Hacking at Random: Mehr Bandbreite, mehr Weitsicht, mehr Zukunft

Ohne groĂźe Vorkommnisse und Verletzungen endete das Sommercamp der Hacker. Inspiriert von vielen Aktionen zerstreute sich die Szene wieder. Leichte Zweifel, ob man wirklich im Zentrum des politischen Freiheitskampfes steht, bleiben bestehen.

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Von
  • Detlef Borchers

Ohne große Vorkommnisse und Verletzungen endete Hacking at Random, das Sommercamp der Hacker im niederländischen Vierhouten. Inspiriert von vielen Aktionen in den Zelten auf dem weitläufigen Gelände zerstreute sich die Szene wieder in ihre europäischen Enklaven. Leichte Zweifel, ob man wirklich im Zentrum des politischen Freiheitskampfes steht, bleiben bestehen. Pünktlich um 6 Uhr abends wurde am Montag die Gigabit-Verbindung zum Internet auf dem Campinggelände De Passheuvel getrennt. "Hacking at Random" ist damit Geschichte – die Teilnehmer sind bereits eifrig dabei, ihre eigenen Geschichten zu archivieren und vorsichtig ihre Teilnehmerbändchen als Trophäen des Hackerlebens zu konservieren.

Technisch glänzte das Festival durch verschiedene Vernetzungen, aber das war den Teilnehmern nicht so wichtig wie das Partyfeiern: "Use more Bandwith", die Forderung der Veranstalter, doch ordentlich Daten durch die Netze zu schicken, wurde eher ignoriert. Eines der technischen Glanzstücke war das aufgesetzte WLAN, das das sehr weiträumige Campinggelände abdeckte. 60 Access Points von Cisco waren so installiert und gebündelt, dass man jederzeit einen Knoten einfach nach dem Buchstaben des Campingareals oder des Vortragszeltes wählen konnte. 1460 Teilnehmer nutzten dieses WLAN, viele davon mit ihrem G1 Googlephone, auf dem das HAR-Programm in einer Anwendung lief. Etwa die gleiche Zahl hatte verdrahteten Kontakt, doch im Unterschied zu früheren Festivals wie What the Hack kamen die Organisatoren mit deutlich weniger Datenklos aus.

Ein weiteres technisches Meisterstück von "Hacking at Random" war "240-42" oder "42", ein eigenes GSM-Netz auf Basis von Open-Source-Programmen. Dieses Netz war zwar bereits auf der Jahrestagung des Chaos Computer Clubs angekündigt worden, aber dass es dennoch zustande kam, war ein kleines Wunder. So musste das gesamte GSM-Equipment (Basisstationen, Sender, Switches) schnell auf eBay zusammengekauft werden, nachdem ein Auto mit all diesem Material in Berlin in Flammen aufging, weil es neben einem Porsche Cayenne geparkt war, der von Autonomen angegriffen wurde. Auch die Genehmigung zur Einrichtung eines kleinen GSM-Netzes gehört zu den Wundern. Sie wurde von der Stichting Hxx als "Kongressveranstalter" beantragt und von der zuständigen niederländischen Telekom-Behörde recht spät und mit zahlreichen Auflagen (4 Frequenzen, 100 mW Sendeleistung) erteilt. Eine davon war, dass die Antenne auf einer Maximalhöhe von 3 Metern angebracht werden durfte. Die Basis zu diesen Metern war jedoch nicht angegeben, was aus den Hackern veritable Baumkraxler machte, die die höchsten Bäume erkletterten.

Bis zu seiner Abschaltung am letzten Festivaltag um 16:00 lief der Hackerfunk problemlos. Wie der GSM-Erforscher Harald Welte in seinem Vortrag erklärte, versuchten sich 1100 Telefone in das Netz einzubuchen (wofür zur Sicherheit ein Password und die IMEI-Nummer auf einer Website verlangt wurden). 450 registrierte Teilnehmer konnten alsdann telefonieren und kunstvolle SMS verschicken. Die Schaltzentrale, ein Linux-Rechner mit dem selbst entwickelten OpenBSC, brauchte selbst in Spitzenzeiten nur 5 Prozent der CPU-Leistung. "Use more Bandwith" lautete auch hier der Appell der GSM-Erforscher.

Ob die Einrichtung und der Betrieb eines GSM trivial ist, darüber kann gestritten werden. Wie Harald Welte ausführte, gibt es derzeit kein "Anhalter-Handbuch für die GSM-Galaxie". Die Beschäftigung mit GSM im laufenden Betrieb, ohne dass ein "Produktions-Netzwerk" eines Providers gestört wird, ermöglicht es der Szene, einen neuen Raum zu erkunden, in dem Sicherheit nicht besonders groß geschrieben wird. Schon die beiden nachfolgenden Referate zum GSM-Projekt über das Airprobe-Projekt und die Entschlüsselung der Verschlüsselung von GSM-Telefonie (PDF-Datei) zeigten, wie Technik transparent gemacht werden kann. Dazu gehören auch Projekte, eigene Verschlüsselungssysteme zu entwickeln.

Bleibt zum Schluss die Frage, ob das hervorragend organisierte Camp von seinen eigenen politischen Ansprüchen her alle Ziele erreicht hatte. Diese waren zu Beginn sehr hoch gesetzt worden: "As the world is more and more defined in terms of the technology of the internet, the once obscure political freedom-fights that hackers were involved in, have truly reached center stage. The next few years are about defending fundamental freedoms, and we better step to it, because nobody is going to do it for us." Als politische Kraft hat die Hacker-Szene große Probleme mit aktuellen Debatten, das zeigte eine ad hoc angesetzte Podiumsdiskussion über "Zensur". Sie war über weite Strecken ein Lamento über die miese Rolle "der Medien". Selbst eine so kenntnisreiche Analytikerin wie Karin Spaink verfiel in das Erklärungsmuster von alten Leuten, die das Internet und die dahinterliegende Technik nicht mehr verstehen. Dass Artikel über das Internet als rechtsfreiem Raum wie beispielsweise "Das Paradies der Verbrecher" in der Augustausgabe des Behörden-Spiegels von ausgebildeten Informatikern geschrieben werden, zeigt, dass es längst nicht mehr um Technik-Verständnis geht, sondern um Diskurshoheit. Das Internet wird als rechtsfrei beschrieben, um im nächsten Schritt eingeschnürt werden zu können.

Den nüchternsten Blick auf diese Entwicklung hatte noch Jérémie Zimmermann von der Quadratur des Netzes zu bieten. Er beschrieb die Debatte über Netz-Gesetze aus dem Blick des Programmierers, der das Gesetz als Code sieht, als schlecht programmierten Code. Jede politische Richtung kämpft dabei darum, ihren Patch in den Code einzubringen, wie etwa die Interessen der Content-Industrie im französischen Hadopi-Gesetz oder die niederländischen Aktivitäten von BREIN gegen die schwedische Pirate Bay – die sich auf dem Hackercamp ganz einvernehmlich zeigten. Zimmermann forderte alle Zuhörer auf, sich mit den Politikern vor Ort im Dialog auseinanderzusetzen und ihren Patch-Code zu bearbeiten. Insgesamt sollte man weiter in die Zukunft sehen als bis zur nächsten anstehenden Wahl, so sein Plädoyer für eine bessere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene.

Siehe dazu auch:

(Detlef Borchers) / (jk)