Videosprechstunde und Telemedizin – Hoffnungen und Hürden

Mit der Pandemie ist die Nachfrage nach Videosprechstunden gestiegen. Telemedizinischen Angebote bieten Fachleuten zufolge Chancen, kommen aber langsam voran.

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(Bild: TippaPatt/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Ira Schaible
  • dpa
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Etwa fünfmal täglich schaltet sich der Mainzer Internist Christoph Lembens mit Patienten zu einer Videosprechstunde zusammen. "Der Videokontakt ist zwischendrin sehr nützlich, ersetzt aber nie den Patientenkontakt", sagt der Mediziner. "Er soll kein Ersatz sein, sondern Überbrückung." Etwa für Diabetiker. An der Mimik und Gestik der Patienten lasse sich viel erkennen, etwa Niedergeschlagenheit und Erschöpfung. "Es geht aber nicht bei Infektionskrankheiten, da braucht man ein Stethoskop und einen offenen Mund." Besonders sinnvoll sei die Videosprechstunde bei jungen Patienten, die viel unterwegs seien; vor allem aber bei immobilen alten Menschen, etwa in Pflegeheimen. So manche Krankenhauseinweisung lasse sich damit verhindern.

Mit der Pandemie ist die Nachfrage nach Videosprechstunden in Rheinland-Pfalz deutlich gestiegen, wie Krankenkassen berichten. "Sie spielen aber noch nicht die Rolle, die sie spielen sollten", sagt Lembens. "Weil es neu ist, braucht es Zeit." Die Telemedizin stehe auch bei anderen Angeboten noch immer am Anfang.

Die Versicherten der Techniker Krankenkasse (TK) in Rheinland-Pfalz nutzten im Jahr vor der Pandemie (2019) telemedizinische Angebote zur Kontaktaufnahme mit einem Arzt nur drei Mal. 2020 zählte die TK dann aber schon fast 25.000 Videosprechstunden. Im Jahr 2021 waren es 33.228 und im ersten Quartal 2022 bereits 9859. Bei der Barmer in Rheinland-Pfalz hatte 2019 noch kein einziger medizinischer Leistungserbringer eine Videosprechstunde abgerechnet. Im dritten und vierten Quartal 2021 waren es schon 627 und im ersten Quartal dieses Jahres 738.

"Videosprechstunden wurden durch Corona natürlich forciert", sagt der Sprecher der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland, Jan Rößler. "Eine kurzfristige Auswertung von Abrechnungsdaten der vergangenen Jahre zeigt derzeit allerdings eine Stagnation mit geringen positiven Tendenzen."

Hausarzt Michael Gurr aus Eisenberg in der Pfalz, Pionier bei Telemedizin und Digitalisierung in Arztpraxen, hält kaum noch Videosprechstunden ab. "Ich habe keinen Vorteil gesehen", sagt der Mitbegründer des Online-Sprechzimmers meinarztdirekt.de, der unter anderem mit der AOK zusammenarbeitet. Im Vergleich zur Telefonsprechstunde sei der Erkenntnisgewinn gering, der Zeitaufwand aber hoch. Wenn er Patienten persönlich sehen wolle, dann lieber direkt in der Sprechstunde. Ganz vieles lasse sich über sein Online-Sprechzimmer aber in Chats klären.

Videosprechstunden eigneten sich sehr gut für thematisch eng gesteckte Fragestellungen wie Laborwerte, eine laufende Medikation oder inhaltliche Fragen zu Facharztbriefen, sagt die Vorsitzende des Hausärzteverbands, Barbara Römer. Die große Mehrheit der Patienten wünsche sich aber "als Mensch in seiner Ganzheitlichkeit" von den Ärzten wahrgenommen zu werden. Dazu gehöre häufig eben auch die klinische Untersuchung.

"Das große hausärztliche Thema der Multimorbidität (Mehrfachkrankheiten) mit seiner Vielzahl an sozialmedizinischen und pflegerischen Aspekten lässt sich in keiner Weise über Video-Konferenzen adäquat abbilden", sagt Römer. Doch gerade dieser Aspekt – das komplexe Zusammenspiel mehrerer chronischer Grunderkrankungen – sei die Kernkompetenz hausärztlicher Versorgung. "Insofern bin ich sehr zurückhaltend mit der euphorischen Einstellung gegenüber Videosprechstunden als Lösungsansatz für die rasch zunehmende Herausforderung der Sicherstellung hausärztlicher Versorgung."

Telemedizin wird nach Einschätzung von Gesundheitsminister Clemens Hoch jedoch ein wichtiger Baustein der medizinischen Versorgung auf dem Land werden. "Telemedizin kann zu einer Entlastung der Praxen führen, in bestimmten Fällen eine medizinische Betreuung in den eigenen vier Wänden ermöglichen und die Versorgung im ländlichen Raum stärken", sagt der SPD-Politiker. Schon jetzt helfe Telemedizin, Entfernungen zu überbrücken und die Versorgung konkret zu verbessern.

Patientenschützer Eugen Brysch betont: "Telemedizin ersetzt nicht grundsätzlich Hausbesuche." Allein im vergangenen Jahrzehnt habe es dabei aber schon "einen dramatischen Rückgang von 25 Prozent" gegeben. Dies treffe vor allem hochbetagte, pflegebedürftige und schwerkranke Menschen.

Hoch nennt das "Telemedizinische Schlaganfallnetzwerk" als positives Beispiel für Digitalisierung in der Medizin. Dabei unterstützten sechs überregionale Schlaganfall-Einheiten kleinere Krankenhäuser rund um die Uhr mit Fachwissen, wenn diese Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall behandelten. Die Ergebnisse des auf zwei Jahre angelegten Projekts "Telemedizin-Assistent", bei dem 24 Praxen in Modellregionen im Westerwald, der Eifel, Rheinhessen und der Pfalz mitgemacht haben, werden noch im November erwartet.

"Es ist ein guter Ansatz, dass die Praxismitarbeitenden, in diesem Fall die speziell ausgebildete Nichtärztliche Praxisassistenz, die Ärztinnen und Ärzte durch die Telemedizin entlasten können", sagt der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, Peter Heinz, zu dem Projekt. Die oppositionelle CDU sieht es kritisch und nennt vor allem schlechte Internetverbindungen und technische Probleme.

"Wir brauchen im gesamten Bundesland die entsprechende Infrastruktur, sprich überall in Rheinland-Pfalz muss es funktionierende Internetverbindungen geben", fordert auch Heinz. Die Kosten – etwa für das Equipment – dürften nicht an den Praxen hängenbleiben.

Dies sei auch wichtig für Videosprechstunden, die sich in der Pandemie als ein probates Mittel erwiesen hätten, "um gerade infektiöse Patientinnen und Patienten zu versorgen", sagt Heinz. "Die Potenziale und die Notwendigkeit der digitalen Gesundheitsversorgung sind völlig unbestritten. Nur: Sie muss funktionieren." Manche Mediziner kritisieren an den Videosprechstunden auch, dass diese sich finanziell schlecht abrechnen ließen.

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Viele seiner Kollegen hätten vom Digitalen derzeit genug, weil das E-Rezept und die elektronische Übermittlung von Krankschreibungen so viel Zeit in Anspruch nähmen und einfach nicht richtig funktionierten, sagt Gurr. Der Mediziner aus der Pfalz setzt auf das Chatten mit seinen Patienten.

Diese fragen im Chat nicht nur nach Rezepten, Terminen und Krankmeldungen, sondern schildern auch Symptome oder stellen Fragen, die ihnen beispielsweise nach einer Untersuchung und dem Arztgespräch in der Praxis noch gekommen sind. Auch Laborwerte bespricht der Hausarzt, der unter anderem mit der AOK zusammenarbeitet, mit seinen Patienten im Internet. In dem schriftlichen Kontakt bleibe oft auch mehr beim Patienten hängen als beim Gespräch in der Praxis.

(bme)