Gesundheitswesen: Lauterbach will mehr E-Patientenakten und Daten

Die neue Digitalstrategie des BMG bringt die E-Patientenakte "für alle", eine Beförderung der Gematik zur Gesundheitsagentur und einen nationalen Datenraum.

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(Bild: Tex vector/Shutterstock.com)

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Nach mehreren Monaten der Ausarbeitung hat Karl Lauterbach auf der Bundespressekonferenz die neue Digitalstrategie des Bundesgesundheitsministeriums vorgestellt. Die wichtigsten Punkte umfassen wie erwartet die elektronische Patientenakte für alle gesetzlich Versicherten, eine Beförderung der Gematik zur nationalen Gesundheitsagentur sowie ein interdisziplinärer Ausschuss zum Thema Datenschutz und Datensicherheit. Dieser soll den bisherigen Prozess ersetzen, nach dem der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationssicherheit (BfDI) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ihr Einvernehmen zu den Digitalisierungsvorhaben geben müssen. Der Ausschuss soll sich neben dem BfDI und BSI aus Vertretern von Medizin und Ethik zusammensetzen.

Da seit dem Start der ePA für gesetzliche Versicherte im Jahr 2021 weniger als 1 Prozent der gesetzlich Versicherten über eine elektronische Patientenakte verfügen, will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die elektronische Patientenakte für alle. Wer sie nicht will, muss widersprechen. Wie genau der Widerspruch erfolgen kann und wie die Opt-out-Regelung genau aussieht, ist weiterhin nicht bekannt. Die Daten aus der ePA sollen in Zukunft automatisch zu Forschungszwecken über das Forschungsdatenzentrum (FDZ) abgerufen werden können – sofern eine Forschungsfreigabe durch den Versicherten erfolgt ist. Auch die forschende Industrie soll Anträge auf Datennutzung stellen können.

Der Gesundheitsminister rechnet mit nur wenigen Versicherten, die einen Opt-Out wahrnehmen: "Die allermeisten wären ja froh, wenn ihre Daten gespeichert werden und sie selbst Zugang haben." In Österreich hätten bei Einführung nur drei Prozent widersprochen. Lauterbach war heute allerdings noch nicht in der Lage, darzulegen, wie das Opt-Out praktisch umgesetzt werden solle. Zwei Gesetze, das Gesundheitsdatennutzungsgesetz und das Digitalgesetz, sollen dafür den Weg ebnen.

Ein "Durchbruch bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens" sei die verbindliche Einführung der elektronischen Patientenakte, meint Bitkom-Präsident Achim Berg. Wichtig sei jetzt vor allem eine Steigerung der Akzeptanz in der Bevölkerung. Kritik am Opt-Out-Verfahren kommt von der Stiftung Patientenschutz. Deren Vorsitzender Eugen Brysch findet den vorgesehenen Weg falsch: "Schweigen bedeutet nicht Zustimmung. Abzulehnen ist zudem, nicht technisch versierte Menschen in ihren Rechten zu beschneiden. Dazu gehören mehr als 20 Prozent der Über-65-Jährigen."

Der Onkologe Michael Hallek, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, sieht in der Verfügbarmachung von Echtdaten für die Forschung eine Voraussetzung für wesentliche Verbesserungen: "Wir müssen ein System schaffen, wo wir aus der eigenen Versorgung lernen." Dazu würden die Daten zur Routineversorgung benötigt. "Die größte Entdeckungsmaschine der Medizin sind heute die Daten." Er sehe keinen Grund, warum Forscher nicht in Deutschland auf Daten forschen wollen würden, wenn die Bedingungen stimmten. Lauterbachs Pläne stoßen auf großen Widerstand aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Doch der Gesundheitsminister gibt sich optimistisch: Eine defätistische Haltung könne man sich nicht leisten - "Wir machen große, gute Gesetze."

Außerdem soll es in Zukunft ein sich gerade im Aufbau befindendes Forschungsdatenzentrum geben, in dem Gesundheitsdaten der gesetzlich Versicherten gesammelt werden. Die datenschutzrechtliche Aufsicht für Forschungsvorhaben wird den Plänen des BMG zufolge durch einen Landesdatenschutzbeauftragten erfolgen. "Wir brauchen einen nationalen Gesundheitsdatenraum, in dem die Daten einheitlich aus dezentralen Quellen in Echtzeit systematisch zusammenlaufen", so Dahmen gegenüber der dpa. Erst vor kurzem wurde eine Klage von Datenschützern auf "ruhend" gestellt, da das Forschungsdatenzentrum Probleme mit einem Dienstleister hatte. Die Daten aus den nationalen Gesundheitsdatenräumen sollen in Zukunft dann in einen europäischen Gesundheitsdatenraum fließen. Derzeit laufen dazu Abstimmungen im EU-Parlament.

Der bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Professor Thomas Petri kritisiert, dass teilweise auch Stellen, die personalisierte Gesundheitsdienste anbieten wollen, auf die Gesundheitsdaten zugreifen können. Der "Kreis der zur Datenbereitstellung verpflichteten Stellen" sei zudem zu weit gefasst. Darüber hinaus sei unklar, ob Strafverfolgungsbehörden bei den Gesundheitsstellen Zugriff auf Daten erhalten.

Wie bereits im Oktober 2022 angekündigt, soll die für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zuständige Gematik vollständig dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt sein. Bisher gehörten zu den Gesellschaftern der Gematik neben dem BMG (zu 51 Prozent) unter anderem die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Verband der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen. Damit wird die Gematik bei zukünftigen Entscheidungen lediglich die Zustimmung des BMG benötigen, was bereits zuvor der Fall war, wie Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt kritisiert. Es sei zwar "absolut richtig und zu unterstützen, dass der Fokus der Gematik zukünftig auf die Nutzerorientierung gelegt wird", jedoch sei es "absurd, dass nun ausgerechnet diejenigen Akteure vollständig aus der Gematik gedrängt werden sollten, die sich seit vielen Jahren für genau diese Ziele einsetzen". Seiner Ansicht nach will man "diese Stimmen offenbar ganz ausblenden". Dies geschehe zulasten der Qualität der Entwicklung und Testung.

Weiterhin plant das Bundesgesundheitsministerium die verpflichtende Einführung für das E-Rezept im Jahr 2024. Im November 2022 wollte Westfalen-Lippe, die verbliebene Test-Region, nicht mehr "an Bord" bleiben. Aufgrund des umständlichen Authentifizierungsverfahren für das E-Rezept und die elektronische Patientenakte, nutzen diese bisher wenige. Reinhardt fordert daher eine Digitalstrategie samt einer "Umsetzungsstrategie mit konkreten Vorschlägen für die Opt-Out-Regelung". Es brauche zudem praktikable Widerspruchsmöglichkeiten, etwa gegen die Datennutzung durch die Industrie. Die Datensicherheit müsse seiner Ansicht nach für die Wahrung der Grundrechte der Patienten gewährleistet sein.

Update

Zitate zur Digitalstrategie des BMG ergänzt.

Zitat der BÄK ergänzt.

(mack)