Atomkraft: 422 Reaktoren sind weltweit in Betrieb

Im vergangenen Jahr ist die durch Atomkraft erzeugte elektrische Nettoleistung weltweit um 4089 MW auf 378.314 MW angestiegen.

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Atomkraftwerk Palisades im US-Bundesstaat Michigan. Es wurde im Mai 2022 stillgelegt.

(Bild: Holtec International)

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2022 sind weltweit sechs neue Atomreaktoren ans Netz angeschlossen worden, so viele wie auch im Jahr zuvor. Fünf Reaktoren wurden stillgelegt, drei davon in Großbritannien. Nach Angaben der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) stieg die installierte elektrische Nettoleistung von AKW um 4089 MW auf 378.314 MW. Sie berücksichtigt in einem aktuellen Dossier zur Lage der Atomkraft unter anderem Zahlen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) und des World Nuclear Industry Status Report (WNISR).

Weltweit sind nach IAEA-Zahlen zurzeit 422 Atomreaktoren mit einem Durchschnittsalter ab dem Tag des kommerziellen Leistungsbetriebs von etwa 31 Jahren in Betrieb. 57 Blöcke werden aktuell gebaut, 204 wurden stillgelegt oder werden gegenwärtig rückgebaut. Im WNISR sind mit 411 weniger aktive Reaktoren ausgewiesen, da hier der Modus "Suspended Operation" anders definiert wird. Das sind Reaktoren, die langfristig heruntergefahren, aber noch nicht endgültig stillgelegt worden sind. Die meisten dieser Reaktoren stehen in Japan.

Der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromproduktion lag in den vergangenen Jahren zwischen 10 und 11 Prozent. Er fiel im vorigen Jahr erstmals seit 40 Jahren unter die 10-Prozent-Marke. Das Rekordhoch von 17,5 Prozent stammt aus dem Jahr 1996. Der relative Anteil sei abgesunken, weil die Erneuerbaren Energien ausgebaut wurden und vor allem, weil fossile Kraftwerke auf Basis von Kohle, Öl und Gas absolut gesehen deutlich mehr Strom produzieren als in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten, erläutert die GRS.

Die meisten neuen Reaktorblöcke werden in Asien gebaut, in Westeuropa und Nordamerika befinden sich die meisten Reaktoren, die rückgebaut werden. "Entsprechend ist das Durchschnittsalter der Reaktoren in Asien vergleichsweise niedrig", kommentiert die GRS. Neue Reaktorblöcke haben zudem durchschnittlich eine größere Leistung als die der stillgelegten, so kann trotz eines zahlenmäßigen Rückgangs an Reaktorblöcken die installierte Leistung steigen. Eine Ausnahme wären die Small Modular Reactors (SMR), allerdings werden diese noch nicht kommerziell eingesetzt.

In Europa sind 173 Reaktoren in Betrieb, das Durchschnittsalter beträgt 34,2 Jahre. 16 Reaktoren werden zurzeit gebaut, 124 befinden sich im Rückbau. In Deutschland laufen noch drei Reaktoren, Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2. Sie sollten eigentlich zum Jahresende 2022 abgeschaltet werden, wegen der durch den Krieg Russlands in der Ukraine ausgelösten Energiekrise wurden sie in einen Streckbetrieb überführt, der zum 15. April 2023 enden soll.

Die GRS betont, dass es neben den noch laufenden AKW in Deutschland noch sechs Forschungsreaktoren gibt, die weiter betrieben werden dürften. Gleiches gelte für die Anlagen der nuklearen Ver- und Entsorgung. Dazu zählen neben den Zwischen- und Endlagern für radioaktive Abfälle die Brennelement-Fertigungsanlage in Lingen und die Urananreicherungsanlage in Gronau. In Europa insgesamt werden 21 Prozent des Stroms mit Atomkraft erzeugt. Den größten Anteil am Energiemix hat die Atomkraft in Frankreich, die 56 Reaktoren trugen 2021 knapp 70 Prozent bei. Dieser Anteil dürfte 2022 wegen verschiedener Probleme mit den AKW geringer ausfallen.

Die meisten Atomreaktoren in einem Land stehen mit 92 in den USA. Mit ihnen wurden dort 2022 knapp 20 Prozent des Stroms erzeugt. Die US-amerikanischen AKW sind durchschnittlich knapp 42 Jahre alt. Dabei sind laut GRS Laufzeitverlängerungen eines Großteils der Reaktoren von 40 auf 60 Jahre bereits beschlossen, eine weitere Verlängerung auf 80 Jahre ist für sechs Reaktorblöcke schon genehmigt, über 100 Jahre Laufzeit werde laut nachgedacht.

Weltweit laufende AKW-Neubauprojekte. Russland hat mit seiner Technik daran einen großen Anteil.

(Bild: WNISR)

US-Präsident Joe Biden will die Entwicklung neuer Reaktorkonzepte fördern, vor allem von SMR. Frankreich stellt eine Milliarde Euro für die Entwicklung des SMR Nuward bereit, auch Großbritannien interessiert sich für diese Art Reaktoren, die unter anderem Rolls-Royce entwickeln will. Auch aus Belgien, Tschechien und China wurde Pläne für "Mini-AKW" bekannt, in Russland wurde mit dem Bau von zwei SMR begonnen.

Die 57 Atomreaktoren in China tragen 5 Prozent zur dortigen Stromproduktion bei. Sie haben zusammen ein Durchschnittsalter von 9,2 Jahren. 2022 wurden in China zwei neue Reaktoren in Betrieb genommen, 18 neue Reaktorblöcke verschiedener Typen werden zurzeit gebaut, darunter neben diversen DWR-Typen unter anderem auch Hochtemperaturreaktoren, schnelle Brüter oder SMR. In Südkorea tragen 25 Reaktoren 28 Prozent zum Strommix bei, in Japan beträgt der Anteil der Atomkraft 7 Prozent. Dort sind momentan 17 AKW am Netz, 27 werden rückgebaut. Die japanische Regierung will den Anteil der Atomkraft am Strommix bis 2030 auf etwa 22 Prozent steigern.

Update

Der WNISR erläutert gegenüber heise online, sechs Betriebsaufnahmen im Jahr 2022 basierten auf Daten der IAEA, die die Betriebsaufnahme des zweiten Moduls des chinesischen HTR PM nicht zählen, da sie beide Module nur als einen Reaktor ansehe. Der WNISR rechnet mit 7 Betriebsaufnahmen 2022.

Ende 2022 seien in Europa 170 Reaktoren in Betrieb gewesen mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren. Die Anzahl von 57 Reaktoren enthalte drei Betriebsaufnahmen im Jahr 2022 und eine im Jahr 2023. Die Zahl von 5 Prozent Anteil an der Stromproduktion beziehe sich auf das Jahr 2021. Nach WNISR-Statistik seien zum Ende des vergangenen Jahres 22 Reaktoren im Bau gewesen. Von den 17 erwähnten japanischen AKW hätten sieben seit den Jahren 2010 bis 2012 keinen Strom produziert.

(anw)