Blutdrucksenker für das Vergessen

Der Betablocker Propranolol senkt nicht nur den Blutdruck, sondern hilft auch traumatisierten Menschen. Das Medikament schwächt die Intensität von traumatischen Erinnerungen, berichtet Technology Review in seiner August-Ausgabe.

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Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery

Menschen, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSD) leiden, können von der Einnahme von Propranolol profitieren. Das blutdrucksenkende Mittel dämpft die Wirkung des Stresshormons Adrenalin nicht nur am Herzen und an Blutgefäßen, sondern auch in der Amygdala. Das ist der Teil des Gehirns, der eine wichtige Rolle bei der Speicherung der emotionalen Komponente von Erinnerungen spielt. Die Erlebnisse selbst werden dabei nicht beeinflusst, weil sie in einem anderen Gehirnteil abgelegt sind.

Wie Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, hat der Angsttherapeut Alain Brunet an der McGill-Universität nicht nur traumatisierte Soldaten mit Propranolol behandelt, sondern auch Vergewaltigungs- und Autounfall-Opfer. Eine Untersuchung mit 60 Teilnehmern ergab, dass fast zwei Drittel von ihnen nach der Behandlung gemäß den PTSD-Kriterien nicht mehr als traumatisiert gelten. In der Kontrollgruppe, die nur ein Placebo erhalten hatte, waren es lediglich zehn Prozent. „Wir sehen genau so gute, wenn nicht sogar bessere Erfolge als bei Patienten, die eine Verhaltenstherapie bekommen – und das in viel kürzerer Zeit“, sagt Brunet.

Darüber hinaus stellte sich heraus, dass auch alte, vermeintlich längst konsolidierte Gedächtnisinhalte nachträglich noch abgemildert werden können – wenn sich die Patienten direkt vor der Behandlung an sie erinnern. Allerdings sind noch weitere Untersuchungen nötig, um das tatsächliche Potenzial dieser Therapie auszuloten.

Die Ergebnisse berühren auch eine der wichtigsten Fragen der Neurowissenschaften: Wie werden Erinnerungen physisch im Gehirn abgespeichert? Während Wissenschaftler bisher glaubten, dass Gedächtnisinhalte durch das Knüpfen neuer Verbindungen zwischen Nervenzellen permanent verankert werden, legen die neuen Erkenntnisse nahe, dass diese Verbindungen beim Erinnern vorübergehend geschwächt werden könnten – und der emotionale Teil der Erlebnisse beeinflussbar wird, bevor sich Erinnerung wieder neu stabilisiert.

Das Heft liegt seit Donnerstag am Kiosk oder ist portokostenfrei online zu bestellen. (wst)