ZDF-Mediathek: "Der Schwarm" ist eine millionenschwere Enttäuschung

Das ZDF veröffentlicht erste Serienfolgen um Frank Schätzings Bestseller "Der Schwarm". Schon vorab gab es Theater, der Autor distanzierte sich. Zu Recht.

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(Bild: ZDF/Schwarm TV Production GmbH & Co. KG)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • René Meyer
Inhaltsverzeichnis

Zwanzig Jahre wartet Frank Schätzing auf diesen Moment: Sein bekanntestes und erfolgreichstes Buch "Der Schwarm" ist verfilmt. Zwar nicht als Hollywood-Blockbuster auf der großen Leinwand, mit George Clooney, wie von ihm immer geträumt. Sondern "nur" als ZDF-Serie. Immerhin mit einem Budget von 40 Millionen Euro. Sie ist damit neben "Babylon Berlin" und "1899" die teuerste deutsche TV-Produktion überhaupt und liegt auch im europäischen Vergleich weit vorne. Wobei sie eigentlich selbst europäisch ist: Der Sender übernimmt nur ein Drittel der Kosten; für den Rest kooperiert er mit dem ORF und dem SRF, mit Italien und Frankreich, mit dem skandinavischen Streaming-Dienst Viaplay und mit Hulu Japan. Und es gibt Fördergelder aus mehreren Ländern.

Der Kölner Frank Schätzing, Jahrgang 1957, arbeitet zunächst in Werbeagenturen. Seit Mitte der Neunzigerjahre veröffentlicht er Krimis. Mit dem Wissenschafts-Thriller "Der Schwarm" gelingt ihm 2004 der große Wurf. Die Idee: Weltweit sterben Menschen am unnatürlichen Verhalten von Meeresbewohnern. Ein Fischschwarm hindert einen Fischer am Auftauchen, ein Hummer spritzt Gift in das Gesicht eines Kochs, ein Wal zertrümmert ein Touristen-Schiff, eine Armee von Krabben überflutet das Land, Bakterien verseuchen das Trinkwasser, und Würmer fressen sich durch Methaneis auf dem Grund und verursachen dadurch einen Tsunami. Nur langsam kommt man dahinter, dass die Geschehnisse miteinander in Beziehung stehen. Dass irgendetwas die Meere als Waffe gegen die Menschen einsetzt. Eine Schwarm-Intelligenz.

Für den 1000-Seiten-Wälzer gewinnt Schätzing einen großen Verlag. Das Buch wird in 27 Sprachen übersetzt und verkauft sich sechs Millionen Mal. Fünf Jahre recherchiert er. Zwei Jahre schreibt er. Nur 20% des erworbenen Wissens kann er einbauen. Aus dem Rest macht er ein Sachbuch über die Meere: "Nachrichten aus einem unbekannten Universum".

ZDF-Serie "Der Schwarm" – Pressefotos (14 Bilder)

(Bild: ZDF/Schwarm TV Production GmbH & Co. KG )

2008 strahlt RTL zwei Krimis nach Romanen von Schätzing aus. Auch vom "Schwarm" steht früh eine Verfilmung im Raum. Bereits 2006 überschlagen sich die Ereignisse. Nach zwei Jahren Verhandlung würde ein Vertrag mit Paramount unmittelbar bevorstehen. In dieser Zeit entsteht die Ente, Ridley Scott, der Schöpfer von "Alien" und "Blade Runner", würde Regie führen. Dabei antwortet Schätzing nur einem Journalisten, wen er sich für die Rolle vorstellen könne.

Nur zwei Monate später teilt man mit, dass stattdessen Uma Thurman ("Kill Bill") zusammen mit Ica und Michael Souvignier zugeschlagen hätten. Thurman ist begeistert von dem Roman und würde sogar eine Rolle übernehmen. Das Produzenten-Ehepaar arbeitet bereits am Katastrophen-Zweiteiler "Tarragona – Ein Paradies in Flammen" (über die Explosion eines Tanklasters, bei der 217 Menschen sterben), den RTL 2007 zeigt. Doch für den "Schwarm" hat man Größeres im Sinn. Hollywood.

Die Dinge laufen gut an. Der legendäre Dino De Laurentiis kommt als Mitproduzent und Geldgeber dazu; das Drehbuch schreibt Ted Tally (Oscar für "Das Schweigen der Lämmer"). Allen schwebt ein Film vor wie "The Day After Tomorrow" von Roland Emmerich. Doch er kommt nicht zustande. De Laurentiis stirbt 2010, die Finanzierung bleibt unklar, die Jahre vergehen.

Dann kündigt überraschend 2018 das ZDF an, aus dem Buch eine Serie zu machen. Der Sender beschreitet seit einiger Zeit neue, ungewohnte Pfade. Mit modern in Szene gesetzte Serien wie "Bad Banks" und "Unbroken". In das Vorhaben involviert ist ein Geflecht aus beteiligten Unternehmen, aus dem als kreativer Kopf Frank Doelger hervorragt. Er steht als einer der (vielen) Produzenten von "Game of Thrones" in Deutschland hoch im Kurs. Als Showrunner, so nennt man das heute, prägt er neben dem "Schwarm" zwei weitere kommende Serien: "Concordia" (seit Oktober im Dreh) und "Doing Good".

Doelger und Schätzing arbeiten am Konzept, das gleich vier Drehbuchautoren umsetzen. Eine der Hauptrollen von "Der Schwarm" übernimmt Leonie Benesch, bekannt aus "Das weiße Band" und "Babylon Berlin"; eine andere Alexander Karim, der in vielen schwedischen Filmen und Serien zu sehen ist.

Die Regie führt in den Folgen 1 und 2 der Brite Luke Watson, erfahren durch Serien wie "Britannia" und "Shameless". Folgen 3 bis 6 dreht die Österreicherin Barbara Eder, beteiligt unter anderem an der Netflix-Serie "Barbaren". Die beiden letzten Folgen inszeniert der Deutsche Philipp Stölzl, Regisseur von Filmen wie "Nordwand", "Goethe!" und des RTL-Dreiteilers "Winnetou"; 2012 dreht er in den USA den Action-Thriller "Die Logan-Verschwörung".

Roman und Serie führen zu Schauplätzen weltweit; doch gedreht wird in Italien. Hier sucht und findet man Stellen, die so ausschauen wie Peru, Norwegen oder Kanada. Aufnahmen auf der See (etwa der Wal-Angriff) entstehen im größten Studio Europas für Über- und Unterwasser-Drehs, nahe Brüssel. Es ist zehn Meter tief und bietet viele Raffinessen wie Wind, Wellen und Regen.

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Ausgerechnet der Autor versalzt dem ZDF den glanzvollen Start seines Prestige-Projekts, das es sich durch die Premiere am vergangenen Sonntag auf der Berlinale adeln lässt. In einem Interview mit der "Zeit", das Tage zuvor erscheint, distanziert sich Frank Schätzing deutlich von der Umsetzung. Mit Frank Doelger hätte er sich überworfen, seinen Namen als Executive Producer streichen lassen. "Gute Schauspieler-Riege, aber unterfordert", "konventionelle TV-Dramaturgie ohne cineastischen Wagemut". Ein neu eingebauter Handlungsstrang um eine japanische Fraktion (wohl der Beteiligung von Hulu Japan geschuldet) sei "zusammengeschusterter Unsinn ohne aktuelle Relevanz, erzählerisch grundfalsch". Und vor allem der mittlerweile oft zitierte Satz (in Anspielung auf die Schnulzen-Verfilmungen des ZDF nach den Romanen von Rosamunde Pilcher): "Es pilchert mehr, als es schwärmt."

Sender, Produzent und Regisseurin dementieren, natürlich. Aber die Erklärungen von einer zeitgemäßen Adaption und einem Autor, der von seiner Vorlage nicht loslassen kann, spiegelt die Serie nicht wieder, deren erste sechs Folgen der Presse vorab gezeigt werden. Sie vernachlässigt aktuelle ökologische Themen. Und streckt die Vision eines fiebrigen Katastrophen-Films an exotischen Plätzen und mit großartigen Bildern und aufregenden Action-Szenen, die sich hätte einreihen können in Filme wie "2012", "Meg" oder "The Abyss", auf sechs Stunden. Die füllt man mit langweiligen Dialogen und mit sorgenvollen Blicken der Akteure auf Monitore, auf denen der Zuschauer nichts erkennt. Biedere und farblose Unterhaltung, kühl und distanziert, mit blassen Charakteren und wenigen Höhepunkten. Wie eine ZDF-Serie aus der Zeit, als der Roman entsteht.

Auch andere Kritiken sind nicht schmeichelhaft. Für die taz können "die hohen Erwartungen nicht erfüllt werden", es gäbe "wenig gelungene Computer-Animationen", mit "platten und verkitschten Dialogen" sei die Serie "zu nah am Wasser gebaut". Für die Süddeutsche Zeitung ist "Der Schmarrn" "Fernsehen für Doofe". Dem SWR fehle es an "erzählerischer Kraft". Für die Freie Presse ist an der Serie nur "erstaunlich, wie konsequent sie es in epischer Langweiligkeit schafft, wirklich jede Steilvorlage aus dem Buch entweder liegenzulassen oder zu verstolpern".

Sicher, das Budget der Hollywood-Blockbuster ist viel höher, aber teure Spezialeffekte sind nicht alles. Viel hätte man etwa von den skandinavischen Filmen und Serien lernen können, die das ZDF so oft zeigt und an deren Produktion es zuweilen sogar beteiligt ist. Etwa von der herausragenden Krimi-Serie "Johan Falk", von dem norwegischen Katastrophen-Film "The Wave – Die Todeswelle" (Budget: 5,5 Millionen Euro) oder dem schwedischen Unterwasser-Drama "Breaking Surface".

Vielleicht liegt es an der Vielzahl an Interessen, die man glaubt, berücksichtigen zu müssen. Das könnte man aus der Antwort der Regisseurin Barbara Eder herauslesen, auf die Frage vom Tagesspiegel, wie sich die Vielzahl an Partnern auf die Arbeit auswirkt: "Besprechungen erinnern mitunter an eine Sitzung des Europäischen Parlaments".

Sich selbst ein Bild von der Serie machen kann man ab heute, bereits bezahlt mit Gebührengeldern. Die Veröffentlichung läuft für die Mediathek und das Fernsehen getrennt. Ab dem 22. Februar gibt es Teil 1 bis 3 in der ZDF-Mediathek. Folgen 4 bis 6 eine Woche darauf, ab 1. März. Und die letzten beiden Folgen eine weitere Woche später, am 8. März. Im Fernsehen läuft die Serie ab dem 6. März, in Doppelfolgen an vier aufeinanderfolgenden Abenden, von Montag bis Donnerstag, gleichzeitig auf ZDF, ORF und SRF.

In der Mediathek hat der Sender außerdem jede Menge Begleit-Videos zusammengestellt; einerseits Clips über die Entstehung der Serie; andererseits zahlreiche Dokus rund um die Meere. Und vom Roman ist gerade eine "Limited Special Edition" erschienen, mit einem Bonus-Kapitel und einem Essay des Autors.

(dahe)