Kürzere Aufmerksamkeit: Wissenschaftler empfehlen Papier statt Smartphone

Die Aufmerksamkeitsspanne bei Menschen ist drastisch kürzer geworden. Das könnte am exzessiven Handy-Gebrauch liegen. Mit bedrucktem Papier gehts besser.

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Künstlerische Darstellung: aufgeschlagener Laptop; der Bildschirm dient als Rücken eines hinter dem Laptop aufgeblätterten Buches; aus dem Laptop steigen diverse Symbole auf wie Rauch

Ein Haus ohne Bücher ist arm, sagt Hesse.

(Bild: Black Jack/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.

70 Prozent der 14- bis 35-Jährigen konsumieren digitale Inhalte hauptsächlich auf dem Smartphone. Dieses Verhalten ist nicht gerade förderlich für die Fähigkeit, die Bedeutung der angeschauten Texte, Bilder oder Videos zu verstehen: Die durchschnittliche menschliche Aufmerksamkeitsspanne ist vom Jahr 2000 bis 2015 über alle Alters- und Bevölkerungsgruppen hinweg von 12 auf 8,2 Sekunden gesunken. An dieses kanadische Studienergebnis erinnert eine jetzt veröffentlichte Metastudie des E-Learning-Innovationszentrums an der Universitat Oberta de Catalunya (UOC, in Kooperation mit dem IT-Beratungshaus Accenture).

Die Forscher der Offenen Universität Kataloniens haben für die noch nicht von externen Kollegen überprüfte Meta-Analyse Ergebnisse bereits vorliegender Medienstudien ausgewertet und zusammengefasst. Dabei orientierten sie sich an Referenzindikatoren für den Konsum digitaler Inhalte aus 111 privaten sowie öffentlichen Quellen. Es ging ihnen in diesem Stadium vor allem darum, übergeordnete Trends auszumachen, Daten über das Verhalten junger Menschen zu gewinnen und die Marktlogik hinter Bildungsinhalten zu verstehen. Ein zweiter Studienteil beruht auf strukturierten Interviews mit Experten und einer Handvoll Studierender.

Aus der Sekundärforschung schlossen die Wissenschaftler, dass die hauptsächlich im Fokus stehende jüngere Altersgruppe durch digitale Formate eher abgelenkt wird als durch Lesen auf Papier, das die Aufmerksamkeit fördere. Schüler, die die größten Konzentrationsschwierigkeiten haben, bevorzugten Inhalte im Videoformat. Damit fiel es ihnen noch am leichtesten, Konzepte zu entdecken oder zu erläutern.

Digitale Inhalte spielten heute generell eine zentrale Rolle im Leben junger Menschen, heißt es in der Studie. Dabei gehe Trend der dazu, in diesem Bereich auch Geld verdienen zu wollen – als Pendant zum früheren Motto "Irgendwas mit Medien machen": Ein Drittel der Jugendlichen will Influencer werden; jeder Fünfte kann sich eine Karriere als professioneller Computerspieler vorstellen.

Gut 150 Mal pro Tag greift der Durchschnittsbürger inzwischen zum Mobiltelefon. Schon allein darunter leidet den Forschern zufolge die Konzentrationsfähigkeit. "Es ist offensichtlich, dass Multitasking unsere Effizienz verringert", erklärt der Studienkoordinator Guillem Garcia Brustenga. Gleichzeitig habe sich herauskristallisiert, dass junge Menschen bei der Nutzung verschiedener Geräte, Formate und Kanäle "ein großes Maß an Urteilsvermögen an den Tag legen" und sich dabei davon leiten ließen, "was sie gerade tun oder erreichen wollen".

Die Autoren der UOC-Studie unterstreichen die Auswirkungen des digitalen Überangebots und der Informationsüberflutung auf die psychische Gesundheit der hauptsächlich untersuchten Gruppe: 20 Prozent der Jugendlichen leiden demnach unter Symptomen von Schlaflosigkeit, 25 Prozent vergessen wichtige Details über ihre Freunde und Familie. 40 Prozent gehen nach eigener Darstellung online, um Einsamkeitsgefühle zu überwinden. 81 Prozent plagt Nomophobie, also die Angst, ihr Mobiltelefon nicht griffbereit zu haben. Diese sich ausbreitenden Pathologien nutzten Unternehmen vielfach aus, um durch geschickte Marketingstrategien mehr junge Nutzer anzuziehen.

Die Jugendlichen mit den besten Lesefähigkeiten und der höchsten Medienkompetenz verfügen laut der Untersuchung insgesamt über ein hohes Bildungsniveau. Sie kommen aus einem positiven sozioökonomischen Umfeld und üben mehr körperliche Aktivitäten außerhalb des Hauses aus. Garcia Brustenga erläutert: "Alter, soziale Schicht und Freizeitgewohnheiten bestimmen die Fähigkeit des Einzelnen, Wissen aufzunehmen."

(ds)