RoboCup-WM: Wissenschaft, Spektakel oder Wissenschaftsspektakel?

Der wissenschaftliche Wert des RoboCup wird immer wieder angezweifelt. Nach dem Wettbewerb in Graz wollen Wissenschaftler dieser Frage im Rahmen eines Workshops auf den Grund gehen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 4 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Die RoboCup-WM sei die größte Roboterveranstaltung der Welt, hatte RoboCup-Präsidentin Manuela Veloso bei der offiziellen Eröffnung des diesjährigen Turniers am vergangenen Mittwoch betont. Mit etwa 2300 Teilnehmern sei allerdings auch die obere Grenze des Wachstums erreicht. Deshalb soll es künftig Beschränkungen geben. "Pro Liga wird es in Zukunft nicht mehr als 24 Teams geben", betonte die Wissenschaftlerin. "Alle Teams müssen sich für die Teilnahme qualifizieren." Das Wachstum wird daher zukünftig stärker in den Regionen stattfinden, etwa bei Regionalturnieren wie den RoboCup German Open, die praktisch eine Europameisterschaft sind, oder Landeswettkämpfen. Hier eröffnen sich auch inhaltlich neue Perspektiven. So gab es bei den Iran Open im vergangenen April einen eigenen Wettbewerb für Roboter zur Minensuche und -beseitigung, an dem allein über 60 Teams teilnahmen.

Das größte zahlenmäßige Wachstum gibt es indessen in den Juniorligen. Mehrere zehntausend Schülerinnen und Schüler weltweit sind mittlerweile in die RoboCup-Aktivitäten eingebunden. Nach Graz sind Teams aus 25 Nationen gekommen und haben nach der gestrigen lautstarken Party am heutigen Freitag ihre Wettbewerbe fortgesetzt. Die finden in den Bereichen Soccer, Rescue und Dance statt. Dabei sind die Tanzdarbietungen, bei denen es um die Erarbeitung einer Choreographie mit Robotern geht, für die Zuschauer am attraktivsten. Aber auch ein Blick auf die Fußballspiele kann sich lohnen, die in diesem Jahr auch bei den Junioren erstmals ohne Bande gespielt werden. Der Ball kann also ins Aus gehen – was er erwartungsgemäß auch häufig tut.

Es gehört zu den Grundprinzipien des RoboCup, die Spielbedingungen regelmäßig zu erschweren. Schließlich geht es darum, die Entwicklung der Technologie voranzutreiben. Die Wissenschaft steht im Mittelpunkt – was von Repräsentanten des RoboCup stets betont, von anderen Wissenschaftlern dagegen immer wieder bezweifelt wird. Kritiker der Veranstaltung befürchten, dass ernsthafte Forschung hier dem oberflächlichen Spektakel geopfert wird. Die fürs Fußballspiel entwickelten Technologien und Algorithmen seien nur von geringer Bedeutung für andere Anwendungsszenarien.

RoboCup-Teilnehmer halten dem entgegen, dass auch auf konventionelleren wissenschaftlichen Konferenzen häufig Forschungsergebnisse präsentiert werden, die danach in den Archiven verstauben. Schön formulierte Algorithmen seien zudem nur von geringem Wert, wenn sie Härtetests wie bei diesem Turnier, wo sie eine Woche lang im Wettbewerb mit anderen zuverlässig funktionieren müssen, nicht überstehen. Ohnehin lasse sich die wissenschaftliche Wirkung einer solchen, sehr langfristig angelegten Veranstaltung nicht quantifizieren. Die Teilnehmer und Organisatoren des RoboCup sind sich jedoch durchaus bewusst, dass der sportliche Ehrgeiz dazu führen kann, auf einfache, schnell realisierbare Lösungen zu setzen, die die Forschung nicht unbedingt voranbringen. Das empfindliche Gleichgewicht zwischen Wettbewerb und Kooperation, Turniererfolg und wissenschaftlichem Fortschritt muss immer wieder neu austariert werden.

RoboCup-WM: Technical Challenges (6 Bilder)

Hindernisse

Da muss er durch. Bevor der Ball über die Torlinie rollen darf, muss der Spieler ihn wenigstens zehn Mal berührt und dabei an den Hindernissen vorbei manövriert haben. (Bild: Hans-Arthur Marsiske)

Die damit verbundenen Fragen sind Thema eines Workshops zu Roboter- und KI-Wettbewerben, der gleich nach der RoboCup-WM am 12. Juli im kalifornischen Pasadena im Rahmen der Konferenz IJCAI stattfindet. Dort wird Martin Lauer vom Team der Brainstormers eine positive Bilanz der langjährigen RoboCup-Teilnahme ziehen. Es seien grundlegend neue Verfahren zur Selbstlokalisierung und zur Abschätzung der Positionen und Bewegungen von Objekten entwickelt und zu einer Theorie der Roboterwahrnehmung verdichtet worden, schreibt er in dem gemeinsam mit Martin Riedmiller verfassten Tagungsbeitrag (PDF-Datei).

Lernverfahren, die auf dem Fußballfeld erprobt wurden, könnten ebensogut bei der Steuerung eines autonomen Fahrzeugs oder der Planung komplexer Arbeitsabläufe in Fabriken zum Einsatz kommen. Die beiden RoboCup-Veteranen vergleichen Roboterfußball mit Kooperationen zwischen Universitäten und Industriepartnern: Die zunächst auf konkrete Anwendungen zielenden Forschungen lassen sich mit zusätzlichem Aufwand auf ein abstrakteres und theoretischeres Niveau heben und finden auf diese Weise Eingang in die wissenschaftliche Literatur.

Im Unterschied zu Industriepartnerschaften gibt es beim RoboCup allerdings keine Einschränkungen durch Patentierungsverfahren und Verschwiegenheitsabkommen. Offenheit und Transparenz sind die großen Stärken des RoboCup. Nach dem Turnier werden Programmcodes und Konstruktionspläne zugänglich gemacht, um allen Teams das Anknüpfen an den erreichten Erkenntnisstand zu ermöglichen und auf höherem Niveau erneut in den Wettbewerb einzusteigen. Die Wettkampfregeln und ihre kontinuierliche Anpassung an den Stand der Technik sind Gegenstand ständiger Diskussion in der Forschergemeinde.

Mit dieser Philosophie hat sich der RoboCup zum derzeit größten wissenschaftlichen Roboterwettbewerb der Welt entwickelt, ist aber bei weitem nicht der einzige. Die ebenfalls jährlich ausgetragenen Turniere der Fira (Federation of International Robot-soccer Associations) sind zwar hinsichtlich der Teilnehmerzahl viel kleiner und stellen in weiten Teilen auch technologisch keine ernsthafte Konkurrenz zum RoboCup dar. Humanoide, zweibeinige Roboter müssen bei den Fira-Turnieren jedoch häufig anspruchsvollere Aufgaben bewältigen als beim RoboCup.

So bemängelt Jacky Baltes von der University of Manitoba, der die Zweibeiner-Wettbewerbe bei beiden Organisationen leitet, dass die Konzentration aufs Fußballspiel beim RoboCup eher zu sehr spezifischen technischen Lösungen führe. In einem gemeinsam mit vier anderen Autoren erarbeiteten Workshop-Beitrag (PDF-Datei) beschreibt er, wie bei der Fira größerer Wert auf Robustheit und Vielseitigkeit der Roboter gelegt wird. So müssen die Roboter – teilweise mit Gewichten belastet – über unebenes Gelände laufen und die Verlagerung ihres Schwerpunktes ausgleichen können. Bei der nächsten Fira-WM Mitte August in Korea sollen die Roboter erstmals auch eine Kletterwand erklimmen, wofür eine sorgfältige Koordination von Armen und Beinen erforderlich ist.

So trägt auch der Wettbewerb der Wettbewerbe untereinander dazu bei, dass die Forschung nicht stillsteht. Beim RoboCup bieten im Übrigen die Spezialwettbewerbe, die Technical Challenges, Möglichkeiten, sich auf Forschungsfragen zu konzentrieren, die fürs Fußballspiel möglicherweise noch keine Vorteile bringen, gleichwohl interessant sind. So hat das Team 1. RFC Stuttgart die frei wählbare Free Challenge in der Middle Size League mit einem System gewonnen, das in Echtzeit den Vergleich des von den Robotern entwickelten Weltbildes mit dem tatsächlichen Spielgeschehen erlaubt. Hierfür wird eine Kamera am Spielfeldrand vom Server des Roboterteams gesteuert, wo die Sensordaten der einzelnen Roboter zu einem Modell des Zustandes des Spielfelds zusammengefügt werden. Dieses Modell wiederum steuert die Blickrichtung der Kamera, deren Bilder mit denen des Modells auf einem Monitor übereinander gelegt werden.

Eine interessante neue Technical Challenge bei den humanoiden Robotern ist der Einwurf. Den Darmstadt Dribblers gelang heute ein recht guter einhändiger Einwurf mit einem dreifingrigen Greifer. Der Roboter des Teams NimbRo packte den Ball dagegen mit beiden Armen, zeigte dabei eine größere Sicherheit und warf ihn auch weiter. Der Roboter von CIT Brains bekam den Ball erst nach mehreren Anläufen zu fassen, schaffte dann aber ebenfalls einen imposanten Wurf fast über die gesamte Diagonale des Spielfelds. Die Auswertung dieses Wettbewerbs war bei Redaktionsschluss noch im Gange. Die Ergebnisse der Humanoid League wurden aber in den letzten Tagen im Internet zumeist recht zeitnah veröffentlicht.

Zur RoboCup WM 2009 in Graz siehe auch:

(Hans-Arthur Marsiske) / (vbr)