Digital Health: Lauterbach nennt elektronische Patientenakte eine "Illusion"

Bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems hapert es auch nach zehn Jahren an allen Ecken und Enden, gesteht Gesundheitsminister Karl Lauterbach ein.

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Karl Lauterbach in Aktion

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Mithilfe einer gelungenen Digitalisierung will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Versorgung verbessern. Bisher wurde lediglich "ehrgeizig gesprochen", die elektronische Patientenakte (ePA) sei aber nicht mehr als eine Illusion, sagte Lauterbach am Mittwoch auf der Konferenz "Europe 2023". An allen Ecken und Enden gebe es große Probleme bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems. Zwei Gesetzesvorhaben und eine Strategie, die Lauterbach auf der Konferenz ankündigte, sollen das ändern. Lauterbach gab sich in einem Impulsvortrag als überzeugter Europäer. Als Beispiel für den europäischen Forschungsgeist führte er "Alphafold" aus London an, das mittels KI alle bekannten Proteine "in der Struktur entwickeln und ableiten" könne.

Im Zentrum der Digitalisierung steht die Opt-out-ePA, die alle gesetzlich Versicherten automatisch bekommen sollen. In die ePA sollen dann Befunde und Ergebnisse übermittelt werden. Auch miteinander kommunizierende Krankenhausinformationssysteme (KIS) sollen an die Akte angebunden sein. Diese und weitere Daten sollen dann in einen "gesicherten Datenraum" einfließen können. Dabei kritisierte Lauterbach, dass die Daten aktuell lediglich in Silos liegen.

Für die Umsetzung des European Health Data Space (EHDS) müssen die Daten in pseudonymisierter Form vorliegen – ein Vorschlag dazu liegt bereits seit Mai 2022 vor. Zu den Daten gehören beispielsweise Genom-Daten und Registerdaten. Im EHDS sollen in Zukunft alle Daten verschlüsselt vorliegen, etwa auch die Abrechnungsdaten aller gesetzlichen Krankenkassen. Zwar pseudonymisiert, aber eine Zuordnung zu den Patienten sei laut Lauterbach möglich. Dann werde es wie in Israel sofort möglich sein, über die ePA gezielt Patienten mit der Krankheit X, die nicht das Medikament A einnehmen, anzuschreiben und für eine Studie zu rekrutieren.

Angedacht sei ebenfalls, die Daten auch Unternehmen für die Forschung zur Verfügung zu stellen. Lauterbach zufolge brauche es eine "gute europäische Datenschutzlösung". Daten könnten dann mit "Algorithmen der künstlichen Intelligenz ausgewertet werden". Dabei gestand er ein, dass die in den USA zur Verfügung stehenden Daten "auch nicht alles Gold" sind. In Europa seien nützliche Daten vorhanden, allerdings braucht es seiner Ansicht nach ein besseres System, um die Genehmigungen für die Datenverarbeitung zu bekommen.

Zuvor hatte sich eine Diskussionsrunde mit der Rolle von eHealth auf dem Weg in ein vernetztes europäisches Gesundheitssystem befasst. Unter dem Eindruck der "Erfolge" von ChatGPT wurde zunächst die Rolle der KI diskutiert. Für die Medizinethikerin Alena Buyx könnte eine ausgereifte KI die Routinearbeiten der ärztlichen Dokumentation übernehmen. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, schwärmte von einer KI der Zukunft, die für die ärztliche Aufklärung zuständig sein könnte. Einer KI könne man "blöde Fragen" stellen, die man einem Arzt nicht stellen würde, befand Bundesdatenschützer Ulrich Kelber. "KI wird wie Elektrizität um uns sein."

Europe 2023: eHealth-Diskussionsrede

(Bild: Die Zeit, Handelsblatt, Tagesspiegel, Wirtschaftswoche)

In Zusammenhang mit dem verstärkten Einsatz von KI-Methoden verwies er auch auf den Artificial Intelligence Act, an dem das EU-Parlament gerade arbeitet. Im Hochrisikobereich, etwa bei der Triage wolle man keine KI-Methoden einsetzen. KI sei nach wie vor als eine Unterstützung für den Arzt gedacht und kein Ersatz. Viele Ärzte sind der Ansicht, viel Zeit für die Digitalisierung aufwenden zu müssen. Dabei sollte die Digitalisierung Arbeit sparen. Demnach sei es nicht zielführend, den Ärzten einfach einen Konnektor – einen Router für das Gesundheitswesen – hinzustellen. Ein Fortschritt wäre es, wenn Ärzte bei Aufgaben unterstützt würden, die wegzudigitalisieren seien – etwa bei der Terminfindung.

Nach dem Ausflug in die Zukunft stand der Blick in die europäische Gegenwart und den EHDS an. Kelber sieht darin eine ganze Menge Arbeit, ehe der Datenraum funktionieren könne. "Es gibt zum Beispiel erhebliche Unterschiede in Europa, wie ich mich authentifiziere. Der Datenraum alleine kann da nicht helfen".

Inzwischen sei "Dr. Google" laut der Vorsitzenden des deutschen Ethikrats, Alena Buyx, die erste Quelle, wenn es um mögliche Diagnosen geht. Vor 25 Jahren war dies noch anders. Dass Menschen in Google nach ihren Krankheiten suchen, bezeichnete Baas als datenschutztechnischen Super-GAU. Als ebenfalls kritisch sieht der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationssicherheit (BfDI), Ulrich Kelber, dass Menschen private Dienste zur DNA-Analyse in Anspruch nehmen. Dabei handele es sich um einen nicht anonymisierbaren Datensatz, der beispielsweise nach China übermittelt werde, wo Datenschutz-technisch andere Maßstäbe gelten.

Laut Buyx wolle man es nicht wie China machen. Hohe Datenschutzstandards sollen als Alleinstellungsmerkmal gelten, auch wenn der Datenschutz ihrer Ansicht nach Leben koste. Inzwischen gebe es einen "Wildwuchs aus zigtausenden von Gesundheitsapps". Dennoch achte man in Deutschland zu sehr auf die Risiken und zu wenig auf die Chancen der Digitalisierung.

Baas sehe den Datenschutz sogar als Chance, sich gegen China und die USA abzugrenzen. Das Hauptproblem bei der wenig vorhandenen Digitalisierung des Gesundheitssystems liegt seiner Ansicht nach eher an den unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Akteure, etwa der Pharmaindustrie, aber auch denen der Krankenkassen. Daten von Videosprechstunden dürfen zudem nicht einfach abgegriffen oder sogar verkauft werden. Wenn das passiert, müssten die Unternehmen eine Strafe von bis zu vier Prozent ihres weltweiten Jahresumsatzes zahlen, erklärte Kelber.

Als weitere Änderung kündigte Lauterbach zum wiederholten Male eine Modernisierung der Krankenhausversorgung an und Wege, um selbige vor der Pleite zu bewahren. Krankenhäuser sollen künftig besser ausgestattet werden und raus aus dem Hamsterrad. Man müsse weg von dem jetzigen, auf Wirtschaftlichkeit ausgelegten System. Krankenhäuser sollen künftig nicht mehr auf Profit ausgelegt sein. Die Befürchtungen des bayerischen Gesundheitsministers Klaus Holetschek (CSU), dass viele Krankenhäuser durch die Krankenhausstrukturreform verschwinden werden, bezeichnete Lauterbach als Panikmache. Die Planungshoheit bleibe bei den Ländern, mit denen man weiter zusammenarbeite.

(mack)