden, liefern aber in mehr als 50 Seiten eine Menge statistischer Daten und Ungereimtheiten. So soll Niemann von allen Spielern den schnellsten und steilsten Aufstieg hingelegt haben.

Ebenfalls konnte Chess.com keine Aussage über die Partie gegen Magnus Carlsen im Sinquefield Cup treffen, die Niemann mit den schwarzen Figuren für sich entscheiden konnte. Sie betonen aber, es sei merkwürdig, dass Niemann keine klaren Analysen in den Interviews abgeben konnte, was andere Spieler des gleichen Kalibers üblicherweise können. Laut dem Bericht sei außerdem seine Performance in sechs OTB-Turnieren auffällig gewesen, diese erforderten aber weitere Untersuchungen.

Hans Niemann hat sich bisher nicht zu den Chess.com-Aussagen geäußert. Derzeit spielt er in der US-Championship, die OTB stattfindet.

(wid)