Internet-Bewegung gegen Scientology geht auf die Straße

Am Samstag ist die Internet-Bewegung "Anonymous" zum dritten Mal auf die Straße gegangen, um weltweit gegen die Aktivitäten der Scientology-Organisation zu protestieren.

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Von
  • Gerald Himmelein

Internet-Bewegung gegen Scientology geht auf die Straße (5 Bilder)

In Berlin trafen über 50 Demonstranten zum Protest gegen Scientology zusammen.

Am Samstag ist die internationale Anonymous-Bewegung zum dritten Mal gegen Scientology auf die Straße gegangen. Weltweit trafen über 5000 Teilnehmer vor den Niederlassungen der Organisation zusammen, um gegen die Methoden der Organisation zu protestieren. Viele Teilnehmer trugen Masken, um ihre Identität zu schützen. Scientology ist dafür berüchtigt, Kritiker mit Anwälten und anderen Einschüchterungsmethoden unter Druck zu setzen.

Der Name "Anonymous" ist ein Sammelbegriff für anonyme Aktivitäten im Internet, zu denen sich die Teilnehmer meist spontan zusammenfinden. Bis zum Januar trat Anonymous nur im Internet auf, um etwa Online-Foren massenhaft mit Nonsens zu überfluten und grafische Chats zu besetzen. Anonymous besitzt keine Anführer, Entscheidungen entwickeln sich aus dem Konsens der Teilnehmer.

Ende Januar formierte sich unter dem Banner Project Chanology eine Anonymous-Bewegung gegen die Organisation Scientology. Auslöser war ein neunminütiger Filmschnipsel von Tom Cruise auf YouTube. Darin schwärmte der Schauspieler ausführlich und auf befremdliche Weise über Scientology. Anwälte der Organisation ließen den Clip von YouTube entfernen, was von Anonymous als Zensur aufgefasst wurde.

Innerhalb weniger Tage stellte die Ad-hoc-Bewegung ein Wiki zur Koordination zusammen, veröffentlichte ein Video-Manifest auf YouTube und griff am folgenden Wochenende erfolgreich die Server der Organisation an. Kurz darauf folgte eine bemerkenswerte Umorientierung: Statt weiterhin destruktiv vorzugehen, sollten weltweite Demonstrationen die Aufmerksamkeit auf die Aktivitäten der umstrittenen Organisation lenken.

Unkenrufen zum Trotz war die erste Protestwelle am 10. Februar ein beachtlicher Erfolg. Die Demonstrationen begannen weltweit jeweils um 11 Uhr Ortszeit. Viele Teilnehmer waren maskiert oder verkleidet, um ihre Anonymität zu wahren.

Anonymous beschloss, mit den Protesten im Monatsrhythmus fortzufahren. Vor der zweiten Kundgebung am 15. März lancierte Scientology ein Video, in dem Anonymous als Gruppe von Cyber-Terroristen bezeichnet wurde. Neben Website-Angriffen sei die Organisation mit Schmäh-Mails, Faxlawinen sowie Bomben- und Morddrohungen überzogen worden.

In weiteren Videos demaskierte Scientology ausgewählte Mitglieder der Anonymous-Bewegung mit Name, Foto, Online-Alias und Wohnort. Die vermeintlichen Drohgebärden verfehlten jedoch ihr mutmaßliches Ziel, Demonstranten von der Teilnahme abzuhalten. Die Proteste verliefen überwiegend friedlich.

Dem dritten Demonstrationsaufruf unter dem Motto "Operation Reconnect" folgten ersten Schätzungen zufolge deutlich weniger Anonyme als im März und Februar. Aktuelle Zählungen gehen derzeit von 4600 bis 5600 Teilnehmern weltweit aus. Im März sollen es 7800 bis 9600 gewesen sein, im Februar zwischen 5600 und 8370. Die aktuellen Zahlen sind allerdings noch unvollständig. Die größten Demonstrationen fanden abermals in Großstädten wie London und Los Angeles statt.

Hauptthema der Proteste war die umstrittene "Disconnection Policy" der Scientology-Organisation, die Aussteigern und Nichtmitgliedern den Zugang zu Familienangehörigen innerhalb von Scientology blockiert. Das Thema und die Koordination wurden in Internet-Foren und IRC-Chats beschlossen und organisiert. In Los Angeles nahm die Nichte von Scientology-Chef David Miscavige an der Demonstration teil. Mittlerweile wird Anonymous von zahlreichen Ex-Scientologen und bekannten Scientology-Gegnern gestützt.

In Berlin fanden diesmal über 50 Demonstranten zusammen. Dazu gehörte auch eine Delegation der religionskritischen "Kirche des FSM" in Piratenkostümen. Die meisten Anonymen waren maskiert – trotz Vermummungsverbot. Der Einsatzleiter hatte die Masken zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Demonstranten zugelassen.

Am Demonstrationsort gegenüber der deutschen Scientology-Zentrale in Berlin stellte sich auch ein MARCAB e.V. vor, der sich der Aufklärung über Scientology verschrieben hat. Der Verein teilt den Namen mit einer intergalaktischen Zivilisation aus dem Scientology-Universum.

Auf der anderen Straßenseite zelebrierte Scientology wie bei den vorangegangenen Demonstrationen die "Aktionswochen für Menschenrechte" mit einer Veranstaltung, die sicherlich rein zufällig im selben Zeitraum stattfand wie die Anonymous-Demonstration. Die nächsten internationalen Proteste sollen am 10. Mai stattfinden. (ghi)