Internet in der Ukraine: Vor allem Strom und Konverter fehlen

Die Initiative KeepUkraineConnected schafft weiterhin Geräte für Internet Provider in die Ukraine. Der Bedarf ist hoch, die Hilfsbereitschaft auch.

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Ladegut in einem LKW, darunter Rackserver auf einer Holzpalette

(Bild: KeepUkraineConnected)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Monika Ermert
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Die Zeiten, in denen die Global Network Operator Group (NOG) Alliance einfach Router mit einem Fiat Punto Richtung Ukraine transportieren konnte, sind lange vorbei. Zehn Monate nach dem Beginn der Initiative KeepUkraineConnected ist das Hilfsprojekt professioneller geworden und auf mehr Schultern in der technischen Community verteilt. Die russischen Attacken auf die Energieinfrastruktur machen den Netzbetreibern in der Ukraine zunehmend zu schaffen.

Router und Switches im Wert von einer halben Million Euro und 41 Glasfaser-Splicer hat die NOG Alliance bislang in die Ukraine geschafft und mit dem ins Boot geholten Distributor DEPS im Land verteilt. Insgesamt beläuft sich der Wert der bislang ausgelieferten Netzwerkgeräte auf über eine Million Euro.

Geräte für weitere zwei Millionen Euro stehen aktuell in zwei Lagerhäusern für die Verteilung in der Ukraine bereit. In den letzten Wochen kamen zwei Großspenden von Microsoft und RedHat dazu, berichtet René Fichtmüller, Initiator von KeepUkraineConnected. Zu Beginn seiner Anstrengungen hat er Spendenlieferungen noch bei sich zu Hause in Empfang genommen.

Die Spendenbereitschaft ist laut Fichtmüller nach wie vor hoch. Zuletzt lieferten Microsoft und Redhat fast 20 Paletten mit Routern und Switches. Von den beiden Lagern an der tschechisch-polnischen und an der deutsch-niederländischen Grenze gehen sie auf die Reise in Richtung Ukraine. Dort werden sie vom Partner DEPS übernommen und über die ukrainische Landeshauptstadt Kiew an Internet Service Provider (ISP) im Land verteilt.

Vom Team der NOG Alliance fährt niemand über die Grenze. Für die Freiwilligen sei das zu gefährlich, sagt Fichtmüller, der anfangs auch selbst Ladungen bis zur Grenze gefahren hat.

Einfacher geworden ist die viele freiwillige Arbeit durch eine von Mitgründer Sander Steffan programmierte Datenbank namens "Aid Coordinator". Sie erlaubt Spendern, ihre Spenden einzutragen oder zu prüfen, was wo gebraucht wird. Nachfragende Netzbetreiber können ihren Bedarf mitteilen. Anfangs hat das KeepUkraineConnected-Team Bedarf und Spenden händisch abgeglichen; inzwischen läuft das mit dem Aid Coordinator praktisch automatisch und für alle transparent.

Fichtmüller hat die Datenbank inzwischen in anderen Ländern vorgestellt, zuletzt bei Besuch afrikanischer NOG Kollegen. Denn sie "könnte in vielen Katastrophengebieten für solche Projekte genutzt werden."

Mit dem Aid Coordinator werden Nachfrage und Angebot abgeglichen.

(Bild: Aid Coordinator (Screenshot))

Trotz der Softwareunterstützung ist Fichtenmüller froh, dass das Team neue Mitglieder gewonnen hat. Zeitweilig, so sagt er, war die Organisation der Spendenlieferungen ein Vollzeitjob für manche Mitstreiter.

Über die Spendenbereitschaft von Community und Tech-Unternehmen ist er fast ein wenig erstaunt. Viele Firmen bieten ausgemusterte Hardware an, die sie ansonsten an Refurbishment Unternehmen verkaufen. 20 bis 25 Prozent seien sogar praktisch neuwertig, so Fichtmüller. Sie stammen aus Forschungslaboren, wo Hardware eine kurze Verweildauer hat. Die Initiative will sich auch weiter auf Router, Switches, Transceiver und Wireless Equipment konzentrieren, weil sie gezielt ISP unterstützen möchte.

Auch Splice-Geräte stehen nach wie vor auf der Wunschliste. Spendenbeiträge von Astra SES und dem Schweizer Provider Init7 werden laut Fichtmüller derzeit dafür verwendet, weitere zu beschaffen. Inzwischen hat KeepUkraine Connection auch die Übergabe vieler Kilometer Glasfaser auf großen Rollen an ukrainische Provider unterstützt.

Auch Olena Kushnirs Provider WebPro gehört zu den Empfängern von Glasfaserkabeln. Der in Friedenszeiten für Banken und Unternehmen in Kiew und anderen ukrainischen Städten tätige Business-ISP mit 45 Mitarbeitern hat mit den Kabeln unter anderem zwei Shelter in der Hauptstadt und einen in Lwiw angeschlossen; dort können Menschen, die ohne Netz und Strom sind, kommunizieren, ihre Geräte aufladen, arbeiten und auch warmen Tee bekommen.

Blackouts und fehlende Energie sind laut Kushnir aktuell die größten Probleme. Nach den Raketen- und Drohnenangriffen vom Freitag war die Situation wieder einmal katastrophal, bestätigt Dmytro Kniaziev von DEPS. Einzelne Bezirke in Kiew und anderen Städten hatten 48 Stunden lang keinen Strom und auch keine Internet- oder Mobilfunkverbindungen.

WepPro nutzt Dieselgeneratoren für seine Datenzentren. Rund 150 Liter Diesel pro Tag werden für die Hauptstandorte in Kiew und Lwiw gebraucht. "Unsere Kunden haben Internet, wenn sie selbst nicht vom Strom abgeschnitten sind", berichtet Kushnir. An kleineren Standorten versucht WebPro sich mit Akkus zu behelfen. Auch die sind ein heiß begehrtes Gut. Die NOG Alliance hat überdies eine Spezialaktion gestartet, um Spannungskonverter zu beschaffen, die dringend benötigt werden.

In den ehemals besetzten Gebieten wird demgegenüber einfach alles gebraucht, sagt Kushnir, die selbst zwischen Deutschland und der Ukraine hin- und herfährt: "Dort ist die Infrastruktur zerstört und manchmal abtransportiert." WebPro habe auch das ukrainische Militär in einzelnen Gebieten mit Leitungen versorgt, die im Zuge von Kämpfen aber wieder zerstört wurden. Einen Teil habe man wieder aufgebaut, aber längst nicht alles, beschreibt sie: "Teilweise sind die Hauptleitungen komplett zerstört".

Das Umschalten zwischen verschiedenen Hauptstrecken für den Internetverkehr gehört mittlerweile für WebPro zum Standard, um auf Ausfälle zu reagieren. Ebenfalls zum Tagesgeschäft in Kriegszeiten gehören kontinuierliche Anfragen des Militärs nach neuen Verbindungen in unterschiedlichen Regionen.

"Was die ISP Vorort leisten, ist krass", sagt Fichtmüller, "Sie fahren gezielt in die attackierten Gebiete und versuchen, so schnell wie möglich das Netz dort wieder herzustellen."

Das Land scheint trotz des Kriegs entschlossen, die Digitalisierung der eigenen Dienste voranzutreiben. Das geschieht etwa mit der inzwischen nach Estland weitergereichten Bürgerportal-App DIIA, über die bereits 14 verschiedene offizielle Dokumente, von der Geburtsurkunde bis zum Führerschein, digital zu bekommen sind.

(olb)