Netflix: CEO Hastings geht, Account-Sharing-Sperre kommt

Nach 25 Jahren hat Netflix-Mitbegründer Reed Hastings seinen Platz als CEO geräumt. Das neue Führungsduo hält für Nutzer einige unerfreuliche Änderungen bereit.

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(Bild: Bernardo Ramonfaur/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Nico Jurran

Mitte Januar trat Reed Hastings überraschend von seinem Posten als CEO von Netflix zurück – nach über zwei Jahrzehnten an der Spitze des Streamingkonzerns. Als Executive Chairman wird er weiter großen Einfluss behalten, dennoch sehen Kritiker in dem Personalwechsel ein weiteres Eingeständnis seitens Netflix, sich neu erfinden zu müssen. Für die Nutzer des Dienstes bedeutet dies: Der Dienst wird künftig noch mehr auf Profit getrimmt, bisherige Prinzipien im Zweifel über den Haufen geworfen.

Was das konkret bedeuten kann, zeigte sich bereits nach einem drastischen Einbruch des Börsenwerts des Unternehmens im vergangenen Jahr: Nachdem Hastings lange Werbung als Einnahmequelle kategorisch ausgeschlossen hatte, führte Netflix ein verbilligtes Basis-Abo mit Werbung ein – in Deutschland für 4,99 statt 7,99 Euro. Im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Bloomberg machte die neue Doppelspitze Ted Sarandos und Greg Peters klar, dass sie den neuen Kurs weiter verfolge. Für die Zukunft denken die CEOs nun sogar an einen komplett werbefinanzierten Dienst, wie ihn Amazon mit "Freevee" bereits betreibt.

Ted Sarandos stand Hastings bereits seit Juli 2020 als Co-CEO zur Seite und verantwortete parallel als Chief Content Officer (CCO) des Streamingdienstes dessen inhaltliche Strategie. Er bildet nun mit dem bisherigen Chief Operating Officer Greg Peters ein neues Duo. Nach eigenen Angaben haben beide eine lange To-do-Liste abzuarbeiten – weshalb der neue, voll werbefinanzierte Dienst wohl nicht in diesem Jahr starte. Netflix dürfte aber auch vor der Herausforderung stehen, erst einmal genug Werbekunden aufzutreiben. Tatsächlich gab es schon nach dem Start des Basis-Abos mit Werbung Berichte, Netflix habe nicht die versprochene Anzahl an Zuschauern geliefert und daher Werbeeinnahmen zurückzahlen müssen. Peters widersprach dem im Interview nicht, kritisierte aber eine verfrühte Bewertung der Situation.

Eine andere Neuerung wird am 7. März Premiere feiern: Netflix streamt erstmals ein Event live. Konkret handelt es sich um ein Stand-up-Special des Comedian Chris Rock, das um 22 Uhr US-amerikanischer Ostküstenzeit beginnt – und folglich am 8. März ab 4 Uhr nachts deutscher Zeit läuft. Die Live-Übertragung könnte laut Sarandos auch Standard für die Endrunden bei Wettbewerbsshows werden. Der Live-Charakter mache es spannender, zudem würden Zuschauer nicht der Versuchung erliegen, zum Finale zu springen, um zu erfahren, wer gewonnen hat. Netflix dürfte es auch gelegen kommen, wenn Zuschauer länger am Fernseher gehalten werden.

Am 4. März wird Comedian Chris Rock in Baltimore, Maryland, im Rahmen des allerersten Livestream-Events von Netflix auf der Bühne stehen. Auch andere Formate will der Dienst künftig live übertragen.

(Bild: Netflix)

Den Zeitpunkt seines Abgangs wählte Hastings klug: Netflix verkündete parallel, im abgelaufenen Quartal mit Hits wie der Royals-Doku "Harry & Meghan", der Comicverfilmung "Sandman" und der "Addams Family"-Spinoff-Serie "Wednesday" rund 7,7 Millionen Abonnenten hinzugewonnen zu haben – über drei Millionen mehr, als Analysten erwartet hatten. Wer nach solch einem Erfolg geht, muss sich nicht vorwerfen lassen, das sinkende Schiff zu verlassen.

Dennoch segelt Netflix einer unsicheren Zukunft entgegen – auch, weil der Videostreamingdienst die in Lateinamerika erprobte Account-Sharing-Sperre ab dem ersten Quartal 2023 "breiter" umsetzen will. Mitgucker außerhalb des jeweiligen Haushalts der Kunden werden dann zur Kasse gebeten. Konkrete Starttermine lassen sich dem Quartalsbericht nicht entnehmen.

Allerdings erweiterte Netflix in Deutschland bereits seine FAQ um das Thema Account-Sharing. Kurios: Eine erste Fassung, nach der sich alle Geräte eines Accounts in Zukunft mindestens einmal alle 31 Tage am Hauptort anmelden und dort Netflix-Inhalte streamen müssen, verschwandt nach einem Tag wieder. Auch die Aussage, wie lange man Netflix maximal am Stück auf Reisen nutzen darf, wurde entschärft. Ursprünglich war von sieben Tagen die Rede, nun wird keine genaue Zahl mehr genannt.

Laut Netflix zahlen mehr als 100 Millionen Haushalte nicht für Netflix, weil sie Accounts anderer Haushalte mitbenutzen. Der Dienst geht selbst davon aus, mit der neuen Sperre eine Kündigungswelle zu provozieren. Allerdings erwarte man trotzdem einen Umsatzzuwachs – weil ehemalige Mitnutzer schließlich eigene Abonnements abschließen. Ein solches Muster habe man in Lateinamerika bereits beobachten können. Anleger sollten sich daher von anfänglich negativen Nachrichten nicht beunruhigen lassen, sagte der Streamingdienst.

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