Weiterer Dämpfer für das E-Rezept: Letzte Testregion steigt aus Testphase aus

Wie erwartet, nimmt auch die letzte verbliebene Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe nicht mehr aktiv an der Testphase teil.

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(Bild: Thapana_Studio/Shutterstock)

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Nächster Rückschlag für das E-Rezept: Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) setzt die Einführung des elektronischen Rezepts (E-Rezept) aus. Hierzu sehe man sich wegen der Haltung des Bundesdatenschutzbeauftragten gezwungen, teilte die Ärztevereinigung in Dortmund mit. Die KVWL hatte der für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zuständigen Gematik GmbH ein Ultimatum gesetzt – ohne einen einfachen Weg, das E-Rezept mit der elektronischen Gesundheitskarte einzulösen, wolle sie sich nicht mehr aktiv an der Testphase beteiligen. Auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) spricht sich für einen vorläufigen "Stopp des weiteren Rollouts" aus.

Die Kassenzahnärzte hätten bereits beim Beschluss der Spezifikation "Abruf der E-Rezepte in der Apotheke mit personenbezogenem Identitätsnachweis" auf die Datenschutz-Problematik hingewiesen und "eine datenschutz- und sicherheitskonforme Umsetzung gefordert", sagte Dr. Karl-Georg Pochhammer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KZBV. Erst nachdem die entsprechende Spezifikation von den Datenschützern abgelehnt wurde, zog die Gematik Alternativen in Erwägung. Dadurch sei "unnötig Zeit verloren" gegangen. Während die KVWL die Datenschützer für den Stopp verantwortlich macht, fordert die KZBV ein "belastbares und funktionierendes Umsetzungs-Konzept" von der Gematik und dem Bundesgesundheitsministerium. "Praxen, die das E-Rezept bereits nutzen, können und sollen das weiterhin tun. Der Rollout muss jedoch grundsätzlich neu justiert werden", so Pochhammer.

Der Datenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) hatte im September Veto gegen die von der für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zuständigen Gematik GmbH vorgeschlagene E-Rezept-Spezifikation zur Einlösung mit der eGK eingelegt. Nach dieser Spezifikation wäre es möglich, dass der E-Rezept-Fachdienst die Inhalte aller zentral vorliegenden E-Rezepte eines Patienten mit dem Status "offen" wiedergibt – neben Name, Anschrift, Geburtsdatum und auch die Medikation, die Rückschlüsse auf Diagnosen zulässt.

Auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik lehnt die von der Gematik vorgestellte E-Rezept Spezifikation ab, da diese sich "technisch nicht adäquat absichern" lasse. "Nach kryptografischem Stand der Technik" könne nicht ausgeschlossen werden, "dass ein Innentäter einer Apotheke unberechtigt Zugriff auf alle aktuellen, nicht eingelösten Verordnungen eines Patienten und die damit verbundenen personenbezogenen und insbesondere medizinischen Daten erhält." Davon sei potenziell jeder Patient betroffen. Die Protokollierung könne dies ebenfalls nicht unterbinden. "Das so entstehende Risiko für die Vertraulichkeit der Patientendaten ist nach Einschätzung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erheblich."

Bereits Mitte September hatte der CCC die Spezifikation "Abruf der E-Rezepte in der Apotheke mit personenbezogenem Identitätsnachweis" kritisiert. Kelber hatte weitere sichere Einlösewege für das E-Rezept mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) vorgeschlagen – etwa die Möglichkeit, dass Patienten und Patientinnen zusätzlich eine PIN eingeben, um das Medikament zu erhalten.

Anfang September stiegen nach Angaben der KVWL 250 Praxen ein, diese Zahl sollte schrittweise erhöht werden. Laut der Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Gabriele Overwiening, liege die tatsächliche Zahl der teilnehmenden Arztpraxen allerdings bei 60. Bisher kann das E-Rezept über ein Smartphone oder über einen Ausdruck eingelöst werden. Für die E-Rezept-App wird eine PIN benötigt, die die Krankenkasse nach einer persönlichen Verifizierung vor Ort in der Filiale oder in der Postfiliale vergibt. Bei einigen Krankenkassen ist die Identifikation allerdings auch über andere Wege möglich, etwa über eine kartenlose Anmeldung.

Offenbar ist vielen Versicherten das Prozedere zu mühsam, Anträge für die PIN gab es nur wenige. Bei der schleppenden Einführung kommt erschwerend hinzu, dass die Skepsis in der Ärzteschaft groß ist. In diesem Jahr wurden bisher lediglich rund 525.000 E-Rezepte eingelöst. Jedes Jahr werden in Deutschland allerdings ungefähr 500 Millionen Verschreibungen als rosa Zettel ausgestellt – der Anteil der Digitalverschreibung ist also verschwindend gering. Auf freiwilliger Basis können in Deutschland zwar alle Praxen das E-Rezept anbieten, von einer flächendeckenden Anwendung ist das Produkt aber weit entfernt.

Mit der Pilotregion Westfalen-Lippe sollte die Zahl der Digitalverschreibungen steigen – die dortige Kassenärztliche Vereinigung hatte sich bereiterklärt, die Einführung aktiv zu begleiten und Schritt für Schritt mehr Praxen einzubinden. Schleswig-Holstein startete ebenfalls in die Testphase, brach dies allerdings aufgrund von Datenschutzbedenken ab.

Die kassenärztliche Vereinigung in Schleswig-Holstein hatte die Datenschutzbeauftragte des Landes, Marit Hansen, um Prüfung der Übermittlung des E-Rezept-Tokens mittels SMS und E-Mail gebeten. Da der für das Einlösen des E-Rezepts notwendige Token allerdings über unverschlüsselte E-Mails hätte abgegriffen werden können, äußerte Hansen Bedenken. Mithilfe von Apps aus dem Apothekenumfeld sei ein Zugriff auf E-Rezept-Daten durch Dritte mittels E-Rezept-Token möglich.

Notwendige technische Nachrüstungen mit Updates für Konnektoren – spezielle Router – und die Apotheken-Software dauern wohl bis Mitte 2023. So lange wollte die KVWL nicht warten und zog nun die Reißleine. "Die Entscheidung des Datenschützers ist eine Bankrotterklärung für die Digitalisierung im Gesundheitswesen generell und speziell in der ambulanten Versorgung", sagte KVWL-Vorstand Thomas Müller. Das angestrebte Ziel, dass 25 Prozent aller Verschreibungen von gesetzlich Versicherten elektronisch erfolgen, könne nicht erreicht werden.

Durch die Entscheidung des Bundesdatenschutzbeauftragten sei der angestrebte Fortschritt für Patienten, Ärzte und alle weiteren Beteiligten infrage gestellt. "Wir fordern erneut eine rein digitale Lösung – nur dann kann eine Fortsetzung des Rollouts durch die KVWL erfolgen", sagte Müller. Die Gematik äußerte sich ebenfalls enttäuscht. Man bedauere die Entscheidung der KVWL, die Einführung des E-Rezepts vorläufig nicht weiter zu forcieren. Das E-Rezept werde aber bundesweit weiterhin genutzt, stellte sie heraus.

Seit Anfang Oktober hätten mehr als 3700 Arztpraxen E-Rezepte ausgestellt, die in mehr als 9200 Apotheken eingelöst worden seien. Die nächsten Schritte für die bundesweite Einführung des E-Rezepts werden die Gesellschafter der Gematik – neben dem Mehrheitseigner Bundesgesundheitsministerium auch Interessenorganisationen aus der Gesundheitsbranche – bei einer ihrer nächsten Versammlungen abstimmen.

Das Ziel einer flächendeckenden Einführung des E-Rezepts im Jahr 2023 bleibe bestehen, so die Gematik. Die "konkreten nächsten Schritte" werden die Gesellschafter in einer der nächsten Versammlungen abstimmen. Die Umstellung von Papierrezept auf Digitalverschreibung ist ein Großvorhaben im deutschen Gesundheitswesen, das bereits Startprobleme hatte. Ein Pilotprojekt in Berlin-Brandenburg verlief im vergangenen Jahr weitgehend im Sande, eine bundesweite Testphase begann später als geplant.

Dennoch werden Prozesse rund um das E-Rezept weiterentwickelt, wie die Gematik in einer Stellungnahme sagt. So hätten seit Anfang Oktober "mehr als 3.700 (Zahn-)Arztpraxen E-Rezepte ausgestellt, die in mehr als 9.200 Apotheken eingelöst wurden". Mitte 2023 sollen E-Rezepte dann mit der elektronischen Gesundheitskarte eingelöst werden können. Dafür befinde sich die Gematik "im engen Austausch mit den Gesellschaftern, dem BfDI und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)".

Die eigentlich für Januar 2022 vorgesehene Pflichteinführung wurde abgebrochen. Die freiwillige Einführung mit Pilotregionen, in denen die Motivation in der Ärzteschaft relativ hoch ist, entwickelt sich nun ebenfalls zum Rohrkrepierer. Der Zugriff auf die Digitalverschreibung über die App kann praktisch sein, etwa wenn man eine Videosprechstunde wahrgenommen hat und der Arzt danach kein Papierrezept mit der Post schicken muss. Für Privatversicherte soll das Digitalrezept noch kommen.

Update

Stellungnahme der Gematik, der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und Absatz zur Einschätzung des BSI ergänzt. Zahl der laut Abda-Präsidentin tatsächlich teilnehmenden Arztpraxen ebenfalls hinzugefügt.

Update

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Prof. Ulrich Kelber bleibt bei seinem Veto gegen die bisherigen Spezifikation der Gematik zum Einlösen von E-Rezepten mittels eGK. Deshalb wurde der Satz zur Hoffnung der Gematik gestrichen.

(mack)